Die Erkenntniß
, plur. inus. und in Einem Falle das Erkenntniß, des -sses,
plur. die -sse, von dem Verbo erkennen. 1. Die Handlung des Erkennens, die
Handlung, wodurch die Vorstellung einer Sache in uns gewirket wird, in der
zweyten und dritten Bedeutung des Verbi; anstatt des ungewöhnlichen
Erkennung, und ohne Plural. Zuweilen auch die Abfassung eines Urtheils, eines
Ausspruches, da es denn gemeiniglich in dem ungewissen Geschlechte gebraucht
wird. Zu dem Erkenntnisse in einer Sache schreiten, zur Abfassung des Urtheiles
schreiten. Noch mehr aber, 2. die Vorstellung selbst, welche man von einer
Sache hat; gleichfalls ohne Plural. 1) In der zweyten und dritten Bedeutung des
Verbi. Eine dunkele, klare, deutliche, undeutliche Erkenntniß von einer
Sache haben. Die anschauende Erkenntniß, die Vorstellung der Sache selbst;
zum Unterschiede von der figürlichen Erkenntniß, welche in der
Vorstellung einer Sache durch Zeichen und Wörter bestehet. Die lebendige
Erkenntniß, welche auf den Willen wirket; zum Unterschiede von der todten,
welche keine Bewegungsgründe für den Willen gewähret. Die
Erkenntniß der Wahrheit. Zur Erkenntniß der Wahrheit kommen, die
Wahrheit erkennen lernen. Eine große, tiefe Erkenntniß von etwas
haben. Zur Erkenntniß gelangen. Wozu hilft dir diese Erkenntniß? Die
Erkenntniß Gottes, so wohl die Vorstellung, welche Gott von allen Dingen
in der Welt hat, als auch unsere Vorstellung von dem göttlichen Wesen.
Wenn von Erkenntniß körperlicher oder sinnlicher Dinge die Rede ist,
so ist in dem gemeinen Sprachgebrauche das einfache Kenntniß
üblicher. Daher, der Erkenntnißgrund, woraus man eine Sache erkennet,
das Erkenntnißvermögen, u. s. f. 2) In der achten Bedeutung des
Verbi, die Vorstellung, welche auf den Willen wirket, in der Theologie die
lebendige Erkenntniß; doch nur in einigen Fällen. Die Erkenntniß
seiner Sünden, seines Elendes, seines Unrechtes, welche mit der Reue
verknüpfet ist. Zur Erkenntniß kommen, seinen Fehler, sein begangenes
Unrecht einsehen und bereuen. Im Oberdeutschen gebraucht man es auch von der
Empfindung der Verbindlichkeit zur Dankbarkeit, und von der Dankbarkeit selbst;
die Erkenntniß der empfangenen Wohlthaten; zur Erkenntniß der dem
gemeinen Wesen geleisteten Dienste; allein im Hochdeutschen ist dafür
Erkenntlichkeit üblich. 3) In der siebenten Bedeutung des Verbi.
Fastnachthühner werden zur Erkenntniß der Oberherrschaft gegeben, zum
Zeichen, daß man die Oberherrschaft über sich erkenne. 4) Ein
Urtheil, besonders ein Urtheil eines gesetzten oder selbst erwählten
Richters, in der Sprache der Kanzelleyen. In dieser Bedeutung ist es selbst im
Hochdeutschen durchgängig als ein Neutrum üblich, wie es denn auch in
derselben den Plural leidet. Auf des Ra- [
1907-1908] thes
Erkenntniß. Die Strafe soll nach dem Erkenntnisse der Richter gemildert
werden. Des Kaisers Erkenntniß, Apostelg. 25, 21. 3. Der Inbegriff aller
unserer klaren und deutlichen Vorstellungen; gleichfalls ohne Plural. Die
Ungewißheit der menschlichen Erkenntniß. Das ist über seine
Erkenntniß.Anm. Dieses Wort wird von einigen ohne Grund
Erkänntniß geschrieben, als wenn es von dem Mittelworte erkannt
herkäme;
S. Bekenntniß. In einigen Gegenden ist es auch
außer der Bedeutung eines Urtheiles ungewissen Geschlechtes, welches
zuweilen auch von Hochdeutschen Sriftstellern nachgeahmet worden. Das
Erkenntniß Gottes, Opitz. Der Baum des Erkenntnisses Gutes und Böses.
Wem soll er denn lehren das Erkenntniß? Es. 28, 9. Solches Erkenntniß
ist mir zu wunderlich und zu hoch, Ps. 136, 6. Ich wollte wünschen,
daß sie ein anschauendes Erkenntniß davon hätten, Gell. Indessen
hat es doch in der Deutschen Bibel in den allermeisten Fällen das
weibliche Geschlecht. Gottsched gab die Regel, daß dieses Wort, wenn es
subjective das Vermögen, etwas zu erkennen, bedeute, ein Neutrum sey, wenn
es aber objective die Sache bezeichne, die man erkennet, als ein Fämininum
gebraucht werde. Allein Erkenntniß wird niemahls weder von dem
Vermögen, noch von der erkannten Sache, sondern am häufigsten von der
Vorstellung einer Sache gebraucht. Selbst in den von ihm angeführten
Beyspielen, das Erkenntniß des Menschen ist geringe, er hat von den
neuesten Büchern eine feine Erkenntniß, ich suche mir von allen
Dingen eine Erkenntniß zu erwerben, bedeutet dieses Wort weder ein
Vermögen, noch die erkannte Sache, sondern die Vorstellung von der Sache,
und den ganzen Inbegriff klarer und deutlicher Vorstellungen. Es fällt
also die ganze Regel, die ohnehin bloß willkürlich ist, von sich
selbst weg. Den einzigen Fall eines richterlichen Ausspruches ausgenommen, ist
es im Hochdeutschen jederzeit ein Fämininum.
S. Bekenntniß und -Niß. [
1909-1910]