4. Er
, eine Endsylbe der Deutschen Nennwörter, welche theils zu
ihrer Bildung, theils zu ihrer Beugung dienet.I. Was die Bildung betrifft, so
ist sie eine derjenigen Endsylben, durch welche die Deutsche Sprache mit einer
Menge neuer Wörter bereichert worden, und zum Theil noch bereichert werden
kann.1. Die meisten Wörter dieser Art sind Hauptwörter, doch scheinet
die Endsylbe in denselben nicht überall von einerley Ursprung und
Bedeutung zu seyn.1) In einigen ist sie sehr deutlich das alte Hauptwort Er,
ein Mann, und alsdann wird sie dem weiblichen oder vielmehr dem
gemeinschaftlichen Geschlechte verschiedener Thiere angehänget, das
männliche zu bezeichnen. Der Anter, von Änte oder Ant, der Er, oder
Mann der Änte. Der Ganser, von Gans. Der Täuber, von Taube. Der
Kater, von Katze, Nieders. Kat. Einige Mundarten hängeten dem er noch
ihren Hauchlaut an, und da ward aus Anter, Ganser, Täuber u. s. f.
Änterich, Gänserich, Täuberich.2) In vielen andern bedeutet sie
eine Person männlichen Geschlechtes, die etwas thut, oder ihr
Geschäft aus derjenigen Verrichtung macht, die das Wort, dem sie
angehänget wird, bezeichnet. Die Wörter dieser Art sind, (a) aus
Zeitwörtern gebildet, indem die Endsylbe en des Infinitives weggeworfen,
und dafür die Sylbe er angehänget worden. Bader, von baden,
Bäcker von backen, Bettler, Bauer, der das Feld bauet, Färber,
Henker, Jäger, Lügner, Mahler, Richter, Schneider, Träger,
Diener, Läufer, Vater, Lehrer, und tausend andere. Oder (b) aus
Nennwörtern, wie Einsiedler, von Einsiedel, Gärtner von Garten,
Gesellschafter, Hüter, der Hüte verfertiget, von Hut, Sattler,
Riemer, Seiler, Sporer, Thäter, Bothschafter, der Bothschaft bringet,
Barfüßer, der barfuß gehet, Schäfer, der die Schafe
hüthet, Bürger u. s. f. Ingleichen die Oberdeutschen Eyerer,
Hühnerer, Häringer, [
1847-1848] Schmälzler u.
s. f. der Eyer, Hühner, Häringe, Schmalz verkauft. In vielen nimmt
die Sylbe er noch das n voran; wie in Schuldner, Bündner, der in Bunde
stehet, Büttner, von Butte, Glöckner, Kellner, Zöllner, Mautner,
Meßner, Pförtner u. s. f. In einigen schleichet sich auch der vorhin
schon gedachte Hauchlaut mit ein, Wütherich, für Wüther, der da
wüthet.Aus allen Wörtern dieser Art kann ein Fämininum durch
Anhängung der Sylbe inn gebildet werden. Baderinn, Bäckerinn,
Bettlerinn, Lügnerinn u. s. f.Daß die Sylbe er in diesen Wörtern
kein anderes Wort ist, als das schon gedachte alte Er, Mann, erhellet unter
andern auch daher, daß diesen Wörtern statt der Sylbe er oft auch die
Sylbe mann angehänget wird, ohne ihre Bedeutung zu ändern.
