Offen
, [
581-582] -er, -ste, welche Grade doch
nur in der 5ten und 7ten figürlichen Bedeutung gebraucht werden, adj. et adv.
Es ist dem verschlossen und eingeschlossen, und so fern es als ein Nebenwort
gebraucht wird, dem zu entgegen gesetzet. 1. Eigentlich, auf Einer oder mehrern
Seiten mit keinen körperlichen Einschränkungen versehen, nicht eingeschlossen,
nicht zugemacht. Ein offener Helm, im Gegensatze eines geschlossenen. Ein
offenes Glas, ein offener Topf, ein offenes Gefäß, im Gegensatze eines
zugedeckten. Eine offene Thür, ein offenes Fenster, im Gegensatze so wohl eines
verschlossenes, als auch eines zugemachten. Den Mund offen haben, ein offener
Mund. Den Himmel offen sehen. Mit offnen Augen nicht sehen. Jemanden mit
offenen Armen empfangen, mit ausgebreiteten, und figürlich, mit fröhlicher
Bereitwilligkeit. Mit Entzückung eil' ich in deine offnen Arme, Geßn. Ein oben
offener Spaziergang, im Gegensatze eines bedeckten. Ein offner Schade, eine
Wunde an dem Körper, welche nicht geheilet werden kann oder darf. Ein freyes
offenes Feld, welches durch keine Gegenstände eingeschlossen ist. Ein offener
Brief, der nicht versiegelt ist, daher denn offene Briefe, offene Befehle, im
mittlern Lat. Litterae patentes, auch solche obrigkeitliche Befehle genannt
werden, welche jedermann angehen. 2. In verschiedenen engern Bedeutungen. Die
Erde ist noch nicht offen, sagt man in der Landwirthschaft, wenn sie noch nicht
aufgethauet, sondern durch den Frost gleichsam verschlossen ist. Man hat
offenen Leib, wenn die Ausleerungen gehörig erfolgen, im Gegensatze des
verstopften Leibes. Den Leib offen halten, dafür sorgen, daß die Ausleerungen
gehörig erfolgen. In offener Rechnung mit jemanden stehen, in
uneingeschränkter, d. i. daß jeder von dem andern so viel auf Rechnung bekommen
kann als er will oder bedarf. Offene Casse bey jemanden haben, so viel Geld von
ihm bekommen können, als er will. Ein offener Wechsel, ein uneingeschränkter,
der auf keine gewisse Summe gerichtet ist. Mein Haus stehet ihnen offen, sie
können zu allen Zeiten ungehindert in dasselbe kommen. 3. Figürlich. 1)
Unbefestigt. Eine offene Stadt, ein offener Platz, ein offener Ort, der mit
keinen Festungswerken, mit keinen Mauern versehen ist. Ein überall offenes
Land, wo der Eingang durch nichts erschweret wird. 2) Ein Lehen wird offen, in
dem Lehenswesen, wenn es dem Lehensherren anheim fällt, wenn es eröffnet wird.
Ein offenes Lehen. 3) Die offene Zeit, im Gegensatze der geschlossenen, d. i.
diejenige Zeit, da der Genuß oder Gebrauch eines Dinges einem jeden frey
stehet; in der Landwirthschaft, diejenige Zeit, da die Äcker, Wiesen und Wälder
mit dem Viehe betrieben werden können. Das Vieh zu offnen Zeiten in das Gehölz
treiben. 4) Für öffentlich; doch nur als ein Beywort. Etwas in offener Gant
verkaufen, im Oberdeutschen, d. i. in öffentlicher Auction. Im Hochdeutschen
gebraucht man es nur noch in einigen Fällen. Auf offener Straße, auf
öffentlicher. Offene Tafel halten, öffentlich speisen; ingleichen, jeden der
mitspeisen will, mit zur Tafel ziehen. Einen offenen Laden haben, öffentlich
verkaufen. 5) Ein offener Kopf, der etwas geschwinde und deutlich begreift.
Einen offenen Kopf haben. Ingleichen eine Person, welche einen offenen Kopf
hat. Er ist ein offener Kopf. 6) Das offene e, bey einigen Sprachlehrern,
dasjenige e, welches wie ein ä ausgesprochen wird, wie das erste e in geben,
leben, Steg; weil der Mund dabey mehr geöffnet wird, als bey dessen Gegensatze
dem geschlossenen, welches in den ersten Sylben der Wörter gehen, stehen, das
Lehen, Statt findet. Beyde Kunstwörter sind nach den Französischen Kunstwörtern
e ouvert, und e ferme gebildet. Andere Sprachlehrern nennen das offene e nicht
so bestimmt das dunkle, und das geschlossene das helle. Besser nennt man es das
tiefe e, zum Unterschiede von dem hohen. 7) Eine offene Miene, ein offenes
Gesicht, ein freyes, unverstelltes Gesicht, welches keine Verstellung, keine
Zurückhaltung verräth. Ein offenes Herz, welches seine Gedanken und
Empfindungen andern vertraulich bekannt macht. Du verdienest, daß ich mit
offenem Herzen zu dir rede. Er scheint nicht mit offnem Herzen gehandelt zu
haben.
S. Offenheit. Anm. 1. Dieses Wort lautet schon bey dem
Ottfried und Willeram offan, im Nieders. apen, im Angels. open und yppe, im
Engl. open, im Dän. aaben und aabent, und im Schwed. öppen, yppen. Es stammet,
vermittelst der adverbischen Endung -en, von auf her, welches in der
Zusammensetzung mit Zeitwörtern noch für offen gebraucht wird. Anm. 2. Dieses
auf macht zuweilen manchen Deutschen Schwierigkeit, welche in einigen Fällen
nicht wissen, ob sie auf oder offen gebrauchen sollen, und daher beyde sehr oft
mit einander verwech- [
583-584] seln. Offen ist ein
eigentliches Nebenwort, und kann als ein solches nicht mit einem Zeitwort
zusammen gesetzet werden; soll dieses geschehen, so muß dafür das Vorwort auf
gebraucht werden, welches dagegen außer der Zusammensetzung nicht für offen
gebraucht werden kann. Gehöret nun das Wort unmittelbar als ein Theil der
Zusammensetzung zum Zeitworte, so muß auf, im widrigen Falle aber offen
gebraucht werden. Er ließ die Thür offen, ist unrichtig, weil das Zeitwort
auflassen dafür üblich ist. So sagt man auch das Fenster steht auf, das Thor
bleibt die ganze Nacht auf, den Kasten aufmachen, sie hielt die Schürze auf u.
s. f. Wohl aber, den Himmel offen sehen, den Mund offen haben, u. s. f. weil
aufsehen, aufhaben, in diesen Bedeutungen nicht üblich sind. Alles dieß gilt
nur, wenn auf und offen in der eigentlichen Bedeutung üblich sind, denn so bald
sich eine Figur mit einmischt, muß offen stehen, es müßte denn das mit auf
zusammen gesetzte Zeitwort diese Figur hergebracht haben. Die Thür steht auf;
aber, mein Haus stehet ihnen zu allen Zeiten offen, zur Ausnahme bereit. Das
Thor bleibt auf, aber unser Herz bleibt jedermann offen. Offen druckt schon im
Positiv verschiedene Grade aus, oder vielmehr, ein Ding kann nur auf Eine Art
offen seyn, d. i. so bald die Flächen, welche es auf allen Seiten einschließen,
unterbrochen werden. Der Positiv druckt schon alle diese Grade allein aus,
daher fallen der Comparativ und Superlativ, außer der 5ten und 7ten figürlichen
Bedeutung, schon von sich selbst weg. [
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