Nahe
, [
413-414] näher, nächste, adj. et adv.
durch keinen beträchtlichen Zwischenraum von einem andern Dinge getrennt, im
Gegensatze des fern oder entfernt, wo es so wie dieses ein relativer Begriff
ist. welcher durch Gewohnheit und durch die Umstände bestimmet wird. Ein Ding
kann in einer Absicht nahe, in einer andern aber entfernt seyn. 1. Eigentlich,
dem Orte oder Raume nach. Ein naher Ort. Das nächste Dorf. Mein nächster
Nachbar. Er wurde an den nächsten Baum gehenket.
O ja, du singst, schon hör ich dich, Vom nächsten Baume;
Weiße.
Ingleichen als ein Nebenwort; so wohl mit verschiedenen
Nebenwörtern. Näher zur Stadt kommen. Einem nahe auf den Leib treten, ihm nahe
auf den Hals kommen. Es stehet nahe an der Thür. Es liegt nahe bey dem Hause.
Nahe bey einem wohnen, stehen, seyn. Nahe dabey seyn. Nahe herbey kommen. Sich
nahe zu etwas machen, sich nahe zu jemanden setzen. Nahe um jemanden seyn.
Nächst an dem Schlosse wohnen. Zunächst an den Wald gränzen, für nahe. (
S. Nächst.) Als auch mit der dritten Endung, doch nur
mit einigen Zeitwörtern. Einem nahe seyn, stehen, liegen, kommen. Komm mir
nicht zu nahe. Wir kamen der Stadt immer näher. Ein naher Weg, für ein kurzer,
und der nächste Weg, für der kürzeste, ist eine Figur. Von nahen, für in der
Nähe, ist Oberdeutsch; etwas von nahen befehlen. 2. Figürlich. 1) Von der Zeit.
