Haft
Haft,
[
889-890] eine Endung, welche, wie man
glaubt, von haben abstammet, und vielen Haupt- und Zeitwörtern, wie auch
einigen Nebenwörtern angehänget wird, die dadurch zu Bey- und neuen
Nebenwörtern werden. Sie bedeutet: 1. Das Daseyn, die Anwesenheit derjenigen
Sache, welche das Wort, dem sie angehänget wird, bezeichnet. 1) Eigentlich, die
bloße Anwesenheit ohne alten Nebenbegriff zu bezeichnen; wo sie mit der Endung
-ig und -isch überein kommt, in welchem Falle sie nur Hauptwörtern zugesellet
wird. Dergleichen sind bresthaft, oder wie es gemeiniglich lautet, preßhaft,
gewissenhaft, mangelhaft, fehlerhaft, schadhaft, schmackhaft, statthaft,
herzhaft, nahmhaft, lebhaft, nahrhaft, so fern es von Städten, Örtern gebraucht
wird, frevelhaft, handhaft, lehrhaft, wofür doch jetzt lehrreich üblicher ist,
lückenhaft u. s. f. Woraus zugleich erhellet, daß diejenigen Hauptwörter,
welche sich auf -en endigen, dasselbe im Singular wegwerfen, wie in bresthaft,
schadhaft, nahmhaft, lebhaft geschiehet; gewissenhaft ausgenommen, welches es
behält. Alle diese Wörter bedeuten eine bloße Anwesenheit des Subjectes, einen
Bresten oder Gebrechen, ein Gewissen, einen Mangel, einen Schaden, einen guten
Schmack oder Geschmack u. s. f. habend. In einigen wenigen Wörtern scheinet ein
Zeitwort zum Grunde zu liegen, und da bedeuten diese Wörter so viel als das
Mittelwort der gegenwärtigen Zeit. Habhaft, für habend, den Besitz einer Sache
habend, daher dieses Wort um der Vieldeutigkeit des Zeitwortes haben willen,
für keine Tavtologie gehalten werden kann; an einem Orte wohnhaft oder seßhaft
seyn, wohnend oder ansitzend; reuhaft, eine Sache wirklich bereuend; das
veraltete bärhaft, bärend, d. i. wirklich Frucht bringend; schmerzhaft,
wirklich schmerzend. Aber in bauhaft, eine bauhafte Zeche, welche wirklich
gebauet wird, vertritt es die Stelle des Mittelwortes der vergangenen Zeit. 2)
In engerer Bedeutung, eine beständige oder doch mehrmahlige Anwesenheit des
Subjectes, gleichsam daran haftend. Sieghaft, in mehrern Fällen den Sieg davon
tragend; ein kummerhaftes Leben; glückhaft, in mehrern Fällen Glück habend;
dauerhaft, eine anhaltende Dauer habend; standhaft, eine anhaltende
Beständigkeit habend; welche insgesammt aus Hauptwörtern gebildet sind. 3) In
noch engerer und figürlicher Bedeutung, eine Neigung zu derjenigen Eigenschaft
habend, welche das Subject anzeiget, und im engsten Verstande, eine Fertigkeit
in derselben besitzend. Dahin gehören von Hauptwörtern, sündhaft, gewissenhaft,
Neigung, Fertigkeit besitzend, nach dem vorher gehenden Gewissen zu bandeln;
tugendhaft, lasterhaft, schreckhaft, geneigt, leicht erschrecket zu werden;
schwindelhaft, zum Schwindel geneigt; vortheilhaft, so fern es zuweilen für
eigennützig gebraucht wird; diensthaft, welches im Oberdeutschen für
dienstfertig üblich ist; lebhaft, so fern es von einer natürlichen Neigung
gebraucht wird; grillenhaft, zu Grillen geneigt; schamhaft, lügenhaft u. s. f.
