Seyn
, [
69-70] ein sehr irreguläres Zeitwort,
dessen abweichende Form daher rühret, weil es, so wie wir es jetzt haben, aus
mehrern Zeitwörtern zusammen gesetzt ist. Ich will zuförderst dessen
Conjugation hersetzen, und, um die Anmerkung desto kürzer fassen zu können,
zugleich einige alte und abweichende Formen beyfügen. Präsens Indic. Ich bin.
Kero bim, pim. Nieders. bin. Lat. sum. Angels. eom. Ulphil. im Engl. am.
Isländ. em, er. Pers. em. Griech. hier nichtlateinischer Text, siehe
Image. Äol. hier nichtlateinischer Text, siehe Image. Dor.
hier nichtlateinischer Text, siehe Image. Schwed. är. Du bist.
Kero pist. Ottfr. bist. Nieders. bust. Ulphil. is. Angels. art. Lat. es. Er
ist. Kero ec. ist. Nieders. is. Lat. est. Griech. hier nichtlateinischer
Text, siehe Image. Russ. jest. Wallis. sydd, sy. Wir sind. Oberd. seyn,
seynd. Nieders. sunt. Kero birum, birumes. Notk. birin, bin. Ihr seyd. Notk.
bint, birint, pirint. Minnes uuesent. Theuerd. ihr sint, seindt. Nieders. sunt.
Angels. aro. Sie sind. Oberd. seyn, seynd. Kero sint. Isid. sindun. Angels.
aron, sind. Nieders. sunt. Conjunct. Ich sey. Nieders. wese. Alem sii. Isländ.
sie. Lat. sim. Ulphil. sijai. Du seyst. Nieders. wesest. Ulphil. sijais. Lat.
sis. Alem. sist. Er sey. Nieders. wese. Schwed. se, Ulphil. sijai. Alem. sii.
Griech. hier nichtlateinischer Text, siehe Image. Wir seyn.
Nieders. wesen. Ottfried simes. Isländ. sieum. Lat. simus. Ihr seyd. Nieders.
weset. Isländ. sieut. Lat. sitis. Sie seyn. Oberd. seynd. Nieders. wesen.
Isländ. sien. Lat. sint. Schwed. sein, seen. Imperf. Indic. Ich war. Isid.
uuar. Fränk. 790. uuar, uuas. Angels hwas. Nieders. was. Lat. eram. Schwed.
var. Ulph. vas. Du warst. Nieders. werest. Er war. Nieders. were. Wir waren.
Nieders. weren. Ihr waret. Nieders. weret. Sie waren. Ottfr. uuarum, uuestum.
Nieders. weren. Conjunct. Ich wäre ec. Alem. uuara. Gloss. Mons. uuisit, wäre.
Ulphil. vesjau. Lat. essem. Perfect. Indic. Ich bin gewesen u. s. f. Nieders.
bin wesen. Conjunct. Ich sey gewesen u. s. f. Ottfr. uuesti, du seyst gewesen.
Plusquamp. Indic. Ich war gewesen u. s. f. Nieders. was wesen. Conjunct. Ich
wäre gewesen u. s. f. Futur. 1. Indic. Ich werde seyn. Kero birum, bim.
Nieders. werde wesen. Griech. hier nichtlateinischer Text, siehe
Image, Lat. ero. Ulphil sijai. Du wirst seyn u. s. f. Conjunct. Ich
werde seyn. Du werdest seyn u. s. f. Futur. 2. Indic. Ich würde seyn u. s. f.
Conjunct. Ich würde seyn u. s. f. Imperat. Sey du. Alem sig. Isid. sii. Oberd.
bis. Willer. uuis. Nieders. wes. Ottfr. wis. Angels. wis. Sey er. Seyn wir, im
Oberd. Ottfr. simes. Lat. simus. Seyd ihr. Nieders. weset. Seyn sie. Infinit.
Seyn. Alem. geseyn. Ottfr. sin, uuesin, Isid. Kero uuesan. Ulphil. uuisan.