Sich auf den nahen Sommer freuen. Der Frühling ist nahe. Mit der nächsten Post,
mit der ersten. Nächster Tage, nächsten Tages, nächstens, (
S. Nächst und Nächstens.) Nächst künftigen Sonntag. Nahe
an vierzig Jahr alt, in der vertraulichen Sprechart, für beynahe. Er ist schon
nahe an vierzig, Gell. Sie muß ja wohl nahe an sechzig Jahren seyn, ebend. Die
nächst vergangene Nacht. Der nächst bevor stehende Feldzug. (
S. Nächst). Ingleichen mit Einschluß des vorigen
Begriffes des Ortes. Dem Tode nahe seyn. Die Gefahr war mir sehr nahe. Ich war
einer Ohnmacht nahe. 2) In verschiedenen andern Verhältnissen, mehrere oder
auch alle dazwischen befindliche Dinge auszuschließen, im Gegensatze des
entfernt; wo es oft nur als ein Nebenwort allein, oft nur als ein Beywort
allein, oft aber auch nur in einer oder der anderen Staffel üblich ist. Ein
naher Freund, ein naher Verwandter. Er ist nahe mit mir verwandt. Er ist mein
nächster Freund. Jeder ist sich selbst der nächste. (
S. Nächste.) Die nähere (genauere) Vereinigung mit Gott.
Der Römische König ist der nächste nach dem Kaiser, der Würde nach, er folgt
unmittelbar nach ihm. Einem nahen Zutritt bey jemanden haben. Die Sache
betrifft ihn sehr nahe, uns noch näher, dich aber am nächsten. In naher
(genauer, enger) Verbindung mit jemanden stehen. Zunahe in die Freundschaft
heirathen. Der Wahrheit nahe kommen. Der Sache schon näher kommen. Damit wir
näher zur Sache kommen. Einem nahe kommen, ihm in eine Eigenschaft ähnlich
seyn. Sich näher mit jemanden bekannt machen. Es soll mir lieb seyn, ihn näher
(genauer) kennen zu lernen. Einen sehr nahen Umgang mit jemanden haben. Sich
einem näher entdecken. Etwas näher bestimmen, genauer. Die nähere Offenbarung
Gottes, im Gegensatze der allgemeinen oder entferntern. das enthält den
nächsten (unmittelbarsten) Grund dieses Vorganges. Der nächste Endzweck, der
unmittelbare. Der Mensch kommt mit der nächsten Anlage sich Sprache zu bilden,
in die Welt, Herd. 3) Das geht mir nahe, das kränkt mich, schmerzt mich, im
sittlichen Verstande. Sein Abzug geht mir etwas nah, Haged. Wie oft wird mir
seyn Schicksal nahe gehen! Es geht mir recht nahe, daß ich ihnen so viele
Ungelegenheit verursache, Gell. 4) Einem etwas nahe legen, nahe bringen, theils
ihm solche Bewegungsgründe vorlegen, welchen er nachgeben muß, theils aber
auch, ihm zum Zorne reitzen. Sie legen mir es außerordentlich nahe, reitzen
mich außerordentlich. Ja, wenn es einem so nahe gelegt wird, wenn man so sehr
gereitzt wird. Ich habe es ihm so nahe gelegt, daß es sich wird ergeben müssen,
ihm solche triftige Bewegungsgründe vorgestellet. Im Oberdeutschen ist es in
dieser und der vorigen Bedeutung auch als ein Beywort nicht selten. Nahe Reden,
welche dem andern nahe gehen müssen, ihm zum Zorne reitzen. 5) Der nächste
Preis, im Handel und Wandel, der genaueste. Ich kann es um keinen nähern Preis
geben, um keinen niedrigern, genauern, wofür man auch sagt, ich kann es nicht
nähern Kaufs, nicht näher geben.
Du kannst hier nähern Kaufs die edle Freyheit kriegen, Canitz.
Nach einer hier noch weitern Figur sagt man von jemanden der
nachgibt, von seinen Forderungen, von seinem Widerstande, von seiner Hitze
nachläßt, er gebe es schon näher. 6) Einer Person oder Sache zu nahe treten,
sprechen, handeln, ihr Nachtheil, Schaden verursachen, sie beleidigen. Eines
Ehre zu nahe treten, sie kränken, vermindern. Der schuldigen Achtung für sein
Vaterland zu nahe treten, sie nicht beobachten. Es ist ihm zu nahe geschehen,
es ist ihm zu viel geschehen. Eines Ehre zu nahe reden oder sprechen. 7) Bey
nahe, fast, es fehlete nicht viel. Beynahe wäre er uns entwischet. Du hättest
mich beynahe nicht mehr angetroffen. In dem Tatian und bey den folgenden
Oberdeutschen Schriftstellern nur nah, nahen und nach. Ich bin nach hungers
tot, der Burggrafen von Rietenburg.
S. bey III. Anm. Schon bey dem Ottfried und seinen
Zeitgenossen nah, im Theuerdanke nahendt, im Nieders. nah, näger, nägst, bey
den Ulphilas nehwa, im Angels. neh, neah, im Engl. nigh. Es ist mir neben, nau
in genau, nach, noch und andern dieses Geschlechtes sehr genau verwandt. Der
Form nach gehöret es zu den irregulären Beywörtern, indem es in der zweyten und
dritten Staffel nicht nur das a in ä verwandelt, sondern in der dritten auch
den stärkern Hauch ch annimmt. Daß dieser ehedem auch in der ersten Staffel
nicht ungewöhnlich gewesen, erhellet aus dem Vorworte nach und dem Hauptworte
Nachbar. Eben so abweichend ist es in seiner Bedeutung, indem es in einigen nur
als ein Nebenwort allein, in andern nur als ein Beywort allein, und in noch
andern nur in dieser und jener Staffel üblich ist.
S. auch Nächst. Ein anderes nur in der Ableitungssylbe
verschiedenes Wort ist das Angels. near, nearo, nearewe, im Dän. und Schwed.
när, im Isländ. naer, im Engl. near, und narrow, welches andere für den
Comparativ von nahe halten, das aber vielmehr ein eigenes Wort ist, welches
seine eigene Comparation hat, und statt [
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Hauchlautes am Ende das r angenommen hat, so wie sich in nau, genau, wieder ein
anderer Endlaut befindet.
S. Nährlich, welches noch von diesem Worte abstammet,
und Nähern, welches sich auch daher leiten lässet. Im Oberdeutschen wird nahe
noch in verschiedenen Zusammensetzungen gebraucht, indem daselbst danahen für
daher, ingleichen für hier, und deßnahen für deßhalb üblich sind.
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