Die Kirche
Die Kirche,
[
1581-1582] plur. die -n, Diminut.
Kirchlein, zusammen gezogen Kirchel, im gemeinen Leben der Hochdeutschen
Kirchelchen. 1. Dasjenige Gebäude unter den Christen, welches dem öffentlichen
Gottesdienste gewidmet ist; ehedem das Gotteshaus. Eine Kirche bauen,
einweihen. In dem Ausdrucke Porkirche, bedeutet es auch einen Theil der Kirche,
nähmlich das Chor. In der weitesten Bedeutung nennt man im gemeinen Leben ein
jedes zum öffentlichen Gottesdienste bestimmtes Gebäude eine Kirche; in engerm
Verstande führet nur dasjenige Gebäude dieser Art diesen Nahmen, zu welchem
eine eigentliche Gemeine gehöret, zum Unterschiede von einer Kapelle. In noch
engerm Verstande, erfordert man in manchen Gegenden zu einer Kirche auch, daß
Pfarrhandlungen in derselben vorgenommen werden können; zum Unterschiede von
einem Bethhause, in welchem dergleichen nicht Statt finden. Es wird dieses Wort
nur von solchen Gebäuden unter den Christen gebraucht. Daher es ungewöhnlich
und nicht nachzuahmen ist, wenn in der Deutschen Bibel, dergleichen
Versammlungsörter der älter Juden, ja sogar Götzentempel Kirchen genannt
werden. 2. Die Versammlung der Gemeine eines Ortes in einem solchen Gebäude zur
öffentlichen Verehrung Gottes; ohne Plural. In die Kirche gehen, den
öffentlichen Gottesdienst besuchen. Zur Kirche gehen, den öffentlichen
Gottesdienst nach einer wichtigen Begebenheit zum ersten Mahle feyerlich
besuchen, welches von neu verehlichten Personen und Kindbetterinnen geschiehet.
(
S. Kirchgang.) In die Kirche läuten, zum öffentlichen
Gottesdienste. Die Kirche versäumen. Kirche halten, im gemeinen Leben, den
öffentlichen Gottesdienst halten. 3. Die Gesellschaft oder Verbindung aller
derjenigen Personen, welche einerley geoffenbarten Lehrbegriff und darin
gegründeten Gottesdienst annehmen. 1) Eigentlich; wo dieses Wort wieder unter
mancherley Einschränkungen üblich ist. Die Kirche Gottes, alle diejenigen
Personen aller Zeiten, welche den wahren Gott wenigstens äußerlich verehren und
verehret haben wenn sie gleich in vielen Stücken von einander abweichen. Die
Jüdische Kirche, die Kirche alten Testamentes. Die christliche Kirche, die
Kirche neuen Testamentes, welche sich wiederum in verschiedene Kirchen, d. i.
Religions-Parteyen theilet. Die katholische, Römisch-katholische oder Römische
Kirche. Die Griechische Kirche. Die Evangelische Kirche, die Reformirte Kirche
u. s. f. Die wahre Kirche, deren Lehrbegriff und Gottesdienst der Offenbarung
Gottes in der heil. Schrift am gemäßesten ist; im Gegensatze der falschen
Kirche. Die sichtbare Kirche, die Gesellschaft aller derjenigen Personen,
welche eine äußere merkliche Übereinstimmung des Lehrbegriffes und des
Gottesdienstes haben; im Gegensatze der unsichtbaren Kirche, oder der
Gesellschaft aller mit Gott vereinigten Personen, deren Verbindung unter
einander nicht unmittelbar in die Sinne fällt. Die streitende Kirche, alle auf
Erden in dem Zustande des natürlichen Lebens mit Gott vereinigte Personen; im
Gegensatze der triumphirenden Kirche, deren Glieder die vollendeten Gerechten
sind. 2) In engerer Bedeutung, die Repräsentanten der Kirche, diejenigen
Personen, welche zur Vertretung ihrer Stelle verordnet sind; so wohl in der
ersten Bedeutung des Wortes, da man diejenigen Personen, welche die einer
Kirche gehörigen Güter in ihrem Nahmen verwahren, im gemeinen Leben häufig die