Nieders. wesen. Angels. uuesan. Lat. esse. Griech. hier nichtlateinischer
Text, siehe Image im Fut. hier nichtlateinischer Text, siehe
Image Äol. hier nichtlateinischer Text, siehe Image. Dor.
hier nichtlateinischer Text, siehe Image. Schwed. vara. Isländ.
vera. Angels. ar und beon. Engl. to bee. Gewesen seyn. Mittelw. Gewesen, vulg.
gewest. Baiern geweren. Nieders. wesen, west. Es ist in zweyfacher Gestalt
üblich. I. Als ein eigenes für sich bestehendes Zeitwort, da es denn die
einfache Beziehung ausdruckt, welche nur zwischen dem Subject und Prädicat
Statt finden kann, diejenige Beziehung, da das Prädicat von dem Subjecte
bejahet, demselben zugesprochen wird. 1. Eigentlich, wo das Prädicat von
verschiedener Art seyn kann. (1) Ein Nebenwort, oder ein Bey- und Mittelwort in
absoluter oder adverbischer Gestalt. Ich bin gesund. Du bist groß. Sie ist
traurig. Wir waren lustig, recht sehr lustig. Wer wollte traurig seyn. Sey
damit zufrieden. Ich bin es zufrieden, damit. Er war sehr mächtig. Seyd
fleißig. Ich bin ihnen sehr verbunden. Seyn sie versichert, daß es geschiehet.
Wir sind nicht so gesinnet. Er war arm und ist nun recht. Besser seyn wollen,
als andere Leute. Es ist an Einer genug. Ich bin meiner Sache gewiß. Es ist,
als wenn es heut wäre. Wenn sie nur wüßten, wie lieb sie mir sind. Der Weg zu
uns ist nicht so leicht zu gehen, Gell. Es war mir leicht, sein ganzes Herz zu
errathen. Das wurde mir nicht lieb seyn. Sie sind mir sehr angenehm. Er ist
nicht mehr weit. Schon längst war dirs gedroht, Weiße. Er ist nun fort. Das
Verlangen glücklich zu seyn. Als wenn es heute wäre. Ich bin ihm gut, gewogen.
Jemanden feind seyn. [
71-72]
Das Geld ist dein. Es sind nicht mehr als hundert Gulden mein,
Gell.
(
S. Dein, Mein u. s. f.) Es ist kalt, finster. Es ist
vorüber. Er ist noch weit zurück. Es war nicht wahr. Seyd willkommen. Wohin
auch das sey gegrüßat der ältern und neuern Schriftsteller, und zwar der
letztern in der höhern Schreibart gehöret. Sey mir gegrüßt, Mykon, du
lieblicher Sänger! Geßn. Ingleichen sehr viele besondere Redensarten; z. B. Er
ist dahin, todt, unglücklich. Böse auf jemanden seyn, auf ihn zürnen. Erst zwey
Uhr? Es muß weiter seyn. Das wäre mir recht! ironisch. Ey, das wäre fein! auch
ironisch. Wie weit sind sie in dieser Sache? wo aber auch gekommen ausgelassen
seyn kann, da es denn das Hülfswort ist. Ich bin schon wieder gut, ausgesöhnt.
Das ist mir recht, ich lasse es mir gefallen. Laß es gut seyn. Obgleich die
Sprachlehrer wollen, daß dieses substantive Zeitwort seyn niemahls ausgelassen
werden dürfe, so gibt es doch Fälle genug, wo es üblich ist, nur daß diese
Fälle nicht nach Gutdünken vermehret werden dürfen. Nicht wahr, die Sache ist
so? für: ists nicht wahr? Nicht so böse, mein lieber Peter! Weiße; d. i. sey
doch nicht so böse. Das soll dein, Gell. nähmlich seyn, welche Art zu reden
freylich hart und niedrig ist. Auch höhere Schreibart leidet diese Auslassung
zuweilen.
So alt, so einen großen Bart, Und noch mit kleinen Buben
spielen! Wiel,
d. i. so alt seyn, so einen großen Bart haben, u. s. f.
Verständig oder nicht, mir gilt es einerley, eben ders.
Er sey verständig oder nicht. Ihr Brief, noch naß von meinen
Thränen, liegt aufgeschlagen vor mir.
Du, mehr als andere Gätter werth, Dir flehen auch die Prinzen,
Raml.
Es ist, däucht mich, eine sehr unfruchtbare Streitigkeit, ob
das in dieser Bedeutung bey dem Zeitwort seyn befindliche Wort ein wahres Bey-
oder ein eigentliches Nebenwort ist. Genug, es ist ein Beywort in der
adverbischen Form, und warum sollte dieses nicht ein wahres Nebenwort heißen
können? Über dieß gibt es Fälle genug, wo eigentliche Nebenwörter, welche nie
als Beywörter gebraucht werden, zu dem seyn gesellet werden; er ist fort, die
Kirche ist aus u. s. f. Bey den folgenden Bedeutungen kommen deren mehrere vor.
