Der Dorn
, des -es, plur. die Dörner und die Dornen. Es bedeutet,1.
Eigentlich, einen jeden Stachel, oder einem Stachel ähnlichen vorn spitzig
zulaufenden Körper. Diminutiv. Dörnchen, im Oberdeutschen
Dörnlein. In dieser Bedeutung hat es im Plural die Dörner, wird aber
nur in einigen besondern Fällen gebraucht. 1) Von den scharfen Spitzen an
manchen Gewächsen, welche aus einem schwammigen Wesen bestehen, und mit
einer harten Rinde umgeben sind. In engerer Bedeutung führen nur
diejenigen Spitzen den Nahmen der Dörner, spinae, welche aus dem Holze
durch die Rinde hervorragen, dagegen diejenigen, welche sich bloß an der
Rinde befinden, selbst im gemeinen Leben, am häufigsten Stacheln, aculei,
genannt werden. Sich einen Dorn in den Fuß treten. Einem den Dorn aus dem
Fuße ziehen, auch figürlich, im gemeinen Leben, ihn von einem
geheimen Schmerzen befreyen. Das ist ihm ein Dorn im Auge, das ist ihm eine
unerträgliche Sache, er siehet sie mit einigem geheimen Neide an. Auf eben
diese Art sang schon Stryker:
Vnd ist seinen viandenIn den ougen ein dorn. Wo eine Rose
blüht, da sieht ein Dorn dabey, Opitz.
Der Plural die Dörner, ist selbst in dieser Bedeutung
eines Individui nur im gemeinen Leben üblich, vermuthlich weil er
ursprünglich aus der Sächsischen Mundart herstammet, welche den
Plural auf -er, vorzüglich liebt. In der edlern und höhern Schreibart
gebrauchen gute Schriftsteller auch hier lieber den Oberdeutschen Plural die
Dornen. Werdet ihr aber die Einwohner des Landes nicht vertreiben, so werden
sie, so ihr überbleiben lasset, zu Dornen werden, in euren Augen, 4 Mos.
33, 35. Ehe eure Dornen reif werden am Dornstrauch, Ps. 58, 10. Wie aber die
schönsten Blumen niemahls ohne Dornen sind, Gryph. O, die Rose ist
ausgefallen, und die Dornen sind geblieben! Weiße. Ich will durch die
Freundschaft glücklich seyn, hier finde ich Rosen ohne Dornen, ebend.
Vielleicht wird das Geheimnis dein Herz mit Dornen zerreißen, wenn du es
dem meinigen entziehest, ebend.
Jedoch der Tugend Lohn kömmt euch zu traurig für; Die
Dornen schrecken euch, die Thoren fürchtet ihr, Cron. Die Rose blühet
schön; allein, Sie kann nicht ohne Dornen seyn, ebend.
Zwar findet man auch Beyspiele von dem Gegentheile.
Eh als noch eure Dörner stechen, Die um die Hagenbutten
stehn, Opitz, Ps. 58. Als wie ein Rosenkranz von Dörnern ist umringt,
ebend. Wie der güldnen Rosen Zier Unter scharfen Dörnern blühet,
ebend. Obgleich die Dörner anfangs stechen So will ich doch noch Rosen
brechen, Günth.
[
1523-1524]
Wie leicht vergißt, wer still beym nähen Ziele
sitzt, Die Dörner, die vielleicht ihn auf dem Weg geritzt, Cron.
