Un
, [
825-826] eine Partikel, welche in
dieser Gestalt nur allein noch in der Zusammensetzung üblich ist. Sie ist aus
ohne entstanden, welches noch außer der Zusammensetzung, als ein eigenes
Vorwort gebraucht wird. Was, 1. Ihre Bedeutung betrifft, so ist sie sehr
einfach, indem sie eine verneinende Kraft hat, und eigentlich die Abwesenheit
desjenigen Begriffes bezeichnet, welchen das Wort, mit welchem sie zusammen
gesetzt ist, ausdruckt. (1) Eigentlich. Der Wörter dieser Art sind eine große
Menge. Ungern, nicht gern, unzählig, was sich nicht zählen lässet, untauglich,
nicht tauglich, unsterblich, unzünftig, unrein, untheilbar, untadelhaft u. s.
f. (2) Eben so groß ist aber auch die Anzahl derjenigen Wörter, wo die Partikel
nicht bloß eine Abwesenheit, sondern vielmehr das Gegentheil, die entgegen
gesetzte Beschaffenheit des folgenden Begriffes bezeichnet; von welcher Art
besonders die Hauptwörter Undank, Ungeduld, Unverstand, Unsinn, Unding, Unehre,
Ungemach, Unmuth, Unlust, Unsegen, Unzucht, Unheil, Unglück, Untugend, nebst
ihren Beywörtern, ingleichen die Beywörter, unselig, ungereimt u. s. f.
gehören. Dahin gehören denn auch diejenige Wörter dieser Art, wo das mit un
zusammen gesetzte Nennwort in engerm Verstande von einem guten oder gehörigen
Dinge seiner Art gebraucht wird, dessen Gegensatz oder Gegentheil denn das mit
un zusammen gesetzte Wort ausdruckt; z. B. Unart, fehlerhafte Art oder
Gewohnheit, Unthat, Unfall, Ungewitter, Unmensch, Unchrist, Unthier, Unrath,
Unzeit, Unkraut, Ungeheuer, Unboth, in einigen Gegenden für Mißgeboth, Unehe,
ehedem für Concubinat, unfug, unförmlich, ungestaltet, ungeberdig u. s. f.
welche Wörter oft einen härtern Nebenbegriff haben, als man dem ersten Anblicke
aus der bloßen Zusammensetzung vermuthen sollte. In einigen, obgleich nur
wenigen, schleichen sich noch andere Nebenbegriffe mit ein; z. B. Untiefe eine
unergründliche Tiefe, das Nieders. Unmühe, unnöthige Mühe, unser Unkosten,
unnöthige, oder vielmehr lästige Kosten; wenn es nicht in diesen Wörtern, so
wie in Ungewitter, nach dem Muster des Lat. in - eine verstärkende oder
intensive Bedeutung hat. Manche derjenige Wörter, mir welchen diese Partikel
zusammen gesetzet wird, sind nunmehr veraltet, und nur noch in dieser
Zusammensetzung üblich; z. B. Unflath, Unrath, ungestüm, Ungeziefer u. s. f. 2.
Was diejenige Wörter betrifft, welche mit dieser Partikel zusammen gesetzet
werden können, und wirklich zusammen gesetzet worden, so sind solches der Form
nach. (1) Eigentlich Nebenwörter, welche nicht als Beywörter gebraucht werden.
