Gewinnen
Gewinnen,
[
663-664] verb. irreg. Imperf, ich
gewann, Conjunct. ich gewänne; Mittelw. gewonnen; Imperat. gewinn. Es war, so
wie das einfachere winnen, ehedem in einem sehr weiten Umfange von Bedeutungen
üblich, von welchen die im Hochdeutschen noch gangbaren nur schwache Überreste
sind. Es kommt in doppelter Gestalt vor. I. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte
haben. 1. * Für gehen, wovon das Nieders. wanken, gehen, das Iterativum zu seyn
scheinet, wo nicht winnen selbst eine Art eines Intensivi von wehen, wegen,
bewegen ist, wovon durch eine sehr gewöhnliche Verwechslung der Blase- und
Gaumenlaute auch unser gehen berühret; so wie von begehen beginnen, von sehen
sinnen u. a. m. herkommen,
S. -innen. Bey dem Notker ist winnen, grassari. In
engerer Bedeutung, einen Ort durch Gehen erlangen, wohin unter andern auch das
Lat. venire gehöret. In dieser ganzen Bedeutung ist es im Hochdeutschen
veraltet, indessen ist sie doch um einiger der folgenden Bedeutungen willen zu
merken. 2. * Für arbeiten, einer Art der körperlichen Bewegung; in welcher
Bedeutung noch das Schwed. inna und winna üblich sind, wo auch Winnuman einen
Arbeiter bedeutet. Auch diese Bedeutung ist im Hochdeutschen veraltet, liegt
aber doch in einigen der folgenden zum Grunde. II. Als ein Activum, dessen
Bedeutungen theils Fortsetzungen, theils Figuren der Bedeutungen de vorigen
Neutrius sind. 1. * Handlungen oder Bewegungen vornehmen, deren Art aus dem
Beysatze oder Zusammenhange näher bestimmt werden muß; eine im Hochdeutschen
veraltete Bedeutung. Herr - gewindt von Leder ewr gut schwert, Theuerd. Kap.
38, zieht es von Leder. Theuerdank gewann von stund sein schwert, Kap. 77. Der
Held besteckt darinnen (in dem Loche) dermaß, das er nie gewinnen Mocht sein
Fueß heraus wider, ebend. daß er seinen Fuß nicht wieder heraus bringen konnte.
Einen Verbrecher aus der Stadt winnen, treiben, in den Brem. Statuten. In den
gemeinen Sprecharten ist dafür oft gleichfalls bekommen üblich. 2. Durch
Bemühung ein gewisses Ziel erreichen; nur noch in einigen einzelnen Fällen.
Einen Hügel, einen Berg gewinnen, denselben durch Anstrengung erreichen. Wir
konnten in vierzehn Tagen nicht mehr als fünf Meilen gewinnen, aller Bemühung
ungeachtet zurück legen. Ehedem sagte man auch, und wohl noch jetzt: den Wald,
das Dorf, die Stadt gewinnen, dahin gelangen. Zeit, Raum, Platz gewinnen, sich
verschaffen, sie bekommen. 3. Durch Mühe, durch Arbeit hervor bringen,
erlangen, sich verschaffen; nur in einigen Fällen. Sein Brot gewinnen,
erwerben, verdienen. Ein Fischer der mit seinen Netzen Brot und Zufriedenheit
gewann, Haged. Heu gewinnen, in der Landwirthschaft, es so wohl machen und
hervor bringen, als auch einernten, bekommen. Wir haben diese Ernte wenig
Getreide gewonnen. So auch von allen Feld- und Gartenfrüchten. Kohlen gewinnen,
durch Brennen hervor bringen. Aus dem Erze Metall gewinnen, durch Schmelzen
erhalten. So sagte man auch ehedem Habe gewinnen; 1 Mos. 12, 5. Die Thür
aufgewinnen, aufbringen, eine Stadt eingewinnen u. s. f. 4. Besonders in
einzelnen Fällen. 1) Die Oberhand über etwas erhalten, sich das Vermögen
verschaffen, gewisse Veränderungen in andern Dingen hervor bringen zu können.