Bürger und Burgmann, Schuldner und Schuldmann, Reiter ehedem auch
Reitmann, Bauer ehedem auch Baumann, Bettler und Bettelmann, Kaufer und
Kaufmann, Schiffer und Schiffmann, Arbeiter und Arbeitsmann u. s. f. Hieher
gehören auch viele Lateinische Wörter auf -er, besonders aber die
Verbalia auf -or, wie adulator, apparitor, adorator, amator u. s. f.3) Eben
dieselbe Bedeutung hat diese Sylbe auch, wenn sie den Nahmen der Länder
und Städte angehänget wird, die Herkunft einer Person, zuweilen auch
eines Thieres und leblosen Dinges anzudeuten. Ein Römer, der aus Rom
gebürtig ist; so auch ein Frankfurter, Hamburger, Holsteiner, Berliner,
Leipziger, Österreicher, Schweizer, Engländer, Holländer,
Märker, Pfälzer u. s. f. Die sich auf e, en, und n endigen, werfen
solches vor dieser Zusammensetzung gemeiniglich weg, wie Lothringer von
Lothringen, Spanier, Thüringer; nur Meißen behält solches, ein
Meißener oder Meißner. Andere nehmen ein n eigenmächtig an, wie
Gothaner, von Gotha, anderer Veränderungen nicht zu gedenken. Indessen
darf diese Zusammensetzung nicht willkührlich versucht werden, weil viele
Gentilia in andern Formen hergebracht sind; z. B. ein Böhm, Kroat,
Däne, Preuße, Pommer, Franke, Franzose, Pohle, Sachse, Schwede,
Tartar, Deutscher, nicht Deutschländer, Ungar, Westphale, Indianer,
Italiäner, Jenenser, Hallenser, u. s. f. Übrigens lassen sich von
allen diesen Gentilibus auf -er auch Fäminina auf -inn bilden.
Römerinn, Frankfurterinn, Schweizerinn, Tirolerinn u. s. f.Oft werden die
Gentilia auf -er wie Beywörter gebraucht; Schweizer Käse,
Nürnberger Witz, Straßburger Geschütz, Hamburger Rindfleisch,
Leipziger Lerchen, Braunschweiger Würste, Berliner Blau, die Wiener
Landwehre. Allein diese Art des Ausdruckes macht die gedachten Wörter
gewiß nicht zu wahren Beywörtern. Sie stehen vielmehr nach Art der
Lateiner in der unbestimmten zweyten Endung des Plurals, gleichsam Käse
der Schweizer, so wie man auch in andern Fällen sagt, wer Menschen Blut
vergießt, Weiber Zorn ist heftig, Gottes Güte, Herren Dienst geht vor
u. s. f. Daher man sie allenfalls auch mit dem Verbindungszeichen schreiben
könnte. Meißner-Porzellän, Berliner-Blau, Berger-Thran,
Berger-Fische.4) Nach sehr gewöhnlichen Figuren bedeutet die jetzt
gedachte Endsylbe er, besonders so fern sie eigentlich jemanden ausdruckt, der
etwas thut, auch, (a) das Werkzeug, womit etwas gethan wird. Kiefer, maxilla,
Bohrer, Schnitzer, Hammer, Klammer, Leuchter, Folter, Halfter, Zünder,
Klapper, Leyer u. s. f. Daß dieses er in manchen Wörtern in el
übergehet, ist schon bey dieser Ableitungssylbe angemerket worden. (b)
Dasjenige, was gethan oder hervor gebracht wird. Der Donner,Fehler, Seufzer,
Ableger, Absenker, Ausputzer u. s. f. (c) Den Gegenstand, dem etwas gethan
wird. Der Ächter, der geächtet wird, Tagelöhner, der Tagelohn
empfängt u. s. f. (d) Den Gehalt, das Alter u. s. f. besonders bey
Zahlwörtern. Ein Zweyer, eine Münze, welche zwey Pfennige hält,
ein Dreyer, ein Sechser, ein Siebener, eine Münze von sieben Kreuzern, ein
Funfzehner, ein Siebzehner, eine Münze von funfzehen, von siebzehen
Kreuzern, ein Achter, von acht Pfennigen; ein Einer oder Einser, die Zahlfigur
eins; ein Achtziger, ein Mann von achtzig Jahren; ein Zentner, ein Gewicht von
hundert Pfunden u. s. f. Dahin gehören auch die Wörter, ein Achter,
ein Vierer, ein Sechziger u. s. f. ein Mitglied einer Gesellschaft von acht,
vier, sechzig Personen anzudeuten, wofür an andern Orten Achtmann,
Viermann u. s. f. üblich ist. (e) Ein Abstractum. Die Feyer, die Dauer,
die Heuer, Miethe u. s. f. (f) In manchen Wörtern ist die Bedeutung dieser
Sylbe freylich noch dunkel, wenigstens ungewiß, zu welchem der vorhin
gedachten Fällen sie zu rechnen ist; wie in das Wetter, der Jammer, der
Sommer, das Ufer, das Wasser, die Ader, die Natter, der Hafer, der Schlummer,
das Alter u. a. m. gehören. Doch bey einer genauern Untersuchung wird
vielleicht noch vieles von der vorgegebenen Dunkelheit verschwinden.5) In
einigen Wörtern ist sie aus Aar, ein großer Vogel, entstanden, wie in
den Nahmen Adler, Sperber, Reiher, Geyer, für Adelaar, Sperbaar u. s. f.