Ingleichen von Zeitwörtern, welche in diesem Falle ihr -en oder -n wegwerfen:
boshaft, (besser boßhaft,) geneigt, sich zu erboßen, und figürlich, andern zu
schaden, haderhaft, zankhaft, im Oberdeutschen für zänkisch, spaßhaft,
frevelhaft, plauderhaft, schwatzhaft, waschhaft, plapperhaft, flatterhaft,
gaukelhaft, tändelhaft, schmeichelhaft, das veraltete krieghaft für
kriegerisch, naschhaft, polterhaft, prahlhaft, zaghaft u. s. f. Einige wenige
scheinen aus Nebenwörtern gebildet zu seyn, wie leckerhaft und wahrhaft. Nach
einer gewöhnlichen Figur bedeuten alle diese Wörter auch etwas, das in dieser
Neigung, in dieser Fertigkeit gegründet ist, daraus herfließet. Ein
gewissenhaftes Betragen, eine tugendhafte Handlung, eine lasterhafte Gesinnung,
eine prahlhafte Erzählung u. s. f. 2. In einigen Fällen theilet diese Endung
den Wörtern, welchen sie beygefüget wird, eine mehr thätige Bedeutung mit, wo
sie denn die Hervorbringung einer Sache bezeichnet. Dergleichen sind,
schmerzhaft, Schmerzen verursachend, schmerzlich, eine schreckhafte Nachricht,
welche Schrecken verursacht, eine ekelhafte Sache, eine nahrhafte Speise, eine
vortheilhafte Gelegenheit, tadelhaft, Tadel erweckend oder verdienend,
glaubhaft, Glauben verdienend, das Nieders. brüchthaftig, strafwürdig u. s. f.
3. In noch andern, deren Zahl aber nicht groß ist, vertritt sie die Stelle der
Endung -bar, und bezeichnet eine bloße Möglichkeit. Ein wohnhafter Ort, wo man
wohnen kann; eine theilhafte Sache, welche sich mit Vortheil vertheilen lässet;
arthaftes Land, welches geähret oder gepflüget werden kann; einen Acker bauhaft
machen; wehrhafte Unterthanen; dauerhaft, so fern es dauern kann; ein
lehnhaftes Gut u. s. f. 4. Weit größer ist die Anzahl derjenigen Wörter, wo es
eine bloße, bald größere, bald geringere Ähnlichkeit bezeichnet, und darin mit
den Wörtern auf -mäßig, -artig, -icht, -lich, -isch, -sam u. s. f. überein
kommt. Alle Wörter dieser Art kommen von Hauptwörtern her, wie z. B. aashaft,
angsthaft, alaunhaft, bettelhaft, bierhaft, bleyhaft, erdhaft, eisenhaft,
fieberhaft, flegelhaft, eselhaft, eiterhaft, tintenhaft, fabelhaft, gabelhaft,
geckhaft, schalkhaft, götterhaft, grillenhaft, hasenhaft, herbsthaft,
sommerhaft, winterhaft, kernhaft, kreidenhaft, laugenhaft, regenhaft,
kinderhaft, schülerhaft, meisterhaft, musterhaft, schneiderhaft, stammhaft,
pfuscherhaft, mannhaft, einem tapfern Manne ähnlich, so wie männlich nur einem
gesetzten Manne ähnlich bedeutet, u. a. m. Diese letzte Bedeutung ist beynahe
die einzige, wo man die Freyheit hat, neue Wörter dieser Art zu bilden, welches
aber auch nur alsdann Statt findet, wenn nicht schon ein gleich bedeutendes
Wort mit einer andern Endung vorhanden ist. So sagt man nicht teufelhaft,
sondern teufelisch, nicht fürstenhaft, sondern fürstlich oder fürstenmäßig. Am
weitesten erstrecket sich diese Freyheit in Ansehung der Ähnlichkeit des
Geschmackes und Geruches, wo man es beynahe allen Hauptwörtern wird anhängen
können, einen ihnen ähnlichen Geschmack und Geruch zu bezeichnen. Von der
Ähnlichkeit der innern Bestandtheile, der Bauart, gebraucht man lieber -artig,
obgleich auch laugenhaft, erdhaft u. s. f. für laugenartig, erdartig,
eingeführet sind. Von der Übereinstimmung mit einer andern Sache, ist -mäßig
[
891-892] üblicher; daher man für planhaft, regelhaft,
lieber planmäßig, regelmäßig sagt; außer wenn diese Übereinstimmung als eine
Figur der ersten Bedeutung angesehen werden kann, und alsdann zunächst in einer
Neigung gegründet bedeutet, wie tugendhaft, lasterhaft u. s. f. Anm. Diese
Endung ist alt, und kommt schon in unsern ältesten Denkmählern, obgleich noch
nicht so zahlreich vor. Sie scheinet ihren Ursprung zunächst aus der
Oberdeutschen Mundart zu haben; denn in den Niederdeutschen Mundarten und
Nordischen Sprachen trifft man sie entweder gar nicht, oder doch so selten an,
daß man sie kaum für ein einheimisches Product halten kann. Die Niedersachsen
und Holländer, wo ihre Mundart noch nicht durch die Oberdeutsche verändert ist,
gebrauchen in vielen, wo nicht den meisten Fällen achtig dafür; daher es
glaublich wird, daß -haft und -achtig, und -icht, welches aus dem letztern
zusammen gezogen ist, im Grunde eine und eben dieselbe Endung sind. Der
Übergang des Hauchlautes in den Blaselaut ist nichts seltenes. Das Oberdeutsche
after lautet im Niederdeutschen achter, Haft lautet daselbst Hacht u. s. f.
