Der Spiegel
, [
191-192] des -s, plur. ut nom. sing.
Diminut. das Spiegelchen, Oberd. Spiegellein, von dem Zeitworte spiegeln, so
fern es ehedem so wohl active sehen, als auch ein Neutrum glänzen bedeutete. 1.
Von der Bedeutung des Sehens, da es ehedem, (a) Überhaupt, ein jedes Werkzeug
bedeutete, vermittelst dessen man siehet, oder wodurch man siehet. So wurde
eine Brille, Lat. Conspicilla, ehedem ein Augenspiegel genannt. In einigen
Oberdeutschen Gegenden heißt ein Fernglas noch jetzt ein Fernspiegel, und ein
Vergrößerungsglas ein Vergrößerungsspiegel. Vermuthlich ist es eine Figur von
dieser Bedeutung, wenn man noch im gemeinen leben einiger Gegenden eine schöne
Person, einen Augenspiegel nennet, gleichsam einen Gegenstand, den man mit Luft
ensiehet; eben daselbst wird auch ein liederliches Weibesbild Hurenspiegel
genannt. (b) In engerer und gewöhnlichere Bedeutung ist der Spiegel eine glatte
Fläche mit einem undurchsichtigen Grunde, welche die Strahlen so zurück wirft,
daß man noch durch denselben das Bild eines Gegenstandes sehen kann, Lat.
Speculum, besonders eine Fläche und ein mit einer solchen Fläche versehener
Körper, dessen vornehmste Absicht diese Zurückwerfung der Lichtstrahlen ist.
(1) Eigentlich. Ein platter, erhabener, hohler Spiegel oder Hohlspiegel. Ein
konischer Spiegel, Kugelspiegel u. s. f. Ein Brennspiegel, ein solcher Spiegel,
wenn er die zurück geworfenen Sonnenstrahlen zugleich in einen Punct
vereiniget, damit zu brennen. Im gemeinen Leben verstehet man unter dem Spiegel
schlechthin ein poliertes Glas mit einem dunkeln Grunde, seine Gestalt darin zu
sehen, oder sich darin zu spiegeln. Vor den Spiegel treten. In den Spiegel
sehen. Sich im Spiegel besehen. (2) Figürlich wird ein Ding, so fern es ein
lebhafter Erkenntnißgrund eines andern Dinges ist, oft ein Spiegel desselben
genannt. So heißt die Welt ein Spiegel der göttlichen Weisheit, ein Insect ein
Spiegel der göttlichen Macht. In noch weiterm Verstande pflegte man ehedem eine
jede deutliche Vorschrift des Verhaltens einen Spiegel zu nennen. Die alten
Sammlungen des Schwäbischen und Sächsischen Rechtes, ingleichen der
Lehenrechte, sind noch jetzt unter dem Nahmen des Schwabenspiegels,
Sachsenspiegels und Lehenspiegels bekannt. Gewisse Andachtsbücher führen noch
zuweilen die Nahmen Andachtsspiegel, Sündenspiegel, Gewissensspiegel,
Lebensspiegel u. s. f. so fern sie Vorschriften enthalten, sich in der Andacht
zu üben, sein Gewissen zu prüfen u. s. f. Auch ein Muster, ein Vorbild, wird
zuweilen ein Spiegel genannt. Ein Spiegel der Geduld, der Tugend. 2. In
weiterer Bedeutung und mit einem andern Stammbegriffe des Glänzens in der
Spiegel oft eine jede glänzende Fläche. So heißen die ebenen glänzenden Flächen
mancher Mineralien Spiegel, daher ein mit solchen Spiegeln versehenes Mineral
gleichfalls Spiegel genannt wird, dahin der Eisenspiegel, Kupferspiegel,
Schwefelkiesspiegel u. a. m. gehören. Die spiegelnden Flecken an manchen Vögeln
und vierfüßigen Thieren sind unter den Nahmen der Spiegel bekannt genug. (
S. Spiegelschimmel, Spiegelmeise, Spiegelkarpfen, Spiegelänte
u. s. f.) Der Pfau hat einen schönen Spiegel, wenn sein Schwanz mit
schönen spiegelnden Flecken versehen ist, daher dieser Schwanz selbst auch wohl
der Spiegel genannt wird. Der Spiegel einer Torte, bey den Zuckerbäckern, ein
glänzender Überzug der Oberfläche, welcher aus Eiweiß und Zucker bestehet, und
auch wohl der Guß genannt wird. (
S. Spiegeln.) Der Spiegel des Wassers, oder der
Wasserspiegel, die Oberfläche des ruhigen Wassers. 3. In noch weiterm
Verstande, so daß der Stammbegriff des Glänzens verschwindet, ist der Spiegel
oft eine jede ebene Fläche. Bey den Tischlern wird die eingesetzte eben Fläche
einer Thür u. s. f. oft einen Spiegel, noch häufiger aber eine Füllung genannt.
