Wollen
, [
1607-1608] verb. irreg. neutr. Präs. ich
will, du willst, (nicht du willt,) er will, wir wollen u. s. f. Conj: daß ich
wolle; Imperf. ich wollte, Conj. daß ich wollte; Particip. gewollt; Imperat.
caret. Es wird mit dem Hülfsworte haben verbunden, und druckt überhaupt die
Äußerung des Willens als ein Verbum aus, doch mit manchen Nebenbegriffen und
nähern Bestimmungen. Es wird mit dem Infinitive eines andern Verbi verbunden,
und bedeutet: 1. Einen Entschluß so wohl fassen, als gefasset haben. Er will
hingehen, ist entschlossen. Er will, und will auch nicht, kann sich nicht dazu
entschließen. Ich frage, ob du willst? Ich will mich stellen, als wenn ich
schliefe. Gut, wir wollen es thun. Ich wollte eben hingehen, als er kam. Du
denkst, du hast gefragt, weil du hast fragen wollen, Gell. für gewollt, (
S. die Sprachlehre.) Oft mit dem Nebenbegriffe des
festen, unwiderruflichen Entschlusses, da es oft so viel als befehlen ist. Die
Gesetze wollen es so. Besonders mit dem Participio eines andern Verbi. Ich will
es gethan haben. 2. Verlangen tragen, Verlangen äußern. So wohl mit dem
Infinitiv eines andern Verbi. Der Kranke will essen. Sie hätte lieber meine
Tochter auch zu der galanten Lebensart anführen wollen, Gell. Ich will nur gern
sehen, wie es ablaufen wird, ich wünsche, es zu sehen. Als auch mit daß. Wollen
sie, daß das menschliche Geschlecht untergehen soll? Ingleichen mit dem
Accusative oder einem Adverbio. Willst du das Buch haben, oder elliptisch,
willst du das Buch? Was will denn ein Mann mehr? Zu wem wollen Sie? Was willst
du? Er weiß nicht, was er will. 3. Neigung haben. Ich wollte lieber schlafen,
als essen. Er will nicht daran, hat keine Neigung, es zu bewilligen, zu thun.
Ich wollte es gern thun, wenn ich nur könnte. Er mag wohl oder übel wollen, er
mag dazu geneigt seyn, oder nicht. Man wollte wohl oder übel, so mußte es
geschehen. Wer wollte ihm auch nicht gehorchen? wer sollte nicht geneigt seyn,
ihm zu gehorchen. Einem wohl wollen, sein Bestes gern sehen. Einem übel wollen,
sein Bestes nicht gern sehen. Auf eine ähnliche Art wird dieses Wort in Bitten
gebraucht. Wollen Sie es wohl thun! Wollen, oder, wollten Sie wohl die
Gültigkeit haben, es zu thun! Aber wollen Sie diese Fabel wohl auflösen! Gell.
Wollen Sie unbeschwert diesen Punct lesen, eben ders. 4. Zur Absicht haben. Was
wollen sie damit sagen? Ich weiß nicht, was er damit haben will, oder, was er
damit will. Wollen Sie mir etwa sagen, was mir meine Schwester erzählen will?
Gell. ist es etwa ihre Absicht, mir zu sagen u. s. f. Nicht verliebt, nur
zärtlich wollen (oder, wollten) sie sagen. Ich will damit so viel sagen u. s.
f. Das will ich eben nicht sagen. 5. Zulassen, verstatten, veranstalten. So
Gott will; im gemeinen Leben, wills Gott! wenn es Gott verstattet. Besonders in
Wünschen. Gott wolle, Gott wolle nicht, daß es geschehe! Wollte Gott, daß es
geschehe! Gott wolle nicht, daß es mir je so begegne! 6. Behaupten, versichern,
mit dem Infinitivo und dem Participio. Er will es gehört, gesehen, gesagt
haben, er behauptet, es gehört, gesehen, gesagt zu haben. Die Leute wollen dich
mit einer Stadtjungfer haben reden sehen, in der vertraulichen Sprechart. 7.
Können, vermögen; mit dem Infinitive. Wo will er so viel Geld hernehmen? Was
will ich machen? Was wollt' er machen? Wer will denn die Geheimnisse der ewigen
Vorsehung erforschen? Da es denn, so wie sollen, auch oft gebraucht wird, einen
möglichen Fall zu setzen. Ich will mich betrogen haben, gesetzt, ich hätte mich
betrogen, oder, es kann seyn, daß ich mich betrogen habe. 8. Im Begriffe seyn,
etwas zu thun, oder zu leiden, da es denn auch von leblosen Dingen gebraucht
wird. Er will sterben, er ist im Begriffe, zu sterben. Sohn, fing der Vater an,
indem er sterben wollte, Gell. Das Schiff will sinken, das Haus will einfallen,
der Stock will brechen. Ich that, als wollte michs verdrießen. Es war mir nicht
möglich, ihn anzusehen, wenn ich nicht erröthen wollte. 9. Bereit, fähig seyn,
eine leidentliche Veränderung anzunehmen, nicht widerstehen; am häufigsten mit
der Verneinung. Es will ihm nicht ein. Das Holz will nicht los, der Nagel will
nicht heraus. Es will nicht gehen. 10. Erfordern, nothwendig machen. Die
Glashütten wollen viel Holz. Diese Sache will sorgfältig in Acht genommen seyn.
