Der Graf
Der Graf,
[
769-770] des -en, plur. die -en, Fämin.
die Gräfinn, plur. die -en, ein sehr altes Wort, welches, 1) in seinem
weitesten Umfange einen Vorgesetzen über ein gewisses Geschäft, besonders aber
einen Richter über einen gewissen Bezirk, den Präsidenten eines Gerichtes, im
mittlern Lat. Comes, bezeichnet, in welcher Bedeutung es noch in vielen
Gegenden Ober- und Niederdeutschlandes üblich ist. In Cöln ist Graf und
Scheffen noch so viel als Richter und Schöppen. In Niedersachsen, wo dieses
Wort Grefe lautet, ist es noch in vielen einzelnen Fällen üblich, den
Vorgesetzten über ein gewisses Geschäft zu bezeichnen. Daher Deichgraf oder
Deichgrefe, der Vorgesetzte oder Richter bey dem Deichbaue, Salzgraf oder
Salzgrefe, der Vorgesetzte eines Salzwerkes u. s. f.
S. auch die Zusammensetzungen Burggraf, Freygraf, Hausgraf,
Hofgraf, Holzgraf, Pfalzgraf, Kügegraf, Zentgraf u. s. f. 2) In engerer
und vorzüglicher Bedeutung führete in dem Deutschen Reiche diejenige
obrigkeitliche Person den Nahmen eines Grafen, welche einem Gaue vorgesetzet
war, und besonders das peinliche Recht in demselben zu sprechen hatte; ein
kaiserlicher Landrichter, der in seinem Gaue oder in seiner Grafschaft den
Königsbann im Nahmen des Kaisers oder Königes handhabete, und dessen Würde
anfänglich nicht erblich war, sondern von der Willkühr des Kö- niges abhing.
Als diese Grafen in dem eilften Jahrhunderte diejenige Gaue, in welchen sie die
Rechtspflege hatten, erblich und eigenthümlich überkamen, so ward aus diesem
bisherigen Amtstitel ein erblicher Ehrentitel, und das Wort Graf bezeichnete
nunmehr, 3) einen edlen Herren, welcher in der Würde unmittelbar auf den Herzog
oder Fürsten folget; und so fern er seine Grafschaft von dem Kaiser und Reiche
zu Lehen trägt, auch ein Reichsgraf genannt wird. Indessen gab es von Alters
her auch Arten von Grafen, deren Würde der fürstlichen gleich gehalten wurde,
und ihr noch jetzt gleich ist,
S. Burggraf, Markgraf, Landgraf, Pfalzgraf; wohin auch
die gefürsteten Grafen gehören, dergleichen die ehemahligen Grafen von Tirol
und Heuneberg waren. Nunmehr wird aber auch der Ehrentitel eines Grafen so wohl
von den Kaisern als auch von Königen oft Personen verliehen, welche keine
Grafschaft besitzen, dergleichen von den Kaisern auch mit dem Titel und der
Würde eines Reichsgrafen geschiehet. Anm. Dieses Wort lautet im Fränkischen
schon im 9ten Jahrhunderte Gravu, im Angels. Gerefa, im Nieders. Grefe, im
Engl. Grave, und zuweilen auch Reve, im Dän. Gräve, im Schwed. Grefwe, im
mittlern Lat. Grafio. Es ist wohl nicht leicht ein Wort, dessen Abstammung man
mühsamer nachgeforschet hätte, als dieses, und dessen ungeachtet ist doch das
Beste, was davon gesaget worden, weiter nichts als Muthmaßung. Diejenigen,
welche es von grau abstammen lassen, weil man zu Grafen nur alte erfahrne
Männer genommen, werden unter andern auch dadurch widerleget, daß das G zu
Anfange des Wortes nicht zum Stamme gehöret, sondern die Vorsylbe ge ist, wie
aus dem Angelsächsischen Refa und Engl. Reve erhellet. Spelman leitet es von
raffen her, und behauptet, daß die Grafen ursprünglich Einnehmer der
königlichen Gefälle gewesen. Wachter glaubt, es habe ehedem Gefera gelautet,
und das Latein. Comes ausgedruckt, woraus durch Versetzung der Buchstaben
nachmahls Graf geworden. Frisch lässet es von dem alten recan, regieren,
abstammen, und glaubt, daß das c nachmahls von den Blaselaut f übergegangen
sey. Ihre endlich leitet es von dem alten reffan, refsan, strafen, züchtigen,
ab, weil solches die vornehmste Obliegenheit eines Richters ist; anderer
Ableitungen zu geschweigen. Wenn man bedenkt, daß dieses Wort überaus alt ist,
und bey allen mitternächtigen Völkern angetroffen wird, daher es vermuthlich
von ihnen mit aus ihren ersten Wohnsitzen gebracht worden, so wird man gern die
Hoffnung aufgeben, dessen Abstammung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu
erforschen. Auch die heidnischen Letten nannten ihren obersten Priester, der
zugleich ihr oberster Richter war, Kriwe, und die zwölf obersten Richter,
welche Odin in Scandinavien verordnete, hießen gleichfalls Grewe.
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771-772]