Toll
, [
621-622] -er, -este, adj. et adv. ein
Wert, in welchem der Begriff einer Art eines ungestümmen Geräusches der
herrschende zu seyn scheinet. Es bedeutet überhaupt, ein solches ungestümes
betäubendes Geräusch verursachend und darin gegründet. 1. Im weitesten
Verstande, wo man es im gemeinen Leben noch in allen den Fällen gebraucht, wenn
jemand ohne Noth ein betäubendes Geräusch verursacht, es geschehe aus welcher
Bewegungen es wolle. Ein toller Mensch. Ein toller Lärm. In den gemeinen
Sprecharten mancher Gegenden hat man auch das Zeitwort tollen, einen
betäubenden Lärmen verursachen. 2. In einigen engern und theils figürlichen
Bedeutungen. (1) Aus Zorn oder Trunkenheit ungestüm tobend. Ein toller Kopf,
welcher leicht in einigen ungestümen Zorn geräth. Du wirst mich noch toll
machen, ungestüm zornig. Da es denn in der vertraulichen Sprechart oft für
zornig überhaupt gebraucht wird, besonders als ein Nebenwort. Da dieß der König
hörte, ward er toll, 2 Macc. 7, 39. Ich bin so toll auf ihn, daß ich ihn
prügeln möchte. Toll und voll seyn, im höchsten Grade betrunken. Etwas toller
Weise thun, in der Trunkenheit. (2) Aus Beraubung des Verstandes und
Bewußtseyns tobend und rasend. Ein toller Hund, ein rasender, wüthender. Toll
werden. Tolle Personen, welche man einsperren oder an Ketten legen muß. Toll
verbindet hier nebst dem Begriff des Wahnsinnes auch noch den Begriff des
ungestümen und mit Beschädigung seiner und anderer begleiteten Tobens. (3)
Figürlich. (a) Des gehörigen Gebrauches des Verstandes und Bewußtseyns beraubt,
ohne den Nebenbegriff des ungestümen Lärmens, daher alsdann auch der harte
Nebenbegriff wegfällt. Jemanden mit Schreyen den Kopf toll machen, zum
vernünftigen Bewußtseyn unfähig. Der tolle Pöbel, der unvernünftige, ungestüme
Pöbel. Bist du toll? des gesunden Verstandes beraubt? (b) Seltsam, wunderlich,
in der vertraulichen Sprechart. Ein tolles Kleid. Ein tolles Betragen. Das wäre
doch toll. Anm. Im Nieders. dull, wo auch Dullerjaan, die tolle Laune, ein
Anfall von Wuth und Zorn ist; im Schwed. mit vorgesetztem Zischlaute stollig,
wo Stolle, ein Narr, toller Mensch ist, woraus zugleich die Verwandtschaft mit
dem Lat. stolidus und stultus erhellet. Das doppelte l deutet auf ein
Intensivum. Das Schwed. dalig, das alte Gothische dwala, und das alte Oseische
dalivus, wahnsinnig, haben noch die einfachere Form. Es ist wenigstens sehr
wahrscheinlich, daß der Begriff des ungestümen Lärmens der Stammbegriff ist.
Verwandt sind damit das Englische doleful, traurig, Schwed. dalig, und das Lat.
Dolor, vermuthlich, so fern der laute Ausbruch des Grames der Grund der
Benennung ist. Bey dem Pictorius bedeutet toll auch stumpf und dumm, welche
Bedeutung auch das Engl. dull hat. Wenn aber in einigen gemeinen Oberdeutschen
Mundarten, einem etwas toll machen, so viel ist, als es ihm rauben, so scheinet
es alsdann ein eigenes Wort zu seyn, welches ein Intensivum von dem Stammworte
unsers tilgen, delere, seyn könnte. Mit andern Endlauten sind mit unserm Toll
auch toben, welches gleichfalls von der Beraubung des Verstandes gebraucht
wird, Thor, Tos in Getöse und andere mehr verwandt.
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