Indessen leiten Wachter, Frisch und mit ihnen fast alle Wortforscher unser
-haft von haben her, und haben dabey freylich auch viele Wahrscheinlichkeit auf
ihrer Seite.
S. die folgenden Artikel. Würde sich diese Ableitung von
-achtig einmahl mit überwiegenden Gründen darthun lassen, so ließe sich auch
begreifen, warum man den Wörtern auf -haft so gern ein der Bedeutung nach ganz
unnützes -ig anhänget; wahrhaftig, standhaftig, tugendhaftig, zaghaftig u. s.
f. Indessen kann dieses ig auch aus dem i entstanden seyn, welches man ehedem
dem haft anhängete. Redihaftiu rahha, eine vernünftige Sache, Kero, eerhafti,
fromm, ebend. unekihafti, ungesittet, ebend. forachasti, verdächtig, ebend. Im
Oberdeutschen ist diese Form sehr gebräuchlich; allein im Hochdeutschen klingt
sie niedrig, daher man sie in der edlen und anständigen Schreibart alle Mahl
vermeidet. Nur leibhaftig, d. i. körperlich, theilhaftig, Theil oder Antheil
habend, und wahrhaftig, so fern es zu einem Schwure dienet, denn außer dem sagt
man lieber wahrhaft, sind auch im Hochdeutschen üblich. Es läßt sich dieses
angehängte ig auch aus der Oberdeutschen Liebe zu langen Wörtern erklären,
welche so weit gehet, daß man zu diesem ig, besonders in der Adverbialform,
noch ein eben so unnützes lich füget; standhaftiglich, boßhaftiglich,
glaubhaftiglich, gewissenhaftiglich u. s. f. welche alle nichts mehr sagen, als
standhaft, boßhaft, glaubhaft und gewissenhaft; denn der Unterschied in den
innern Graden der Stärke, den man etwas heraus, oder vielmehr hinein grübeln
möchte, ist eine Grillenfängerey. Die Alten bildeten aus den Beywörtern auf
-haft; Hauptwörter auf e, oder, wie es bey ihnen lautet, auf i. Daher heißt die
Mäßigkeit bey dem Kero Mezhafti, die Wahrheit Warhafti. Diese Form ist
veraltet, und man gebraucht jetzt dafür die Endung -keit, vermittelst welcher
aus allen Bey- und Nebenwörtern dieser Art Hauptwörter gebildet werden können,
welche das Abstractum derselben ausdrucken, ob sie gleich nicht alle üblich
sind. Man behält alsdann die alte Endung afti, oder wie sie jetzt lautet,
aftig, welche älter ist, als aft. Die Spaßhaftigkeit, Wahrhaftigkeit,
Lebhaftigkeit, Herzhaftigkeit, Gewissenhaftigkeit u. s. f. wo niemahls
Spaßhaftkeit, Wahrhaftkeit u. s. f. gesagt wird.
S. -ig und -keit, wo von dieser Sylbe ig noch etwas
gesagt werden wird. [
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