Kirche nennet, als auch in der letzten Bedeutung, wo, besonders in der
Römischen Kirche, die Geistlichen, und in manchen Ländern nur der Papst allein
unter dem Nahmen der Kirche verstanden werden. Anm. 1. In dieser dritten
Bedeutung ist das Wort Kirche ein rühmlicher und anständiger Ausdruck, so wie
Religions-Partey gleichgültig, Secte aber verächtlich ist. Man will daher nicht
überall fremden Religions-Parteyen den Nahmen der Kirche zu gestehen, sondern
erfordert dazu das Befugniß des öffentlichen Gottesdienstes. Bey den Katholiken
werden auch einzelne Bißthümer Kirchen genannt. Anm. 2. Dieses alte Wort kommt
in der ersten und dritten Bedeutung schon seit dem ersten Alter der Deutschen
Sprache vor. In dem Isidor lautet es Chirichhu, bey dem Kero Chirichu, im 9ten
Jahrh. Kirrichu, bey dem Notker, mit der in einigen Oberdeutschen Mundarten
nicht seltenen Verwechselung des r und l, Chilichu, Chilcha, wie noch jetzt in
der Schweiz Kilche, im Angels. Cyrice, Cyrc, im Engl. Kerk und Church, im
Nieders. Karke, im Dän. Kirke, im Schwed. Kyrka, im Pohln. Böhm. und Wend.
Cerkiew, Cirkuo. Wachter ließ sich durch das Helvetische Kilche verführen, es
von dem bey dem Ulphilas befindlichen Keliku, abzuleiten, welches daselbst so
wohl einen Thurm, als auch die letzte Abendmahlzeit Christi bedeutet. Eckard
und Frisch fallen auf das alte Harga, Haruga, ein Götzentempel; anderer noch
unwahrscheinlicher Ableitungen zu geschweigen. Die gemeinste Meinung ist bisher
die gewesen, welche dieses Wort von dem Griech. -
hier nichtlateinischer
Text, siehe Image - oder -
hier nichtlateinischer Text, siehe
Image - abstammen lässet, welches nicht nur 1 Cor. 11, 20 und Offenb. 1,
10, sondern auch bey allen nachfolgenden christlichen Griechischen
Schriftstellern so wohl einen gottesdienstlichen Tag, als auch ein
gootesdienstliches Haus, und eine gottesdienstliche Versammlung bedeutet.
Allein wider diese Meinung streitet, daß das Griechische Wort in die
Lateinische Sprache nie aufgenommen worden, daher nicht begreiflich ist, wie
und warum die ersten Deutschen Lehrer auf dieses Wort gefallen seyn sollten, da
sie sich in allen andern Fällen mit der Lateinischen Sprache behalten, und
wegen ihrer Unwissenheit in der Griechischen Sprache behelfen mußten. Es bleibt
daher Christ. Körbers Meinung immer noch die wahrscheinlichste, welcher glaubt,
daß dieses Wort eine buchstäbliche Übersetzung des Latein. und Griech. Ecclesia
sey, und daher von kören, kiefen, abgeleitet werden müsse, den Begriff der
Auswahl, des auserwählten Volkes auszudrucken, welcher in diesem Worte
herrschet; zumahl da es hundert andere Beyspiele gibt, daß man bey der
Einführung der christlichen Religion in Deutschland, die christlichen
Kunstwörter buchstäblich übersetzte, die Bedeutung des Latein.
[
1583-1584] Ecclesia auch so unbekannt nicht war, indem
Notker für Kirche in der dritten Bedeutung auch Samanunga, Vuichsamanunga, Prut
Samenunga, Prutha Menunga, gebraucht. Alsdann würde die zweyte Bedeutung die
erste eigentliche, die erste aber die letzte figürliche seyn müssen. In der
zweyten und dritten einfachen Endung wird diesem Worte, wie so vielen andern
weiblichen auf e, von manchen noch ein unnützes n angehänget, der Kirchen für
der Kirche, welches sich auch in die folgenden Zusammensetzungen eingeschlichen
hat. [
1583-1584]