Mögen
, [
257-258] verb. irreg. neutr. Präs. ich
mag, du magst, er mag, wir mögen u. s. f. Conjunct. ich möge; Imperf. ich
mochte, (nicht mogte,) Conjunct. möchte; Mittelw. gemocht, (nicht gemogt;)
Imperat. welcher doch nur in der Zusammensetzung mit ver üblich ist, möge. Es
erfordert das Hülfswort haben und bedeutet so wohl können, als wollen. I.
Können. 1. Im weitesten Verstande, so wohl subjective, als objective, Kraft,
Macht, Vermögen haben etwas zu thun, möglich seyn, durch keinen Widerspruch,
durch keine wesentliche oder zufällige Einschränkung gehindert werden, zu seyn
oder zu handeln; bey dem Kero magan, bey dem Ottfried mugun, bey dem Ulphilas
magan, im Engl. to may, im Schwed. ma, ehedem maga.
Ich gruisse mit gesange die suissen Die ich vermiden niht wil
noch enmac, Kaiser Heinrich.
Das Land mochts nicht ertragen, 1 Mos. 13, 6. Wir mögen es
überwältigen, 4 Mos. 13, 31. Wie mag ein Mensch gerechter seyn, wie Gott? Hiob.
4, 17. Mag auch ein Blinder dem andern den Weg weisen? Luc. 6, 39. Es mag die
Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen seyn, Matth. 5, 14. In dieser
im Hochdeutschen veralteten Bedeutung ist es noch im Oberdeutschen gangbar. Wie
magst du dich allein zu einem Todten wagen? Weiter mögen meine schwankende Knie
nicht, Geßner. Aus welcher Mundart es auch noch einige Hochdeutsche Kanzelleyen
beybehalten haben. Wir mögen euch hiermit gnädigst nicht verhalten. Es hat ihm
solches nicht verdacht werden mögen. 2. In einigen engern Bedeutungen. 1)
Macht, Gewalt haben; in welchem Verstande doch nur das sonst ungewöhnliche
Mittelwort mögend noch in den Titeln der Staaten oder Stände der vereinigten
Niederländischen Provinzen üblich ist, welche den Titel mögende Herren
bekommen, dagegen die Staaten der Provinz Holland großmögende, die
General-Staaten aber hoch mögende Herren genannt werden. 2) Ursache haben etwas
zu thun; in der vertraulichen Sprechart. Du magst dich immer in Acht nehmen. Er
hätte es immer thun mögen. 3) Erlaubniß haben etwas zu thun, durch den Willen
des andern nicht gehindert werden; doch nur in einigen Fällen, besonders des
gesellschaftlichen Lebens. Wie sind sie dazu gekommen, daß ich fragen mag?
Besonders mit einigem Unwillen. Er mag es immerhin thun. Mag er doch thun, was
er will. Immerhin, mag er sie doch heirathen. Mag er doch den Verdacht haben,
Weiße. Mögt ihr doch hier machen, was ihr wollt. Da es denn oft in die mit
Unwillen verbundene Überlassung oder Dahingebung in einen gewissen Zustand
übergehet. Er mag zusehen, wie er mit ihr zurecht kommt. Du magst nun auch
versuchen, wie es thut. 4) Seyn, geschehen, oder erfolgen können, von einer
möglichen aber doch ungewissen Sache. Ich mag thun was ich will, so ist es
nicht recht. Du magst von mir verlangen, was du willst. Alles was du wünschen
magst. Ja, ja, sie mag ein ganz gutes Gemüth haben. Wie mag das zugehen? Was
mag doch diese Zubereitung bedeuten? Worin auch unsere Pflichten bestehen
mögen. Wo mag er so lange bleiben? Was mag es wohl kosten? Ich weiß nicht, was
es kosten mag. Wem mögen sie zu Leibe wollen? So aufrichtig auch unser Herz
seyn mag, so wird es doch ohne Geschmack und Sitten wenig Anmuth in die
Freundschaft bringen, Sonnenf. Wie mag es mit dem Kranken stehen? 5) Besonders,
mit dem Nebenbegriffe der Gleichgültigkeit, von Seiten des Redenden. Es mag
seyn. Mag doch unser Vermögen an lachende Erben kommen. Es mag dabey bleiben.
Sie mögen beyde kommen. Du magst lachen oder weinen. Es mag seyn, wie es will.
Die Leute mögen sagen, was sie wollen, er ist doch unschuldig. Du magst mir den
Tod drohen, so oft du willst. Mein Vater mag sagen was er will. Es mag kommen,
zu was es will.