In andern ist sie das verkürzte Herr, wie in Junker, für junger Herr,
Pfarrer, für Pfarrherr, Kastener, für Kastenherr. In noch andern ist
sie bloß aus der Endung -ern mancher Zeitwörter mit Wegwerfung des n
gebildet worden. Das Geklapper, von klappern, das Geklimper, von klimpern.
Endlich gibt es auch viele Wörter, wo sie fremden Ursprunges ist.
Dergleichen sind Kaiser von Caesar, Kerker von carcer, Körper von corpus,
Priester von Presbyter, Fenster von fenestra, Zepter von sceptrum, Fieber von
febris, Pflaster von emplastrum, Pulver von pulvis, Letter von littera u. s.
f.Die meisten Hauptwörter auf er bleiben im Hochdeutschen in der ersten
Endung des Plurals unverändert, der Bürger, die Bürger, der
Adler, die Adler, außer daß einige den vorher gehenden Selbstlaut
verändern, der Bruder, die Brüder, der Vater, die Väter. Einige
nehmen im Plural ein n an. Der Vetter, die Vettern, die Schwester, die
Schwestern. Im Oberdeutschen hängt man den erstern noch ein e an,
vermuthlich um den Plural desto sicherer von dem Singular zu unterscheiden. Die
Bürgere, die Bürgermeistere, die Besitzere. Und dieß auch wohl
bey solchen Wörtern und in solchen Endungen, wo keine Verwechselung zu
befürchten ist. Den Töchteren, die Brüdere. Einige Hochdeutsche
Kanzelleyen ahmen solches gleichfalls nach; allein alle Mahl zu einem
großen Ärgernisse seinerer Ohren.2. Es gibt aber auch Beywörter,
die sich in der ersten Staffel mit dieser Sylbe endigen, wie bitter, finster,
sauer, sauber, u. s. f. wo aber der eigentliche Sinn derselben nicht so leicht
mit Gewißheit zu bestimmen seyn möchte.3. Hier muß auch des
Oberdeutschen Gebrauches gedacht werden, wo man sich dieser Sylbe bedienet,
Nebenwörter aus Bey- und Mittelwörtern zu bilden. Er ist so kranker
fortgereiset, für krank. Er hat mich unbekleideter angetroffen. Sie wurde
todter hinaus getragen. Wir haben ihm die Nothdurft wiederhohlter zu erkennen
gegeben. Die Hochdeutschen kennen dergleichen Nebenwörter nicht.
S. -en, wo einer ähnlichen Bildung der
Nebenwörter gedacht worden.II. In Ansehung der Beugung ist diese Endung
bey den Nennwörtern von einem großen Gebrauche. [
1849-1850] 1. Die Beywörter nehmen sie an, wenn sie ohne den bestimmten
Artikel stehen, und zwar das männliche Geschlecht in der ersten Endung des
Singulars, großer Mann, weißer Zucker, ein junger Mensch, das
weibliche aber in der zweyten und dritten des Singulars, meiner Seele eitler
Ehre Tant, zu großer Ehre. Alle drey Geschlechter aber bekommen sie in der
zweyten Endung des Plurals, wenn selbige keinen Artikel vor sich hat,
grüner Gärten Pracht, voller Fluren Reitz, frommer Kinder
Wohlergehen. Es ist wohl gewiß, daß er hier der alte Articulus
postpositivus er ist, der statt des präpositivi der in den nordischen
Sprachen noch merklicher ist, bey uns aber nur noch einige wenige Spuren
zurück gelassen hat.
