Leiden
Leiden,
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2007-2008] verb. irreg. act. Imperf. ich
litte, litt, Mittelw. gelitten, Imperat. leide. 1. Eigentlich, ein Übel,
welches man nicht verhindern kann, mit Unlust empfinden. So wohl mit
ausdrücklicher Benennung des Übels. Große Schmerzen leiden. Hunger und Durst,
Frost und Hitze leiden. Noth, Mangel leiden. Gewalt, Verfolgung, Verspottung,
Verachtung leiden. Unrecht leiden. Seine verdiente Strafe leiden. Als auch
absolute, mit Verschweigung des Übels. Der Kranke leidet sehr, empfindet viele
Schmerzen. Wenn ein Glied leidet, so leidet der ganze Körper. Wer leidet, muß
verzeihen. Der leidende Theil. Von andern viel leiden müssen, Verfolgung,
Verachtung, Ungemach. Mein Herz leidet bey dieser verstellten Zärtlichkeit mehr
als du glaubst. Leiden und dafür danken ist die beste Hofkunst. 2. In weiterer
Bedeutung, doch nur in einigen Fällen, mit Verschwindung des Nebenbegriffes der
Unlust, so daß bloß der Begriff der Verursachung des Übels von außen übrig
bleibet. Schiffbruch leiden. Schaden, Verlust, Nachtheil leiden. Ingleichen
absolute. Dein Bruder würde bey diesem Handel leiden, d. i. zu kurz kommen,
Nachtheil leiden. Ehre und Tugend leiden allerdings darunter. Bey einem solchen
Betragen leidet die ganze Ordnung des Staates. 3. Etwas ohne Unlust, ohne
Widerwillen empfinden. 1) Eigentlich. Das kann ich leiden. So warm du es leiden
kannst. Ich kanns leiden, meinetwegen mag es geschehen. Das Schreyen kann ich
unmöglich leiden. Er kann diesen Menschen nicht vor Augen leiden. Jemandem um
sich leiden können, auch, ihn nicht ungern um sich haben. Im Grunde mag sie ihn
wohl leiden können, nicht ungern sehen. In welcher Bedeutung auch das
Mittelwort gelitten mit dem Zeitworte seyn gebraucht wird. Er ist in diesem
Hause wohl gelitten, man stehet ihn daselbst gern. Dieß macht bey aller Welt
gelitten. 2) Figürlich, verstatten, der Sache selbst, den Umständen, den
Absichten gemäß seyn. Dieser Wein leidet kein Wasser. So viel die Umstände
leiden. Die Sache leidet keinen Verzug. Wenn Zeit und Ort es so gelitten
hätten. 4. Im weitesten Verstande leidet dasjenige Ding, oder ist dasjenige
Ding der leidende Theil, in welchem eine Veränderung von einem andern hervor
gebracht wird; da denn leiden dem thun entgegengesetzt ist. So ist das Eisen
auf dem Amboße, oder auch der Amboß selbst, der leidende Theil, im Gegensatze
des Hammers. Und in dieser Bedeutung ist in der Sprachkunst das Passivum oder
die leidende Gattung der Zeitwörter, diejenige Gattung, da sie das Verhältnis
bey einer andern hervor gebrachten Veränderung bezeichnen, im Gegensatze der
thätigen oder des Activi. Der leidende Gehorsam, in der Theologie, welcher
gegen den beschließenden Willen Gottes, so wie der thätige gegen den
befehlenden geübt wird. 5. Geschehen lassen, daß etwas sey oder geschehe, es
nicht hindern, eine Fortsetzung der vorigen ersten und dritten Bedeutung. In
diesem Lande wird kein Wucher gelitten. Dieses kann nicht gelitten werden. In
den Preußischen Landen werden alle Religionen gelitten. Sollte ich das von ihm
leiden? 6. * Sich leiden, geduldig seyn; eine im Hochdeutschen veraltete
Bedeutung.
Ein Siech sich billig leiden soll, Auf Hofnung daß ihm bald
werd wohl, Narrenschiff bey dem Frisch.
Halt fest und leide dich, Sir. 2, 2. Leide dich als ein guter
Streiter Jesu Christi, 2 Tim. 2, 3. Anm. Bey dem Willeram lidan, in dem alten
Gedichte auf den heil. Anno lidia, im Nieders. liden, im Schwed. lida, im Dän.
lide. Ihre bemerket, daß das Lat. latum, das Zeitwortes fero hierher gehöret,
so wie das Perf. tull von dulden, ehedem dolen, ist, und fero, ferre, zu unserm
bären, tragen, gehöret. Es war ehedem auch in gemeinen Sprachgebrauche von
weiterm Umfange, und wurde, so wie das Griech. -
hier nichtlateinischer
Text, siehe Image - , von einer jeden auch angenehmen Veränderung
gebraucht. Ehedem hatte man auch ein Activum leiden, welches unmittelbar von
Leid abstammete, und Leid, d. i. Unlust, verursachen bedeutete, und schon bey
dem Notker leidon lautet. [
2009-2010]