Ein kleiner Feind, dieß merke sein, Will durch Geduld ermüdet
seyn, Gell.
11. Oft wird dieses Verbum gebraucht, eine gewisse
Gleichgültigkeit gegen einen Erfolg und dessen Grade zu bezeichnen. Er zürne,
so viel er will. Es sey auch, was es will, was es auch seyn mag. Ich mag
kommen, wenn ich will, zu welcher Zeit ich auch komme. Es mag über mich
ergehen, was da will. Ihre Feinde mögen sagen, was sie wollen.
Nimmt dich die Zärtlichkeit nur erst vollkommen ein, So sey so
stolz du willst, du hörst auf, es zu seyn, Gell.
Zuweilen auch mit dem Conjunctive. Dem sey, wie ihm wolle;
nicht so richtig, dem sey, wie ihm sey. Es habe ihn, was auch immer wolle, zur
Untreue bewogen, Gell. 12. Sehr oft gehet eine der vorigen Bedeutungen mit
ihren Nebenbegriffen in einen Pleonasmus über. Die frische Luft will mir nicht
bekommen, bekommt mir nicht. Dazu will viel gehören, dazu gehöret viel. Es will
hier nöthig seyn, es ist hier nöthig. Tausend Thaler wollen nichts sagen. Das
will etwas ganz anders sagen. Ich will doch nicht hoffen, daß sie es für Ernst
aufnehmen werden. In den Kanzelleyen wird dieser Pleonasmus oft unausstehlich,
indem er bloß auf eine unnütze Ausdehnung abzielet. Worauf sich gegründet
werden wollen. Wenn nicht daran schleuniger Antheil genommen werden wollte. So
auch das Wollen. Anm. 1. Dieses Verbum hat keinen Imperativ; auch ist das
Particip. Präs. wollend wenig oder fast gar nicht üblich. Viele Sprachlehrer
zählen dieses Verbum mit zu den Hülfswörtern. Al-
[
1609-1610] lein, wenn Hülfswörter solche Verba mit
allgemeinen Begriffen sind, deren man sich bedienet, die vollständigere
Lateinische Conjugation im Deutschen zu umschreiben, so haben wir deren nicht
mehr als drey, seyn, haben und werden. Indessen wird wollen, so wie können,
dürfen, mögen u. a. welche einen gewissen Nebenumstand jeder Handlung
bezeichnen, mit dem bloßen Infinitiv dieser Handlung verbunden, ich will gehen;
welcher Umstand aber zu einem Hülfsworte allein nicht hinreicht. Im
Oberdeutschen gebraucht man dieses Wort häufig, den Imperativ anderer Verborum
in der ersten vielfachen Person zu umschreiben: wollen wir gehen, laßt uns
gehen, oder, wir wollen gehen. Anm. 2. Man hat noch einen Ausdruck, womit man
wollen in der ersten Bedeutung, in manchen Fällen zu umschreiben pflegt,
nähmlich gewillet seyn: ich bin gewillet, ich war gewillet, bin gewillet
gewesen, für, ich bin entschlossen, will u. s. f. Es ist ein von Wille
abgeleitetes Adverbium, wenn es nicht vielmehr das noch übrige Participium
einer veralteten Form willen ist, von welchem wollen noch das Präsens der
einfachen Zahl entlehnet hat, ich will, du willst, er will. Indessen gebraucht
man gewillet für entschlossen, am häufigsten nur noch in den Kanzelleyen, und
zwar nur als ein Adverbium, mit dem Verbo seyn, aber nicht als ein Adjectiv.
Anm. 3. Dieses Verbum lautet schon im Kero wellan, bey dem Ottfried wolan, im
Nieders. willen, im Angels. willan, bey dem Ulphilas wiljan, im Schwed. vilja,
in den Slavonischen Mundarten wola, im Lat. velle, und selbst im Griechischen
hier nichtlateinischer Text, siehe Image, ich will. Da der Begriff
des Wollens sehr abstract ist, alle solche Wörter aber, der Natur der Sache
nach, eine ursprünglichere Bedeutung gehabt haben, so scheinet das noch im
Böhmischen übliche wolati, rufen, das Krainerische velim, ich heiße, befehle,
und selbst unser fehlen in befehlen den mehr ursprünglichen Begriff
aufzubewahren; indem das rufen, schreyen denn doch die nächste Art ist, wodurch
der rohe ungebildete Mensch sein Wollen ausdruckt.
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1609-1610]