Wir
, [
1569-1570] der Nominativ im Plural des
persönlichen Pronominis der ersten Person, welches in allen Geschlechtern
unverändert bleibt: Nomin. wir; Genit. unser; Dat. uns; Accusat. uns. Man
gebraucht ihn: 1. wenn mehrere in der ersten Person redend eingeführet werden,
oder auch Einer im Nahmen mehrerer in der ersten Person spricht, oder etwas von
sich und einem oder mehrern andern zugleich prädiciret. Wir wollen nicht,
schrien sie alle. Wir kommen unbekleidet und wehrlos auf die Welt, ich und alle
übrige Menschen. Als Cajus angekleidet war, gingen wir spazieren, ich und
Cajus. Daß wir nicht etwa behorcht werden! 2. Fürsten, Reichsgrafen, und oft
noch geringere regierende Personen, wenn sie eine Art von Unmittelbarkeit
haben, gebrauchen, statt der ersten einfachen Person, diese erste vielfache,
auch in Sachen, worin sie nur als eine einzelne Person handeln. Wir befehlen
euch hiermit, ich. Und so auch durch die übrigen Cajus: uns ist hinterbracht
worden u. s. f. Man hält diese Form gemeiniglich für ein Merkmahl der Hoheit
und Würde; allein im Grunde ist sie ein Überrest der ehemahligen Abhängigkeit
der Landesherren von ihren Unterthanen, und besonders von ihren Ständen.
Fürsten und Regenten hatten ehedem nur die executive Gewalt, so wie ihre
Unterthanen und Stände die beschließende; und auch jene übten sie nur als eine
aufgetragene Gewalt im Nahmen ihrer Unterthanen aus, und konnten also
grammatisch richtig von sich im Plural reden, weil sie nicht als eine einzelne
Person betrachtet wurden, sondern im Nahmen aller sprachen. So wie sich das
Bewußtseyn des Ursprunges dieser Form nach und nach verlor, ward sie ein
Merkmahl der Würde, und wird von Regenten gemeiniglich auch in solchen Fällen
gebraucht, wo sie schlechterdings nicht anders als individuell handeln können;
und dann ist es freylich ein grammatischer Barbarismus. 3. Im gemeinen Leben
gebraucht man oft die erste vielfache Person gegen geringere, wenn man sie aus
Glimpf nicht in der zweyten, aber aus Würde auch nicht in der dritten anreden
will. Wie befinden wir uns? für, wir befindest du dich? wie befindet ihr euch?
Die zweyte Person mag nun einfach oder mehrfach seyn.
S. auch Man, welches auf ähnliche Art gebraucht wird.
Anm. Im Hoch- und Oberdeutschen schon von den frühesten Zeiten an wir, im
Angels. wee, im Niederdeutschen, Schwedischen und Dänischen wi, bey dem
Ulphilas weis. Die persönlichen Pronomina sind Wurzelwörter, und gehören immer
zu den ältesten Wörtern in jeder Sprache, weil sie nicht allein sehr
nothwendige, sondern auch abstracte Begriffe bezeichnen, welche man nicht
anders, als durch dunkele Laute ausdrucken konnte. Daher werden sie auch nicht
auf die gewöhnliche Art durch Biegung der Endsylbe decliniret, sondern jeder
Casus hat sein eigenes Wurzelwort, weil diese Wörter zu einer Zeit entstanden,
da man noch nicht an regelmäßige Conjugationen und Declinationen dachte, in
welchen frühen Zeitpunct auch der Ursprung der irregulären Verborum fällt, wo
man die Conjugation an der Wurzel verrichtete. Bey so alten, nach sehr dunkeln
Ideen gebildeten Wörtern, muß die Etymologie gemeiniglich verzweifeln; allein
bey diesem Worte kann man dem rohen Deutschen Geiste doch einiger Maßen auf die
Spur kommen. Wenn man die obigen Formen, wee wi, wir, weiß, vergleicht, so
findet man eine Übereinstimmung der beyden ersten Laute; man siehet, daß wee,
wi, die einfachsten Formen sind, und daß r und s in wir und weis bloße jetzt
unbekannte Nebenbegriffe bezeichnen. Dieses wee, wi, aber ist zugleich die
Wurzel von wehen, sanft bewegen; woraus wenigstens wahrscheinlich wird, daß der
Grundbegriff von wir, die mit der Mehrheit verbundene Bewegung ist.
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1571-1572]