Es scheinet mir daher auch ohne allen Nutzen zu seyn, daß man aus diesem
Zeitworte eine eigene Classe gemacht und es ein substantives oder
selbstständiges Zeitwort genannt hat, indem es doch am Ende wohl nicht mehr
Selbstständigkeit hat, als ein jedes andere Zeitwort, zumahl wenn man auf
dessen Ursprung zurück siehet, da er aus mehrern anfänglich verschiedenen
Zeitwörtern zusammen gesetzt ist, welche so, wie ein jedes andre Zeitwort,
eigentlich körperliche Handlungen bedeuteten. (
S. die Anmerkung.) Seyn wird mit seinem Nebenworte
vornehmlich in solchen Fällen gebraucht, wo man kein anderes Zeitwort hat, den
Begriff oder die jedesmahlige Schattierung des Begriffes auszudrucken. Das Lat.
madere, geben wir durch naß, feucht seyn, macere, durch mager seyn, prostare,
durch feil seyn, weil wir keine Zeitwörter haben, die diesen Begriff mit Einem
Worte ausdrucken. Eben so müssen die Franzosen und andere Völker viele Begriffe
mit etre umschreiben, welche wir mit Einem Worte ausdrucken können, etre
debout, stehen, qui n'est pas stable, unstätt, u. s. f. (2) Ein Hauptwort,
welches denn, so wie das Subject, in der ersten Endung stehet, so daß das
Zeitwort seyn, in diesem Falle, zwey Nominative bey sich hat. Salomo war ein
König. Dein Bruder ist ein ehrlicher Mann. Ich bin sein Freund nicht. Ich bin
ihr Diener. Seyd ihr der Wirth! Das ist eine elende Entschuldigung. Nie sey die
Kränklichkeit des Kin- [
71-72] des eine Ursache zur
Nachsicht gegen seine bösen Neigungen, Gell. Das ist mir ein leichtes. Das ist
ganz etwas anders. Wo seyn auch oft unpersönlich gebraucht wird, so daß das
Wörtchen es die Stelle das Subjectes vertritt. Es ist heute gutes Wetter. Es
ist hohe Zeit. Es ist schon Tag. Es ist die Wahrheit. Es ist ja die Rede nicht
davon; wo es auch ausgelassen wird, die Rede ist nicht davon, davon ist die
Rede nicht. Mit dieser Sache ist es ein anders. In der höhern und dichterischen
Schreibart wird statt des Nebenwortes oft zierlich ein Hauptwort gebraucht. Sie
ist ganz Liebe, sie ist überaus liebreich.
Ich bin ganz Zufriedenheit, Wenn ich dich voll Heiterkeit Auf
mich lächeln sehe, Weiße.
In sehr vielen Fällen wird das Prädicat statt der ersten
Endung in die zweyte gesetzt. Sey gutes Muthes. Was deines Amts nicht ist, da
laß deinen Fürwitz. Das ist meines Amtes nicht, Less. Er ist meiner Meinung.
Ich bin anderer Meinung. Er war auch der Meinung. Sie ist schön, guter Geburt,
und hat Verstand, Gell. für von guter Geburt. Er ist etwas blöden Verstandes,
Weiß. Sie sind beyde Eines Geschlechtes, Eines Stammes, Einer Herkunft. Ich
würde hierin sehr seines Geschmackes seyn, Less. Ich bin des Todes, in der
vertraulichen Sprechart, ich möchte vor Verdruß, vor Ärgerniß gleich sterben.
Man möchte vor Ärgerniß gleich des Todes seyn. Ich will des Todes seyn, wenn es
nicht an dem ist, eine im gemeinen Leben übliche Art der Betheurung. Aber, des
Todes seyn, für sterben schlechthin, ist veraltet. Er ist ganz des Henkers, des
Teufels, im gemeinen Leben, er ist wie der Teufel, Willens seyn. ich bin nicht
Willens hinzugehen. Sie sind Eines Sinnes. Guter Hoffnung seyn, schwanger seyn.
Der Mittel, um es recht hoch zu bringen, sind zwey. Im Oberdeutschen sagt man
auch, es ist der Nothdurft, es ist nothwendig, es ist unserer Schuldigkeit, für
unsere Schuldigkeit, wir sind des Erbiethens, wir erbiethen uns u. s. f. Nach
dem Muster dieser und anderer R. A. andere ähnliche zu bilden, ist nicht ganz
unerlaubt; erfordert aber Behutsamkeit. (3) Mit Vorwörtern. Auf dem Boden, auf
dem Felde, in der Stadt seyn, wo es aber zu der folgenden figürlichen Bedeutung
des gegenwärtig seyn, gehöret. Die meisten dieser Fälle, wo seyn unmittelbar
mit Vorwörtern verbunden wird, sind elliptisch oder figürlich; z. B. auf seyn,
im Gegensatze des Liegens. Wohl auf seyn, sich wohl befinden. Aus seyn, zu Ende
seyn. Es ist an mir, die Reihe ist an mir, trifft mich. So viel an mir ist, so
viel in meinen Kräften ist. Es ist an dem, bedeutet 1, es ist wahr, und 2, man
ist im Begriffe. Es ist nichts an der Sache, nichts wahres, sie ist nicht wahr.
