Anstehen
, verb. irreg. neutr. (
S. Stehen,) welches theils mit dem Hülfsworte haben
theils mit seyn, verbunden wird.1. Mit dem Hülfsworte haben, wenn es
überhaupt an etwas stehen, oder an der Seite einer Sache befindlich seyn
bedeutet; und zwar,1) In eigentlicher Bedeutung, welche aber in dem gemeinen
Gebrauche wenig vorkommt. Doch sagt man in den Bergwerken, in weiterer
Bedeutung: ein Gestein, worauf das Gold sehr sichtlich anstehet, angeflogen
stehet.2) In figürlichen Bedeutung. (a) An einem stehen, d. i. in die
Augen fallen, von Kleidungsstücken und Handlungen, in Beziehung auf die
Person, die sie trägt, oder verrichtet. Dieses Kleid stand ihm sehr gut
an. Das Tanzen hat ihm sehr schlecht angestanden. Ingleichen von moralischen
Handlungen, eines Würde und übrigen Verhältnissen angemessen
seyn. Wie es mir altem Manne wohl anstehet, 2. Maccab. 6, 27. Einem Laufer
stehets nicht wohl an, daß es reich ist, Sir. 14, 3. Dergleichen
Unwahrheiten stehen einem ehrlichen Manne nicht an.
Ein Vorsatz gleicher Art steht nur Rebellen an, Less. Wenn eine
Gottheit wäre,Stehts einer Gottheit an, daß ihre Macht zerstöre?
Dusch. Gebiethe deinem Zorn; er steht so sanften Blicken, Wie deinen, wenig an,
Weiße.
In dieser Bedeutung ist anstehen bereits alt. Ich weis nicht
was dir bas an ste, heißt es in Winsbecks Gedichte, Str. 22. Das minen
iaren wol anstat. ebend. Str. 9. Das stuende im lobelichen an, singt Reimar der
alte.
S. auch den Schwabenspiegel Kap. 24, 5. (b) Jemandes
Willen gemäß seyn, im harten und gebietherischen Verstande.
Dergleichen Betragen stehet mir nicht an. Deine Lebensart stehet deinem Vater
gar nicht an. Sie hat ihm ja vor ein Paar Stunden angestanden, Gell. Es wird
eben nicht leicht seyn, diese figürliche Bedeutung auf eine ungezwungene
Art aus der eigentlichen herzuleiten; doch das hat sie mit den figürlichen
Bedeutungen vieler anderen Zeitwörter gemein. Die Niedersachsen gebrauchen
ihr anstaan gleichfalls in beyden figürlichen Bedeutungen. (c) Mit einem
anstehen, mit ihm in Gesellschaft treten, besonders bey dem gemeinschaftlichen
Anlaufe einer Sache. Wollen sie nicht mit anstehen? Ich habe mit angestanden.
Es scheinet, daß hier auch das Hülfswort seyn nicht am unrechten Orte
stehen würde; indessen wird es in dieser Bedeutung doch von den meisten
Hochdeutschen, besonders in Sachsen, mit haben verbunden. (d) In einigen
Gegenden sagt man von dem Gesinde, daß es anstehe, wenn es anziehet, oder
seinen Dienst antritt.2. Mit dem Hülfswort seyn, so an etwas stehen,
daß dadurch die Bewegung behindert wird.1) Eigentlich. Der Wagen steht an,
an einem Steine, oder an der Mauer. Der Schrank steht an der Wand an, kann
nicht weiter. Auch diese Bedeutung kommt so gar häufig nicht vor; desto
öfterer aber,2) Die figürlichen. (a) In seinem Fortgange unterbrochen
oder an der Ausführung gehindert werden. Die Sache mag immer noch ein Paar
Tage anstehen. Es ist lange genug an-gestanden. Es wird nicht mehr ihrer eine
halbe Stunde anstehen, so wird er heraus kommen, Cron. Ingleichen, anstehen
lassen für aufschieben. Ich will die Sache noch anstehen lassen. Sie
lassen es auch gar zu lange anstehen. Das beste wird seyn, daß sie die
Verlobung etwa noch acht Tage anstehen lassen, Gell. In dieser Bedeutung wird
anstehen in Oberdeutschland häufig für währen, dauern gebraucht.
Es stund nicht an drey ganzer Tag, Theuerd. Kap. 67.
Nicht lang es blieb steen an, Das er den tewerlichen
Mann Fürt auf ein gefroren eys, ebend. Kap. 22.
Ingleichen für fortdauern, anhalten. Wegen lang
anstehender Hitz, Bluntschli. (b) Seine Entschließung anstehen lassen,
Bedenken tragen. Ich stehe noch an, ob ich dieses auch thun will. Ich werde
keinen Augenblick anstehen, zu dir zu kommen. Dein Verstand kann hier
unmöglich anstehen, die Frage zu beantworten. Er hätte doch einen
Augenblick anstehen dürfen, sich zu ergeben, Less. Wenn eine
Präposition mit ihrer Endung dazu kommt, so pflegt das Hülfswort
haben auch wohl die Stelle des Hülfswortes seyn einzunehmen, welches auch
bey andern Neutris nichts seltenes ist. Ich stand bey mir an, die Thür
aufzumachen. Ich habe lange bey mir angestanden. Man hat mit Fleiß damit
angestanden.Anm. 1. Die Lehre von den Hülfswörtern, mit welchen die
Neutra verbunden werden, ist im Hochdeutschen noch sehr schwankend. Die Ursache
davon ist, weil diese Mundart aus der Oberdeutschen und Niedersächsischen
zusammen geflossen ist. Jene liebt bey ihren Neutris das seyn, diese das haben.
Die Hochdeutschen verbinden einige Neutra nach Art der Oberdeutschen mit seyn,
andere aber nach dem Beyspiele der Niedersachsen mit haben, und bey noch andern
sind beyde Hülfswörter beynahe gleich üblich. Das letzte findet
auch bey diesem Verbo Statt, und selbst dasjenige, was oben in Ansehung des
Gebrauches dieser Hülfswörter angemerket worden, gründet sich
nicht auf Regeln, sondern nur auf den häufigern Gebrauch; daher man sich
nicht wundern darf, wenn anstehen in einer und eben derselben Bedeutung bald
mit seyn, bald aber mit haben verbunden wird, je nachdem der Redner oder
Verfasser ein Oberdeutscher oder ein Niedersachse ist. Die beyden Bedeutungen,
da anstehen geziemen und gefallen bedeutet, scheinen noch dem wenigsten Zweifel
unterworfen zu seyn, weil selbst die meisten Oberdeutschen in denselben das
haben gebrauchen.Anm. 2. Das Niedersächsische anstaan bedeutet auch bevor
stehen, und kommt darin mit instare und dem Hochdeutschen instehen
überein. Das Anastantantlihostin kebete des Kero, ist eine bloß
buchstäbliche Übersetzung der instantissima oratio, für
inständigst. Im Oberdeutschen bedeutet um etwas anstehen, noch jetzt,
darum anhalten. In den Glossis Lipsii kommt anastandan auch für aufstehen
vor. [
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