(a) Überhaupt; nur noch in einigen einzelnen Fällen. Das Erz oder Erz gewinnen,
im Bergbaue, es erbrechen, los brechen. Ein Gang, welcher hart zu gewinnen ist.
Sandstein ist leicht zu gewinnen. Die Erze mit Feuer setzen, mit Schlägel und
Fäustel gewinnen. Eine Stadt mit Gewalt, mit List, durch einen Überfall
gewinnen, sie einnehmen, Könige gewinnen, Os. 11, 17, für bezwingen, sind im
Hochdeutschen veraltet. Die Oberhand gewinnen, der mächtigere Theil werden. (b)
Besonders. (aa) Durch Gewalt der Waffen, im Gefechte. Eine Schlacht, ein
Treffen gewinnen. Das Treffen ist mit leichter Mühe gewonnen worden. Wer hat
gewonnen? d. i. das Treffen. Nun haben wir gewonnen, figürlich, nun haben wir
das Schwerste überstanden. Aber, den Sieg gewinnen, ist im Hochdeutschen
veraltet. (bb) Im Wettstreite, er sey von welcher Art er wolle, gewinnet der,
der den Preis davon träget. Den Preis gewinnen. Eine Wette gewinnen. Dahin
gehöret auch der Wettstreit vor Gericht, wo derjenige gewinnet, dem vor
Gerichte das Rechst gesprochen wird. Den Prozeß gewinnen. Er hat seine Sache
gewonnen, oder er hat gewonnen. (c) Durch Liebe, durch Güte, durch
Dienstleistungen. Eines Herz gewinnen. Nach dir kann nichts hinfort mein Herz
gewinnen, Raml. Jemandes Vertrauen, Huld, Gunst, Liebe gewinnen. Das Volk durch
seine Freygebigkeit gewinnen, auf seine Seite bringen. Sie muß durch Güte
gewonnen werden, wenn ihr Schwur unkräftig werden soll, Dusch. Sie gewann ihn
ein mit ihrem glatten Munde, Sprichw. 7, 21; besser gewann ihn, oder nahm ihn
ein. (d) Durch Überredung, durch Überzeugung zum Beyfalle bringen. Höret er
dich, so hast du deinen Bruder gewonnen, Matth. 18, 15. Den Jüden bin ich
worden als ein Jüde, auf daß ich die Jüden gewinne, 1. Co. 9, 20, 21, 22. 2)
Durch Arbeit oder Bemühung Überschuß über seine Kosten im Handel und Wandel
erlangen, wo man nur alsdann gewinnet, wenn man mehr für eine Waare bekommt;
als sie uns an Auslage und Unkosten zu stehen kommt; im gemeinen Leben
verdienen. Wir gewinnen an dieser Waare nicht viel, an dieser Waare ist nicht
viel zu gewinnen. Wir haben zehen Thaler daran gewonnen. Bey der Sache ist was
zu gewinnen. Die Zeiten sind so schlecht, es ist nichts mehr zu gewinnen. Aber,
in einer Stadt gewinnen, in derselben etwas zu erwerben suchen, Jac. 4, 13, ist
im Hochdeutschen ungewöhnlich. 3) Durch Wagen erlangen, wo der Begriff der
Arbeit oft verschwindet, und an dessen Statt der Begriff des Glückes
[
665-666] eintritt, von allen Arten von Spielen, sie
mögen nun eigentliche Glücks- oder auch andere Spiele seyn. Es wird alsdann so
wohl von dem Spiele gebraucht, in welchem man der siegende Theil ist, ein Spiel
gewinnen, das Spiel gewinnen, ingleichen absolute, Cajus hat gewonnen, nehmlich
das Spiel; als auch von dem Gelde oder der Sache, die man dadurch erlanget,
zehen Thaler gewinnen, und auch hier absolute, Cajus hat gewonnen, Decius aber
verloren, Cajus hat in dem Spiele Geld gewonnen, Decius aber verloren. Das
große Los in der Lotterie gewinnen. Das Spiel schlug ihm ein, und er gewann
außerordentlich. Einem ein gewonnen Spiel machen, auch figürlich im gemeinen
Leben, machen, daß er seine Absicht mit leichter Mühe erreicht. Einem gewonnen
Spiel geben, bedeutet zuweilen eben dasselbe, zuweilen aber auch erkennen, daß
der andere gewonnen habe, sein Vorrecht, seine Übermacht erkennen, welches man
auch durch einem gewonnen geben, ausdruckt. Wie gewonnen, so zerronnen. 5. Im
weitesten Verstande, eine gewisse Veränderung erleiden, welche durch den
Accusativ ausgedruckt wird, wie bekommen. Ein Ansehen gewinnen, bekommen. Die
Sache soll bald ein anderes Ansehen, eine andere Gestalt gewinnen. Es gewinnet
den Anschein, als wenn u. s. f. Das Bild wird bald mehr Ähnlichkeit gewinnen.
