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Adelung - Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart

Der Stieber | | Die Stiefältern

Stief

, [369-370] ein für sich allein längst veraltetes Wort, welches nur in der Zusammensetzung mit gewissen Verwandtschaftsnahmen üblich ist, Stiefbruder, Stiefschwester, Stiefsohn, Stieftochter, Stiefmutter, Stiefvater, Stiefkind u. s. f. durch die zweyte Heirath zugebrachte Personen dieser Art zu bezeichnen, welche in manchen Fällen auch durch das Wort halb bezeichnet werden, Halbbruder, Halbschwester, Halbgeschwister, an einigen Orten auch Halbmutter; alles im Gegensatze der vollbürtigen, leiblichen Personen dieser Art, welche in einigen Fällen durch voll ausgedruckt werden, der Vollbruder, die Vollschwester, Vollgeschwister. Siehe die mit Stief- zusammen gesetzten Wörter. Anm. Dieses alte Wort lautet schon bey dem Raban Maurus stupli, in dem alten Gedichte auf den heil. Anno stif, im Schwabenspiegel sliuf, im Nieders. steef, im Angels. steop, im Engl. step, im Schwed. styf, bey den ältern Schweden stiup und mit einem andern Endlaute stiugh. Da dieses Wort nie allein vorkommt, sondern nicht nur im Deutschen von den ältesten Zeiten an, sondern auch in allen jetzt gedachten verwandten Sprachen, nur in den oben angeführten Zusammensetzungen üblich ist, so bleibt dessen Abstammung noch ungewiß und dunkel, ob sich gleich mehrere Begriffe mit Wahrscheinlichkeit angeben lassen, welche in demselben die herrschenden seyn können. Hier sind die vornehmsten Ableitungen dieses Wortes. 1. Viele, und unter andern auch Gramm, sehen es als eine Figur von steif an, und erklären es durch hart, strenge, weil Stiefältern sehr oft diese Eigenschaft gegen ihre Stiefkinder haben, daher auch Stiefmutter und stiefmütterlich noch in manchen Fällen für hart, lieblos, gebraucht werden, und Opitz sagt zu Gott:
Hor auf und zeuch doch wieder ein Dieß strenge Stiefgemüthe.
Gramm bemerket, daß man daher in den mittlern Zeiten dieses Wort gern vermieden, und dafür in Schweden Fosterfader, Fostermoder, Fosterson, u. s. f. gesagt, (vom Angels. foster, Nahrung, Schwed. fostra, ernähren, erziehen) so wie die Engländer noch jetzt Father in law, Mother in law u. s. f. gebrauchen. Allein diese Vermeidung ist doch nicht so allgemein, als Gramm glaubt, und wenn stief in einigen obgleich wenigen Fällen den Begriff der Härte hat, so ist es nur ein figürlicher und übergetragener Begriff, der auf die meisten Zusammensetzungen, z. B. Stiefkinder, Stiefsohn u. s. f. nicht passet. Zu geschweigen, daß steif und stief, das Angels. stef und steop u. s. f. auch im Laute sehr verschieden sind. 2. Wachter leitet es von dem Angels. stow, der Ort, her, und erkläret Stiefvater u. s. f. der an Vaters Statt ist, einen Vier-Vater. 3. Dietrich von Stade fällt auf das Zeitwort stiften, ordnen, verordnen, so daß Stiefvater u. s. f. ungefähr mit dem Engl. Father in law u. s. f. gleich bedeutend seyn würde. 4. Fast ähnlich ist Frischens Ableitung, dem dabey das Böhmische Stipeni, Einpfropfung, stipiti, pflanzen, säen, einfällt, und ihm bedeutet stief eine Person, welche der andern Hülfe, Beystand leistet; worin ihn die Zittauische Chronik bestätiget, wo die Kirchenväter oder Kirchenvorsteher Stiefväter, und die Brautjungfern auf Hochzeiten der Braut Stiefschwestern heißen. 5. Nach dem Junius, dessen Meinung auch Ihre beypflichtet, ist das Angels. stepan, berauben, Asteple, Steopchild, eine Waise, das Stammwort. Stiefvater, Stiefmutter, würde also einen Vater, eine Mutter eines oder mehreren Waisen, und Stiefkind, ein verwaisetes Kind bedeuten. Allein, zu geschweigen, daß in jenen Stief ein Substantivum, in diesem aber ein Adjectivum seyn würde, so ist der Begriff zu allgemein und unbestimmt, und passet über dieß auch auf Stiefbruder, Stiefschwester u. s. f. nicht. Wenn man alles zusammen nimmt, so scheinet stief vielmehr etwas unechtes zu bezeichnen, welches dem echt, wahr und völlig entgegen gesetzt ist; ob sich gleich bey dem hohen Alter dieses Wortes, welches vornehmlich auch daraus erhellet, daß es seit vielen Jahrhunderten für sich allein, in fast allen bekannten Sprachen veraltet ist, dessen nächste Verwandten sich noch nicht haben auffinden lassen wollen. Auf ähnliche Art wurde die Lateinische Endung -aster gebraucht, Poetaster u. s. f. Daher das Franz. -atre und Ital. -astro, jaunatre, gelblich, selbst in den Verwandtschaftsnahmen, welche wir mit Stief- zu machen pflegen; die Stiefmutter, Französ. Maratre, Italiän. Madastra, der Stiefvater, Ital. Padrastro, der Stiefbruder, die Stiefkinder, der Stiefschwager, Ital. Fratellastro, Filiastri, Suocerastro u. s. f. [369-370]
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