Führen
Führen,
[
343-344] verb. reg. act. welches das
Factitivum des Neutrius fahren ist, fahren machen. 1. Eigentlich die Richtung
der Bewegung eines Dinges bestimmen, besonders in folgenden Fällen. 1)
Vermittelst eines Fuhrwerkes, Fahrzeuges oder auf ähnliche Art von einem Orte
zum andern schaffen. Waaren aus dem Lande führen. Waaren zu Markte führen,
vermittelst eines Fuhrwerkes. Korn, Steine, Kohlen zur Stadt führen, in die
Stadt fahren. Und sie ließen die Lade Gottes führen auf einem neuen Wagen, 2
Sam. 6, 3. Also nahm Mose sein Weib und seine Söhne, und führete sie auf einem
Esel, 2 Mos. 4. 20. Personen, Güter über einen Fluß führen, auf einem Kahne,
Schiffe u. s. f. Geld aus dem Lande führen. Dahin gehöret auch die Redensart,
wenn man von Kauf- leuten sagt, daß sie seidene Waaren, Eisenwaaren, Bücher,
Spezereyen u. s. f. führen, wenn sie damit gewöhnlich handeln; welches von den
ehemaligen wandernden Kaufleuten hergenommen ist, welche ihre Waaren im
eigentlichen Verstande mit sich herum führeten.
S. Buchführer. 2) Den Gang oder die Bewegung, eines
lebendigen Geschöpfes durch physische Mittel bestimmen. Einen Blinden führen,
leiten. Ein Kind am Leitbande führen. Einen bey der Hand, an der Hand führen.
Führ ihn an deiner Hand, 1 Mos. 21, 18. Der Mosen bey der rechten Hand führete,
Es. 63, 12. Einen Dieb in das Gefängniß führen. Einen Verbrecher, ein wildes
Thier an einer Kette, ein Pferd an einem Stricke führen. Einen Hund am
Hängeseile führen. Einen Übelthäter zum Galgen, zum Richtplatze führen. Das
Vieh auf die Weide, zur Tränke führen. 2. Figürlich. 1) Die Bewegung eines
leblosen Körpers und deren Richtung bestimmen. Den Wagen führen. Der Steuermann
führet das Schiff in den Hafen. Einem Kinde die Hand führen. Er weiß den Degen
geschickt zu führen. Wer hat die Feder hierbey geführet, wer hat diesen Aufsatz
verfertiget? Das Mitleiden hat seine Feder geführet, er hat aus Antrieb des
Mitleidens geschrieben. Den Pinsel gut zu führen wissen. Einen Streich führen.
Der Staub wurde von dem Winde in die Luft geführet. 2) Nach einer gewissen
Richtung verfertigen. Einen Zaun, einen Graben, einen Wall führen. Eine Mauer
um eine Stadt, um einen Platz führen. Eine Mine bis unter das Bastion führen.
Die Laufgraben bis an die Contrescarpe führen. 3) Der Weg führet nach der
Stadt, gehet nach der Stadt, auf diesem Wege kommt man zur Stadt. Der Weg
führet in das Holz. Der Gang, der zur Treppe führet. Die eiserne Thür, welche
zur Stadt führet, Apostg. 12, 10. 4) Durch Zeigung des Weges, Befehl,
Überredung u. s. f. die Bewegung einer Person oder Sache und deren Richtung
bestimmen. (a) Durch Zeigung des Weges. Einen Verirreten auf den rechten Weg
führen, ihn auf den rechten Weg bringen. Aber, ihn auf dem rechten Wege führen,
ihn so führen, daß er immer auf dem rechten Wege bleibe. Dein guter Geist führe
mich auf ebener Bahn. Statt dieser Wortfügung ist im Hochdeutschen auch die
vierte Endung mit Auslassung des Vorwortes üblich. Ich will dich den rechten,
den besten, den kürzesten Weg führen. Einen die rechte Straße führen. Im
Oberdeutschen auch mit der zweyten Endung: ich will dich des Weges führen, Es.
37, 29. Einen Gesandten zur Audienz führen. (b) Durch Begleitung. Einen Fremden
in sein Haus führen. Eine Braut zur Kirche, in die Kirche führen. Einen
Deliquenten zum Tode führen. Und warum ließest du dich ihn (von ihm) zum Altare
führen? Weiße Ein Frauenzimmer führen. (c) Durch Gründe, durch Beredung. Einen
auf das Eis führen, um die Fichte führen, d. i. ihn durch listige Beredung
hintergehen. Jemanden in Versuchung führen, ihn in Noth, ins Verderben führen.
(d) Durch Befehl. Gott führet die Wolken über die Erde, 1 Mos. 9, 14. Die
Truppen in das Feld, in die Schlacht, zum Sturme, in das Lager führen, sie bey
diesen Vorfällen commandiren. Wo man auch dieses Zeitwort zuweilen absolute für
commandiren gebraucht. Die Armee führen, ihr Befehlsheber seyn. (e) Durch den
Vorgang der erste seyn, dem die andern nachfolgen. Den Tanz, den Reihen führen.