Man mag gleich stumm und fühllos seyn, Man sey nur schön, so
nimmt man ein, Gell.
d. i. wenn man gleich stumm und fühllos ist. Ich mag kommen,
wenn ich will, so hat sie ihre Andacht, ebend. Sie mögen euch nun auch noch so
sehr hassen, so werde ich mich doch nie beklagen, ebend. Er hat die Sache
angefangen, so hätte er sie auch zu Stande bringen mögen, ebend. 6) Oft
bezeichnet es nicht so wohl eine entfernte, als vielmehr eine nahe Möglichkeit,
eine mögliche Sache, welche unter gewissen Umständen leicht wirklich werden
kann, oder werden können; da es denn im Conjunctivo stehet. Ich fürchte, er
möchte kommen. Kommen sie, der Thee möchte kalt werden. Man möchte vor Ärgerniß
des Todes seyn, Gell. Er möchte sonst gar nein sagen. Ich möchte mich zu Tode
lachen. Ich hätte blutige Thränen weinen mögen. Wir hätten uns mögen bucklich
lachen. Sie hätten für (vor) Furcht vergehen mögen, Weish. 17, 9. Denen, welche
einen falschen Schluß daraus ziehen möchten, dienet zur Nachricht u. s. f.
Still, man möchte dich hören. 7) Eben so oft wird es aber gebraucht, eine
Vermuthung, eine wahrscheinliche Möglichkeit anzudeuten. Er mochte etwa zwanzig
Jahre alt seyn. Im Grunde mag sie ihn wohl leiden können, Weiße. Sie mögen ihr
sehr gefallen, und sie mag es doch verbergen wollen, Gell. Er möchte nun wohl
nicht mehr kommen. Wie ich glaube, so mag es mit ihrer großen Frömmigkeit eben
nicht so richtig seyn, Gell. Wie ich merke, so mag ihr diese Tugend sehr
natürlich seyn, ebend. Sie mag ein gut Gemüth haben, ebend. Nun, nun, sie mag
artig genug seyn, Weiße. Ich möchte dieses Weges so bald nicht wieder kommen,
Less. Er mag so wenig Laurens Vetter seyn, als diese eine Witwe ist.
Ein Esel mochte lüstern seyn, Und wollt auf öffentlichen
Gassen Sein lieblich Stimmchen hören lassen, Lichtw.
Wo es zuweilen auch ironisch im entgegen gesetzten Verstande
gebraucht wird.
Und eine Frau ist ohne dem ein Lamm.- Ein Lamm? da magst du
Weiber kennen, Less.
8) Ingleichen, den Optativum und Conjunctivum auszudrücken,
da es denn die Gestalt eines wahren Hülfswortes hat; welches denn auch die
meisten Sprachlehrer bewogen, dieses Zeitwort mit unter die Hülfswörter zu
setzen, ob es gleich nur seinem kleinsten Gebrauche nach ein eigentliches
Hülfswort ist. Daß ich im Hause des Herren bleiben möge, Ps. 27. Daß wir ein
stilles Leben führen mögen, 1 Tim. 2, 2. Er that es bloß, damit ich ihn loben
möchte. Er bath mich, ich möchte doch kommen. Ich wünsche, daß du unschuldig
seyn mögest. Ich winkte ihm, daß er sich ruhig halten möchte. Wo man sich in
der härtern Schreibart des Zeitwortes sollen bedienet. Ich rieth ihm, daß er
nicht hingehen sollte. Daher es denn 9) auch das eigentliche Amt dieses
Zeitwortes ist, einen Wunsch auszudrucken und zu begleiten, da es denn im
Conjunctiv stehet, und zugleich [
259-260] die Verbindung
der allgemeinern Bedeutung des Könnens mit der folgenden des Wollens ausmacht.
Möchte ich nur sein Kleid anrühren! Matth. 9, 21. O, daß ich ihn umarmen
möchte! Möchte er doch kommen! Möchtest du doch glücklich seyn! Möcht ich, ihr
Götter, möcht ich meinen Dank euch würdig singen! Geßn. Ach, wenn die Leute
nicht besser loben können, so möchten sie es doch nur gar bleiben lassen, Less.
Möchte doch, euch zu erfreun, Sprach es, dieser schöne Stein
Nur ein Weitzenkörnchen seyn, Haged.
II. Wollen, doch nur in engerer Bedeutung, Neigung, Lust
haben, etwas zu thun, oder zu leiden; wo es auf doppelte Art gebraucht wird. 1.
Im Indicativo; wo es doch nur in der harten Sprechart des gemeinen Lebens
üblich ist. Er hätte es bekommen können, wenn er es gemocht hätte. Am
häufigsten mit der Verneinung. Graben mag ich nicht, Luc. 16, 3. Ich mag es
nicht, ich habe keine Lust, keine Neigung dazu. Ich mag es nicht mehr essen.