Dieser sind sehr wenige, z. B. ungern, unlängst, unweit, unschwer, welche
vielleicht die einzigen dieser Art sind, welche der Gebrauch eingeführet und
gerechtfertiget hat, daher auch ihre Zahl nicht willkürlich vermehrt werden
darf. Dagegen können alle Beywörter, welche mit un - üblich sind, auch als
Nebenwörter gebraucht werden. (2) Zeitwörter. Daß ehedem auch Zeitwörter mit
dieser Partikel zusammen gesetzt worden, erhellet noch aus vielen bey dem
Ottfried, Notker, in den Monseeischen Glossen u. s. f. befindlichen
Überbleibsel; z. B. ungazunftan, uneinig seyn, unliunthafton, verleumden,
unwirsigen, zürnen u. s. f. Si unerent sih, der Herzog von Anhalt. Die heutigen
Oberdeutschen, bey welchen ohn oft für un gebraucht wird, haben noch manche
Zeitwörter dieser Art aufbehalten, z. B. ohnermangeln, ohnverhalten,
ohnverfangen u. s. f. welche aber doch auch nur im Infinitiv üblich zu seyn
scheinen. Im Hochdeutschen sind diese Zeitwörter völlig veraltet, und un wird
daselbst niemahls mit Zeitwörtern zusammen gesetzet. Doch sind das mit be
zusammen gesetzte beunruhigen, ingleichen verschiedene mit ver - ausgenommen,
verunehren, verunreinigen, verunglimpfen, verunglücken, veruntreuen,
verunstalten, verunzieren, welche aber am Ende doch größten Theils von den
Neunwörtern unruhig, Unehre, unrein, Unglimpf, u. s. f. gebildet worden,
verunzieren etwa ausgenommen, welches aber doch nur in den niedrigen
Sprecharten üblich ist. Wenn daher un, wie so gleich bemerket werden soll, sich
sehr gern zu den Mittelwörtern gesellet, so geschiehet es nur, in so fern sie
als Nebenwörter betrachtet werden. Da sich also diese Partikel, mit Zeitwörtern
als Zeitwörtern niemahls verträgt, so können auch die Infinitivi, wenn sie
gleich als Hauptwörter gebraucht werden, selbige nicht annehmen. Wenn daher
eine Abwesenheit des in denselben herrschenden Begriffes vermittelst einer
Zusammensetzung ausgedruckt werden soll, so wählet man statt des un, lieber die
Partikel nicht; das Nichtwollen, Nichtwissen, Nichtthun u. s. f. obgleich auch
nicht alle Infinitivi diese Zusammensetzung leiden. (3) Nennwörter, welche das
eigentliche Feld dieser Partikel sind, auf welchem sie sich ihrem ganzen
Umfange nach zeiget. Dahin gehören nun so wohl Hauptwörter, wovon schon oben
einige angeführet worden, als auch Beywörter; unbändig, unachtbar, unachtsam,
ungütig, unsicher, unrein, unsauber u. s. f. Selbst solche, die schon mit einer
andern Partikel zusammen gesetzt sind; unabbrüchig, unabhängig, unaufmerksam,
unumgänglich, unüberlegt, unverdrossen, unanständig u. s. f. Ja die
Gerechtsamen dieser Partikel erstrecken sich so weit, daß sie, vermittelst der
Ableitungssylbe lich, sehr viele Beywörter von dem Infinitiv der Zeitwörter
bildet, welche außer der Zusammensetzung mit un nicht üblich sind;
unaufhörlich, unauflöslich, unabbittlich, unausbleiblich, unausforschlich,
unauslöschlich, unaussprechlich, unbezwinglich, undurchdringlich,
unverbesserlich u. s. f. Die mit un zusammen gesetzten Haupt- und eigentlichen
Beywörter haben indessen ihre Gränzen, und es ist nicht ohne Einschränkung
erlaubt, deren nach Gutdünken neue zu bilden. Am wenigsten hat man diese
Freyheit, wenn man andere eigene Wörter hat, die Abwesenheit oder den Gegensatz
eines Begriffes auszudrucken. Man sagt nicht Unliebe, Unhaß, Unneigung,
Unschwere, Ungröße, nicht unschön, unspröde, unhart, unhoch, unhell, unschnell,
unlieb, unandächtig, u. s. f. weil für alle diese Begriffe eigene Wörter
vorhanden sind. Nur die Fälle sind ausgenommen, wo man wohl Wörter hat, den
Gegensatz einer Eigenschaft auszudrücken, man aber aus Glimpf statt deren
lieber die bloße Abwesenheit andeuten will, da es denn in manchen Fällen, aber
auch nicht allemahl, erlaubt ist, Wörter mit un zu bilden, einen harten Begriff
auf eine glimpflichere und gelindere Art auszudrucken. Auf diese Art sind die
Wörter ungütig, ungünstig, Unfleiß, un- [
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fleißig, unfreundlich, ungetreu, ungeneigt, u. s. f. entstanden den härtern
Ausdrücken grausam, gehässig, Faulheit, faul mürrisch, treulos u. s. f.