Die Marschälle führeten den Trupp. [
345-346] 5)
Veranlassen, die Ursache einer Wirkung seyn; eine Fortsetzung der vorigen
Figur. Ein Seufzer führete ihn an das Bett. Die Tugend führet nicht allemahl
zur Ehre. Diese Meinung führet zur Ketzerey. Das führet mich wieder auf den
vorigen Gegenstand. Einem etwas zu Gemüthe führen, ihm dasselbe nachdrücklich
vorstellen. Sich etwas zu Gemüthe führen, im Scherze, es zu sich nehmen; z. B.
sich eine Bouteille Wein zu Gemüthe führen. Die Selbstliebe hatte sie vor den
Spiegel geführet. Wir werden durch große Mühseligkeiten nicht selten zu einem
dauerhaften Glücke geführet, Gell. Ists möglich, daß die Wuth sie bis nach Wien
führen kann? Ein Verstand, der der Tugend des Herzens nicht aufhilft - führet
zum Unglauben, Gell. 6) Eine Sache nach ihren Umständen anordnen, derselben
vorgesetzet seyn, sie verwalten; eine Fortsetzung der vorigen Figuren. Das
Regiment, die Regierung führen. Du führest meine ganze Haushaltung. Den Tact
führen, schlagen. Die Aufsicht über etwas führen. Eine Rechnung führen;
S. Rechnungsführer. Einen Bau führen, demselben
vorgesetzet seyn. Ein Amt führen, bekleiden. Die Sache der Wahrheit und der
Religion führen, vertheidigen. Einen Prozeß führen, als Sachwalter; in einem
andern Verstande auch als Partey, einen Prozeß haben, so wie man auch sagt,
Krieg führen. Krieg wider jemanden führen. Der Krieg wird mit vieler Wuth
geführet. Eines Gewissen führen, leiten. Eine Intrigue führen, veranstalten und
anordnen. Gott führet die Seinen wunderlich, veranstaltet alle ihre
Veränderungen auf eine wunderbare Art. Das Wort führen, im Nahmen der übrigen
sprechen; ingleichen eines Wort führen, für ihn sprechen, zu seinem Besten
reden. Vermengen sie mich nicht mit der Närrinn, deren Wort ich führe, Less. 7)
In sich enthalten, an und bey sich tragen; obgleich nur in einigen Fällen, wo
dieses Zeitwort zugleich die Gestalt eines Neutrius hat, wenigstens ist in
denselben das Passivum nicht gebräuchlich. (a) Enthalten. Der Fluß führet Eis,
gehet mit Eise, oder hat zerbrochene Eisschollen. Der Teich führet Hechte,
Karpfen u. s. f. enthält Hechte u. s. f. Der Rhein führet mehr Wasser als der
Main. (b) Zum Gebrauche bey sich tragen. Geld bey sich führen. Verbothene
Waffen bey sich führen. Was führen die Türken für Gewehr? Streitbare Männer,
die Schild und Schwert führen konnten, 1 Chron. 6, 18. Die alle Schilde und
Helmen führeten, Ezech. 38, 5. Die Bienen führen Honig, wenn sie Honig sammeln.
Der Bergmann führet allerley Gezähe (allerley Werkzeug) mit sich in die Grube.
(c) Haben; gleichfalls nur in einigen Fällen. Einen gewissen Nahmen, einen
gewissen Titel führen. Einen Adler, einen goldenen Stern u. s. f. im Wapen
führen. Daher gehöret auch die figürliche von dem Wapenschilde und dessen Figur
entlehnte R. A. Etwas im Schilde führen, ein Vorhaben haben, damit umgehen;
gemeiniglich im nachtheiligen Verstande. Ich weiß noch nicht, was er im Schilde
führet, was seine Absicht ist. Etwas im Sinne führen. Thaz thu in muate fuaris,
welches du im Sinne führest, sagte schon Ottfried. Allerley Gedanken führen.
Eine widrige Meinung führen, hägen. (d) Was führen sie da für Reden? was für
Reden bringen sie vor? Erwacht sie, so wird sie gewiß ihren Romeo im Munde
führen, Weiße, sie wird ihn nennen, von ihm reden. Führen nicht alle
Mannspersonen eben die Sprache, die er führet? Man muß seine Gelehrsamkeit
nicht immer im Munde führen. Gottes Nahmen unnütz führen, d. i. gebrauchen,
Sir. 23, 9. [
345-346] Einerley Rede führen, 1 Cor. 1,
10. Klage über eine Person oder Sache führen, darüber klagen. 8) Ein elendes
Leben führen, elend leben. Ein unverständiges Leben führen, Weish. 12, 23. Ein
heiliges Leben führen, Kap. 6, 30. Ein stilles, ruhiges, glückliches Leben
führen. Sie führen eine sehr unzufriedene Ehe mit einander. Gedenken sie mit
ihr eine zufriedene Ehe zu führen? Daher die Führung,
S. solches besonders an seinem Orte. Anm. Dieses Wort
lautet im Nieders. fören, im Schwed. föra, im Isländ. faera, bey dem Ottfried,
Notker und Kero fuoran, fuaren, bey welchen es aber auch setzen, ingleichen,
als ein Neutrum, gehen, bedeutet, und alsdann für das Neutrum fahren stehet. Es
ist sehr wahrscheinlich, daß es so wohl mit dem Vorworte vor oder für, als auch
mit dem alten Verbo bären, tragen, Lat. ferre, Griech. -
hier
nichtlateinischer Text, siehe Image - , verwandt ist, wie unter andern auch
aus der siebenten figürlichen Bedeutung erhellet. Mehrere figürliche
Bedeutungen des Zeitwortes führen kommen in den Zusammensetzungen Abführen,
Anführen, Aufführen, Ausführen u. s. f. vor. [
345-346]