Ich kann und mag es nicht thun. Ich mag ihn nicht länger sehen. Derer mag ich
nicht, Es. 1, 13, mit der zweyten Endung ist im Hochdeutschen veraltet. Oft
wird es aber auch in der anständigern Sprechart verneinender Weise in solchen
Fällen gebraucht, wo man Bedenken träget, etwas zu thun. Ich mochte es nicht
thun, d. i. hatte Bedenklichkeiten, es zu thun. Ich habe es nicht sagen mögen.
2. Im Conjunctivo, mit dem Nebenbegriffe eines Wunsches, in welchem Falle es
auch der anständigen Sprechart nicht zuwider ist. Ich möchte wohl spazieren
gehen. Ich möchte ein solches Haus. Er möchte es schon haben. Du möchtest gern,
aber du kannst nicht. Das möchte ich nun nicht gern, d. i. haben, thun, sehen
u. s. f. Ich möchte es doch versuchen. Ich möchte sie jetzt beyde beysammen
sehen, Gell. Ich möchte doch wissen, was sie mir zu sagen hätte, ebend. Ich
möchte gern, daß sie ein Paar würden, ebend. Ich möchte wohl wissen, wie seine
Umstände sind. Das Hauptwort die Mögung ist völlig ungangbar, so wie auch der
Imperativ möge nur allein in vermöge üblich ist. Auch das Mittelworte der
gegenwärtigen Zeit mögend ist außer dem schon oben angezeigten Falle nicht
eingeführet. Anm. 1. Da dieses Zeitwort irregulär abgewandelt wird, so erhellet
schon daraus, daß es im Ganzen genommen, aus mehrern ältern Mundarten zusammen
gesetzt ist. In einer dieser Mundten muß es mochen gelautet haben, wie aus dem
Imperfect mochte und Mittelwort gemocht erhellet. Einige Sprachlehrer haben
dieses eh in das g der übrigen Zeiten verändern wollen; allein sie haben nicht
bedacht, daß die Veränderung des Tones in vielen alten Wörtern auch die
Veränderung des folgenden Consonanten nach sich ziehet. So lange der Vocal
gedehnt ist, ist ihm auch der gelinde Gaumenlaut g angemessen; mögen, ich mag,
du magst; gehet er aber in den geschärften über, so verwandelt das g sich
gleichsam von selbst in das härtere ch; mochte, möchte, gemocht. Eben so kommt
von trägen, Tracht, trächtig, von schlagen, Schlacht, von dem veralteten
pragen, Pracht, u. s. f. Schon Ottfried, bey welchem dieses Zeitwort mugun
lautet, sagt im Imperfect mohto. Wenn dieses Zeitwort mit dem Infinitiv eines
andern Zeitwortes verbunden wird, und der Regel nach in einer zusammen
gesetzten Zeit stehen sollte, so wird es gleichfalls in den Infinitiv gesetzt;
ein Umstand, welchen es mit den Zeitwörtern dürfen, können, lassen, hören,
sehen, müssen u. a. m. gemein hat. Ich habe es nicht sagen mögen, für nicht
sagen gemocht; du hättest es immer thun mögen, für gemocht. Stehet es aber für
sich [
259-260] allein, so folgt es der gewöhnlichen
Form: ich habe es nicht gemocht. Anm. 2. Dieses alte und weit ausgebreitete
Zeitwort lautet, besonders in der ersten Hauptbedeutung des Könnens, schon bey
dem Ulphilas magan, bey dem Kero magan, im Angels. gleichfalls magan, im Engl.
to may, im Schwed. ma, ehedem maga, im Isländ. meiga, im Dän. mag und monne, im
Dalmat. mogu, im Böhm. mohu, mihu, moiti, im Pohln. moge. Im Nieders. lautet es
gleichfalls mögen, und in einigen Oberdeutschen Mundarten mügen. Es ist mit
unserm Macht, Böhm. Moc, dem alten michel, groß, Griech. -
hier
nichtlateinischer Text, siehe Image - , Lat. magnus, genau verwandt. In
Ansehung der zweyten Hauptbedeutung gehöret auch das Griech. -
hier
nichtlateinischer Text, siehe Image - , begehren, zu dessen Verwandtschaft.
Im Niederdeutschen ist auch, das Hauptwort Möge üblich, welches nicht nur
Macht, Gewalt und Vermögen, sondern auch sinnliche Neigung, Geschmack, Appetit
bedeutet: über seine Möge essen, über sein Vermögen; elk sien Möge, chacun a
son gout.
S. auch Vermögen. [
259-260]