Der Spiegel eines Gewölbes, ein ebenes Feld in dessen Mitte, (
S. Spiegelgewölbe.) Der Spiegel an einem Schiffe, dessen
glattes ebenes Hintertheil, wo zugleich das Wapen oder Zeichen des Schiffes
angebracht wird, (
S. Spiegelschiff.) In der Artillerie wird die hölzerne
Scheibe, worauf die Haubitzgranate geküttet wird, der Spiegel genannt. Der
Hebespiegel und Kammerspiegel sind eben daselbst zwey andere ähnliche hölzerne
Scheiben, (
S. diese Wörter.) Bey den Jägern wird der Schwanz des
Rehwildbretes, welcher aus einem Zopfe weißer Haare bestehet, so wohl der
Spiegel als die Scheibe genannt, wo aber auch der Begriff des Spielens, der
Bewegung, der herrschende seyn kann, indem der Schwanz daher bey andern Thieren
auch das Spiel heißt. 4. In einigen Fällen führen auch gewisse Arten der
Öffnungen den Nahmen der Spiegel. So sind die Maschen der Jagd- und
Fischernetze, besonders die viereckten und rautenförmigen unter dem Nahmen der
Spiegel bekannt, (
S. Spiegelgarn.) Bey einigen Jägern ist der Spiegel eine
aufgestellte Schlinge. Auch die Wundärzte haben gewisse Werkzeuge, den Mund in
der Mundklemme und den verschlossenen Muttermund bey einer todten Geburt zu
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193-194] öffnen, welche Mundspiegel und Mutterspiegel
heißen, Latein. Dioptrae. Vielleicht wegen einer Ähnlichkeit mit einem Spiegel,
oder in weiterm Verstande einer Masche und Schlinge, so fern man sich den
eingeschlossenen offenen Raum als eine glatte ebene Fläche denkt, oder auch, so
fern man dadurch spähen oder sehen kann. Anm. In der gewöhnlichen Bedeutung
eines Glases sich darin zu besehen, schon in dem alten Gedichte auf den heil.
Anno, Spiegel, in der Monseeischen Glosse Spiegal; im Nieders. Speigel, Speiel,
im Schwed. Spegel. Es kann seyn, daß es in dieser Bedeutung aus dem Latein.
Speculum entlehnet worden, wenn es anders erweislich ist, daß wir dieses
Werkzeug der Eitelkeit von den Italiänern bekommen haben. Allem das Wort selbst
scheinet, wegen seines weiten Umfanges, der Bedeutung echt Deutsch zu seyn. Die
Ableitungssylbe -el bedeutet ein Werkzeug, ein Ding; die erste Hälfte Spieg
aber, verräth ein Intensivum von spähen, welches ehedem so wohl sehen, als
glänzen bedeutete. Siehe dasselbe, ingleichen Spiegeln.
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193-194]