Geschmack an etwas gewinnen. Meine Liebe gewinnet dadurch einen großen Zuwachs.
Ein Ende gewinnen, geendigt werden. Wenn wird die Sache einmahl einen Anfang
gewinnen? Ich hoffe, die Sache soll noch den besten Fortgang gewinnen. Einen
traurigen Ausgang gewinnen. Die unpersönliche Wortfügung: es wird mit der Sache
einen guten, einen schlechten Ausgang gewinnen, läßt sich auf keine Weise
empfehlen. Eine Person oder Sache lieb gewinnen, ist vielleicht der einzige
Fall, da es in dieser Bedeutung mit einem Adverbio verbunden wird. Viele
ähnliche Arten des Ausdruckes sind im Hochdeutschen veraltet, außer daß einige
noch zuweilen bey den Dichtern vorkommen, aber gemeiniglich bloß um der
Bequemlichkeit des Reimes willen. Die Königin groß Schrecken gewann, Theuerd.
Einen Sohn gewinnen, bekommen. Ablaß gewinnen; jemanden zum Gevatter gewinnen;
beyde noch im Oberdeutschen. Die Bauerschaft gewinnen, Bauer werden, im
Nieder-Sächsischen. Der Flachs hat Knoten, der Feigenbaum Blätter, der
Weinstock Augen gewonnen; einen Riß gewinnen; Lücken gewinnen; eine Zuversicht
gewinnen; ein Herz zu arbeiten gewinnen, und andere Ausdrücke mehr sind eben so
ungewöhnlich geworden. 6) Besonders Nutzen gewinnen, eine vortheilhafte
Veränderung erleiden, wo es theils absolute steht, theils mit den Adverbiis
viel, wenig u. s. f. verbunden wird. Wenn sie ein wenig geschmeidiger seyn
wollen, so wird ihre gute Sache viel gewinnen. Durch die Feile kann deine
Schreibart noch manches gewinnen. Gewinnt nicht unser Vergnügen schon, wenn wir
es einem Freunde erzählen? Man sagt von einer Person, sie habe gewonnen, wenn
sich ihre äußere Gestalt gebessert hat, so wie man im Gegentheile sagt, sie
habe verloren. Das Hauptwort die Gewinnung ist nur in der 3ten und 4ten
Bedeutung üblich. Die Gewinnung des Heues, des Erzes u. s. f. Anm. Ottfried
gebraucht uuinnan und giuuinnan schon für nehmen, annehmen, erwerben, fechten,
streiten u. s. f. von welcher letztern Bedeutung noch die Bedeutung des Sieges
herstammet. Ja auch für stechen, verwunden, kommt es bey dem-
[
665-666] selben vor. Im Schwedischen lautet es bald
winna, bald durch eine gewöhnliche Verwechslung der Blase- und Gaumenlaute
hinna, bald mit Weglassung beyder nur inna. Selbst das Franz. gagner, Gain, im
mittlern Lat. guadagnare, gehöret hierher, indem es ehedem nur Vain lautete.
Auch im Schwed. ist Gagn Gewinn, Vortheil, Sieg, bey dem Ulphilas gageigan
gewinnen, im Griech. $, Lat. vinco, ich siege, welche nebst taufend andern am
Ende alle zu dem weitläufigen Geschlechte dieses Wortes gehören. Im Deutschen
wird das eine n häufig in ein d verwandelt, wie in winden, erwinden,
überwinden, verwinden u. s. f. Selbst finden, Lat. invenire, gehöret hierher,
viele anderer zu geschweigen. [
665-666]