auszuweichen. Etwas mehr Freyheit hat man, besonders bey zusammen gesetzten
Zeitwörtern, vermittelst der Sylbe lich neue Wörter mit un zu bilden, selbst in
solchen Fällen, wo eben diese Wörter ohne die Verneinung nicht gewagt werden
dürfen. Doch müssen Analogie, Geschmack, und ein gutes Gehör die wilde Neigung
zu neuen Wörtern auch hier einschränken. Zu den Beywörtern gehören auch die
Mittelwörter, wenigstens gesellet das un sich zu ihnen nur, in so fern sie
Nennwörter sind. Mit den Mittelwörtern der gegenwärtigen Zeit verbindet es sich
indessen niemahls, vermuthlich, weil das eigene des Zeitwortes hierin noch zu
sehr vorsticht: und obgleich einige unserer neuen Dichter dergleichen
Zusammensetzungen gewagt haben, mit unermüdendem Fleiße, unbegränzend u. s. f.
ist doch solches nur aus Unkunde der eigenthümlichen Art der Deutschen Sprache
geschehen, indem man nicht leicht ein allgemein gangbares gutes Wort dieser Art
aufweisen wird. Desto mehr sind dieser Partikel die Mittelwörter der
vergangenen Zeit angemessen, indem nicht leicht ein einfaches oder zusammen
gesetztes Zeitwort seyn wird, mit dessen Participio passivo es sich nicht
verbinden ließe, wenn anders die Bedeutung und Sache selbst eine solche
Zusammensetzung verstatten. Es bedeutet alsdann allemahl eine Abwesenheit oder
Verneinung des folgenden Begriffes. Ungeliebt. Ungegessen zu Bette gehen.
Unangemeldet, unaufgeräumt, unbedeckt, unausgebildet, ungeahndet, ungestraft,
unverdauet, unbefohlen, unbegraben, uneingeschränkt, unübersetzt u. s. f.
Ausnahmen finden theils in solchen Fällen Statt, wo der Wohllaut leiden würde,
z. B. wenn das Zeitwort schon mit zwey Partikeln, oder auch mit einer
zweysylbigen Partikel zusammen gesetzt ist, unwiedergebracht, unniedergefallen,
theils bey manchen mit solchen Partikeln zusammen gesetzten Zeitwörtern, welche
eigentlich Nennwörter sind, oder es doch ehedem waren; z. B. unwahrgesagt,
unmißgehandelt, unhausgehalten u. s. f. welche diese Partikel gleichfalls nicht
vor sich dulden. Da die Menge der Mittelwörter dieser Art indessen immer sehr
groß, und ihr Begriff sehr einfach ist, indem sie eine bloße Verneinung des
folgenden Mittelwortes bezeichnen, so werde ich sie im folgenden übergehen;
ausgenommen in solchen Fällen, wo ein solches Wort etwa mehr als Eine Bedeutung
haben, oder um einer andern Ursache willen, eine besondere Stelle verdienen
sollte. Anm. Diese Partikel hat in der Zusammensetzung allemahl den Ton, und
zwar um deßwillen, weil sie aus dem langen ohne zusammen gezogen ist. In vielen
Oberdeutschen Gegenden lautet sie noch jetzt sehr merklich und gedehnt ohn, und
in den Kanzelleyen wird sie noch so geschrieben; ohnentgeldlich, ohnermangeln,
ohnverfänglich, ohnmöglich, ohnweigerlich. Wir Hochdeutschen haben davon noch
immer unser Ohnmacht; allein, ohngefähr und ohngeachtet haben bessere
Schriftsteller unter uns schon seit geraumer Zeit mit dem richtigern ungefähr
und ungeachtet vertauscht. Diese Partikel lautet schon bey dem Ottfried und
seinen Zeitgenossen un - im Lat. in - im Griech. hier nichtlateinischer
Text, siehe Image - und mit weggeworfenem Naselaut hier
nichtlateinischer Text, siehe Image, welches denn das so genannte
hier nichtlateinischer Text, siehe Image priuatiuum ist. Auf
ähnliche Art verkürzen die Niederdeutschen es in manchen Fällen in a, amächtig,
awies, für ohnmächtig, unwitzig, d. i. albern. Bey den Schweden lautet sie
gleichfalls nur o, und bey den Dänen und Isländern u. (
S. Ohne) aus welchem Vorworte sie verkürzt ist. In
vielen Fällen bedienen sich die Niederdeutschen statt dieser Partikel des
Wörtchens wahn; Wahnhope, Verzweifelung, Wahnorder, Unordnung, wahnlövisk,
ungläubig, wahnmödig, unmuthig u. s. f. und die Engländer ihres Wan, Wan-
[
829-830] mete, Unmaße, wanbal, unganz u. s. f.
S. Wahn, ingleichen Wahnsinnig und Wahnwitz.
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829-830]