S. 1. Der 4. und 2 Er.2. Ist diese Endung ein
allgemeiner Comparativ aller Adverbien, welche dieselbe dem Positivo
anhängen, und dadurch den Comparativ bilden; klein, kleiner, arm,
ärmer, groß, größer. In der Declination bekommt dieses er
allerley Zusätze. Der größere Mann, dein ärmerer Bruder,
ein feinerer Leib, eine bessere Gestalt. Bey den Griechen lautet diese
vergleichende Endung -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , bey den Lateinern or, und bey den Angelsachsen er, era,
or. Woher dieses er abstamme, und was es eigentlich bedeute, will ich hier
nicht untersuchen; es scheinet das alte Nebenwort er, eher, zu seyn,
S. Ehe.3. Wenigstens eben so wichtig ist das Amt dieser
Endung, wenn sie bey vielen Hauptwörtern den Plural bilden hilft. Bad,
Bäder, Glied, Glieder, Bild, Bilder, Kind, Kinder, Loch, Löcher,
Reis, Reiser. Dieser Plural stammet ohne Zweifel zunächst aus den
nördlichen Gegenden her, indem er die gewöhnliche Endung des Plurals
im Dänischen und Schwedischen ist. Unter den Deutschen Mundarten ist er in
der Sächsischen und ihren Töchtern am häufigsten, und aus
derselben auch in die Hochdeutsche gekommen. Daher rühret es denn,
daß viele Wörter, die im Hochdeutschen Plural ein -er bekommen, bey
den ältern und mittlern Oberdeutschen ein bloßes -e haben. Die Manne,
die Wibe oder Weibe, die Pfande, die Wälde, die Würme, die Zelte, die
Fasse, die Rinde, die Leibe, die Orte u. s. f. welches e auch wohl weggeworfen
wurde, die Thal, die Gemüth, die Geist, die Licht u. s. f.Die
Hochdeutschen haben diesen verkürzten Plural in vielen Wörtern
beybehalten, welche ein Maß, Gewicht, Zahl u. s. f. bedeuten. Sechs
Faß Wein, für Fässer. Hundert Mann, für Männer.
Zwanzig Pfund, für Pfunde. Dreißig Ahm Wein u. s. f.Viele Wörter
sind im Hochdeutschen mit einem doppelten Plural üblich. Bande und
Bänder, Lande und Länder, Lichte und Lichter, Mahle und Mähler,
Worte und Wörter, Orte und Örter, Dornen und Dörner,
Sträuche und Sträucher. Der ganze Unterschied bestehet zunächst
in der Mundart, obgleich nunmehr bey manchen Wörtern jede Art des Plurals
durch den Gebrauch genau bestimmt ist. Ein Mehreres ist bey jedem dieser
Wörter besonders gesagt worden.Ob nun gleich der Plural auf -er in den
ältesten Oberdeutschen, besonders Alemannischen Schriften sehr sparsam
vorkommt, so ist er ihnen doch nicht ganz fremd; vermuthlich weil die Deutschen
Mundarten schon in den ältesten Zeiten manches von einander entlehnet
haben. In den mittlern Zeiten kommt er öfter vor; ja man findet bey neuern
Oberdeutschen Schriftstellern diesen Plural bey Wörtern, die ihn nicht
einmahl im Hochdeutschen haben. Bether, Betten, Gesänger, Gesänge,
Bluntschli. Schon in dem Salischen Gesetze findet man Spuren dieses Plurals;
aber bey dem Ottfried und andern Schriftstellern, zu deren Zeit die
Fränkische Mundart schon fast ganz Oberdeutsch geworden war, ist er
seltener. Die Longobarden, ein Niederdeutsches Volk, brachtendiesen Plural mit
nach Italien, und hängten ihn sogar vielen Lateinischen Wörtern an;
pratora, gradora, fundora, arcora, campora, censora u. s. f. für prata,
gradus, fundi, arcus, campi, census.5. [
1851-1852]