Die Lüge
Die Lüge,
[
2127-2128] plur. die -n. 1) * In weiterer
Bedeutung, und ohne Plural, die Verstellung, der Mangel der Übereinstimmung
unserer Worte und Geberden mit unsern Gedanken. Ingleichen der Irrthum, oder
der Mangel der Übereinstimmung der Gedanken mit der Empfindung der Sinne, und
dieser mit den Dingen, welche wir empfinden, wo der Plural auch von solchen
mangelhaften Vorstellungen selbst Statt findet; beydes im Gegensatze der
Wahrheit. In dieser Bedeutung ist es im Hochdeutschen veraltet, außer daß es
noch zuweilen in der harten Schreibart vorkommt, wo es aber gemeiniglich nach
alter Oberdeutscher Form die Lügen lautet. In der Deutschen Bibel wird es in
einer ähnlichen Bedeutung noch oft gebraucht, indem es daselbst theils die
herrschende Heucheley, wie 1 Timoth. 4, 2, Eph. 4, 24, 25, im Gegensatze der
Wahrheit, theils aber auch den ganzen Mangel der Übereinstimmung des Menschen
mit sich selbst und seinem Zwecke bedeutet, wie Joh. 8, 44, Offenb. 22, 15. 2)
Im gewöhnlichern Verstande ist die Lüge eine jede Unwahrheit, und im engern
Verstande, eine mit Wissen und Vorsatz wider die Pflicht der Wahrhaftigkeit
vorgebrachte Unwahrheit; doch beydes nur in einer harten Bedeutung. Eine
boshafte Lüge, welche auf den Schaden des andern abzielet. Jemanden Lügen
erzählen, erdichtete Begebenheiten. Eine Lüge sagen, vorbringen, erdenken,
ersinnen. Mit lauter Lügen umgehen. Jemanden mit Lügen hintergehen. Jemanden
mit Lügen berichten, im gemeinen Leben, ihm wissentlich Unwahrheiten berichten.
Sich mit Lügen behelfen. Jemanden Lügen strafen, wo Lügen die zweyte Endung mit
Auslassung des Artikels der ist, ihn einer Lüge beschuldigen oder überführen.
Sprichw. Lügen haben kurze Beine, d. i. mit Lügen kommt man nicht weit. Eine
Ehrenlüge, Dienstlüge, Nothlüge u. s. f. In der Sittenlehre beschreibt man die
Lüge gemeiniglich als eine Unwahrheit, welche zum Schaden des andern gereicht.
Allein, man darf nur ein wenig auf den Gebrauch Acht geben, so wird man finden,
daß diese Einschränkung ungegründet ist. Vermuthlich wollte man dadurch bloß
den harten und beleidigenden Nebenbegriff erklären, welcher diesem Worte
anklebet, um weßwillen man in der anständigern und gelindern Schreibart sich
statt desselben lieber des Wortes Unwahrheit bedienet. Anm. Bey dem Kero Lucki,
bey dem Ottfried, der es auch für Irrthum braucht, Lugina, Lugino, Lougna,
wovon noch die im Hochdeutschen veraltete Form die Lügen in der einfachen Zahl
abstammet, in welcher dieses Wort in Luthers Deutschen Bibel beständig
vorkommt; im Isidor Lugino, bey dem Notker Lugga, bey dem Hornegk Loyke, im
Nieders. Lögen, bey dem Ulphilas Liugn, im Angels. Lige, im Engl. Lie, Lye, im
Schwed. Lögn, im Dän. Logn, im Isländ. Lygn, im Pohln. Lgac. Von einer
ehemaligen noch weitern Bedeutung finden sich in einem Vocabulario von 1470
Spuren, wo Loygen durch nuga, derisio, erkläret wird, welches an das Griech.
-
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , Mährchen, Fabeln,
erinnert. (
S. das folgende.) In einem andern Vocabulario von 1477
heißt die Lüge Lugmär, eine erdichtete Mähre oder Erzählung.