Allein ein gutes Gehör wird sich wohl nicht leicht
für diese Beyspiele erklären. Über dieß wird aus dem
folgenden erhellen, daß Opitz und andere Schlesische Dichter den Plural
Dörner sehr häufig gebrauchen, wenn gleich von dem Gebüsche,
oder einem Zweige desselben die Rede ist. Die alten Alemannischen und
Fränkischen Schriftsteller kannten den Plural auf -er in diesem Worte gar
nicht. Bey dem Tatian heißt er Thorna, bey dem Kero Dorno, bey dem Notker
Dorna, obgleich aus dem Zusammenhange erhellet, daß sie Stacheln und nicht
das Gebüsche gemeinet. 2) Im gemeinen Leben führen diesen Nahmen
verschiedene Stacheln, und selbst nur einiger Maßen spitzige Werkzeuge,
wenn sie gleich nicht zum Stechen bestimmt noch tüchtig sind. Ehedem
wurden die Stecknadeln Dörner genannt. Noch jetzt führet diesen
Nahmen der bewegliche Stachel in den Schnallen. Bey verschiedenen
Metallarbeitern sind die Dörner runde, dreyeckige, viereckige, ovale, vorn
etwas spitz zulaufende Werkzeuge, gebohrte Löcher größer zu
machen, oder auch nur Röhren von diesen verschiedenen Figuren darauf zu
schmieden. Bey andern heißet ein Weißel, oder Durchschlag,
Löcher damit glühendes Eisen zu schlagen, ein Dorn. Bey den
Schlössern ist es theils ein kleiner eiserner Draht, fast wie eine Nadel
ohne Kopf; theils der längliche Cylinder in den Schlössern, der in
die Schlüsselröhre geht; theils aber auch an den
Vorhängeschlössern ein bewegliches Blech über das
Schlüsselloch. Bey diesem letztern ist der Grund der Benennung dunkel,
daher es noch dahin stehet, ob es hier nicht vielmehr aus dem Franz. tourner,
entstanden. Die Büchsenschmiede nennen den eisernen Cylinder, worüber
die Platten zu den Feuerröhren zusammen geschweißet werden,
gleichfalls einen Dorn, und diesen Nahmen führet auch die Angel, oder der
senkrechte Arm einer Haspe, um welchen sich das Thürband mit seinem Ohre
beweget, ingleichen diejenigen Cylinder, worüber die Raketen geschlagen
werden, u. s. f. Da das Wort in dieser Bedeutung nicht leicht anders als im
gemeinen Leben vorkommt, so hat es hier auch im Plural beständig
Dörner.2. Figürlich, da es außer der Zusammensetzung nur im
Plural üblich ist, und alsdann die Dornen hat. 1) Ein jeder Strauch,
dessen Rinde mit Dörnern bekleidet ist. Da es deren sehr viele Arten gibt,
so werden selbige durch allerley zusammen gesetzte Nahmen unterschieden, welche
Zusammensetzungen auch im Singular üblich sind; z. B. Buchdorn, Kreuzdorn,
Hagedorn, Schleedorn u. s. f. Wenn man aber das Wort im Plural, ingleichen die
zusammen gesetzten Dornbusch, Dornstrauch, ohne nähere Bestimmung
gebraucht, so werden dadurch die gemeinsten Arten dieser mit Dörnern
besetzten Sträuche verstanden. Dornen und Disteln soll er (der Acker) dir
tragen, 1 Mos. 3, 18. So wachsen mir Disteln für Weitzen, und Dornen
für Gersten, Hiob 31, 40. Wie eine Rose unter den Dornen, so ist meine
Freundinn unter den Töchtern, Hohel. 2, 2. Etliches fiel unter die Dornen,
und die Dornen wuchsen auf und ersticktens, Matth. 13, 7. 2) Zweige von einem
Dornen tragenden Gewächse, gleichfalls nur im Plural. So will ich euer
Fleisch mit Dornen aus der Wüsten zerdreschen, Richt. 8, 7. Christus wurde
mit Dornen gekrönet;
S. Christdorn. In beyden figürlichen Bedeutungen
hat dieses Wort im Hochdeutschen ohne alle Ausnahme im Plural die Dornen. Nur
bey den Schlesischen Dichtern findet sich häufig der Niedersächsische
Plural. Die Stirn ist voll Wunden von den Dörnen, Opitz. Das Haupt ist mit
Dörnen verletzt worden, ebend.
Rosen geben durch die DörnerIhren angenehmen Schein,
ebend. Doch wurden sie hinweg gerafft Wie Dörnerglut, ebend. Ps. 118, 6 Der
König aller Welt ließ sich mit Dörnern krönen ebend. Die
dörnervollen Kreuzesstege, Gryph. Bis daß die Hand, die uns hier
Dörner flicht, Die Myrthen bricht, Günth.
Anm. Dieses Wort lautet bey dem Kero und Notker Dorn, bey dem
Ottfried Thorn. So Lilia untar thornon, B. 1, Kap. 16, V. 46. Corono thero
thorno, ebend. Si fluhtun thorna zi samane, ebend. Im Nieders. Dorn, im Engl.
Thorn, im Angels. Deorn, im Dän. und Schwed. Torn, im Holländischen
Doorne, Deurne, bey dem Ulphilas Thaurnus, im Isländ. Thorn, Thyrner, im
Böhm. Trn, im Pohlnischen, Tarn, im Russischen Tirne. In Boxhorns Glossen
wird Dhorn durch stirpes, und Stecko Dhorn durch sudes, ein Pfahl,
erkläret. Im Angels. bedeutet taeran, Engl. to tear, zerreißen. Siehe
Sehr, Versehren, Zehren, Zorn, denn der Übergang aus dem D und T in den
Zischlaut ist in allen Sprachen etwas gemeines.2. [
1525-1526]