Es ist nichts an ihm, d. i. nichts Brauchbares, er ist kein tauglicher, kein
brauchbarer Mensch. Ich muß wissen, was an dir ist, was für ein Mensch du bist.
Schlecht daran seyn, sich in schlechten Umständen befinden. Ich bin übel mit
ihm daran. Du bist recht daran, im gemeinen Leben, du hast Recht. Die Sache ist
nicht für mich, schickt sich nicht für mich. Aus der Mode seyn. Hinter jemanden
her seyn, ihn verfolgen, genau auf ihn acht geben. Alles ist wider ihn, ist ihm
entgegen, ihm gehässig, widersetzt sich ihm. Der Schein ist freylich sehr wider
mich. Sie war in ihren prächtigsten Kleidern, nämlich gekleidet. Auf seiner
Huth seyn. Ich bin jetzt aus aller meiner Verlegenheit. Er ist von sehr wenig
Worten, er spricht nicht gern viel. Es mag darum seyn. Was ist zu ihrem
Befehle? Im Gange seyn. Ohne Freund seyn, keinen Freund haben. Niemahls ohne
Geld seyn. Die Freude ist vornehmlich für die Menschen und die
[
73-74] Menschen für die Freude, nähmlich bestimmt.
Das ist von mir, rühret von mir her. Und so in vielen andern Fällen mehr,
dergleichen noch einige im folgenden vorkommen werden. Zu diesen elliptischen
Arten der Ausdrücke gehören auch: ab seyn, an seyn, auf seyn, zu seyn u. s. f.
welche von den meisten als Zusammensetzungen angesehen werden, es aber nicht
sind, sondern als bloße elliptische R. A. betrachtet werden müssen. (4) Mit
Zeitwörtern, wo es doch nur in einigen Fällen gebraucht werden kann, welche den
Übergang dieses für sich bestehenden Zeitwortes zu dem folgenden Hülfsworte
ausmachen. aa) Mit dem bloßen Infinitiv. Hier ist gut seyn. Gelehrten ist gut
predigen. Hier ist nicht gut wohnen, fahren, gehen, reiten. In diesem Lande war
damahls übel reisen. Welche Wortfügung doch nicht überall Statt finden kann. Im
Oberdeutschen gebrauchte man es ehedem als ein Hülfswort des Infinitivs. Er ist
gehen, er gehet; er war gehen, er ging. Und herzlich bitten was, (war), Hans
Sachs. War für den Kerker stehen, ebend. Als Pluto das war merken, eben ders.
bb) Mit dem Infinitiv und dem Wörtchen zu. Was ist zu thun? Ich weiß nicht, was
bey der Sache anzufangen ist. Es ist noch viel zu bezahlen. Hier ist nichts zu
erwerben. Bey der Sache ist nichts zu verdienen. Daran ist nichts zu gewinnen.
Mit dem Tode ist nicht zu scherzen. Mit solchen Leuten ist kein Mitleiden zu
haben. Er ist in der Kirche nie zu fehlen, er ist immer daselbst anzutreffen.
Es ist ihm bloß um das Geld zu thun, seine Absicht ist dabey allein auf das
Geld gerichtet; wo zu thun in der vertraulichen Sprechart auch ausgelassen
wird. Es ist ihr bloß um mich. Es ist mir nur um uns, mit dir hat Gott gethan,
Opitz; d. i. ich beklage nur uns. Aber, es ist davon so viel zu erfahren
gewesen, man hat davon so viel erfahren, ist Oberdeutsch. cc) Mit dem
Mittelworte der vergangenen Zeit. Damit ist mir nicht gedienet. Nun ist mir
geholfen. Das sey dem Himmel geklagt! Laß die das gesagt seyn. 2. Figürlich,
von welcher Art des Gebrauches hier nur die vornehmsten Fälle angeführet werden
können, wovon ohne dieß die meisten elliptisch sind. Es bedeutet, (1)
Befindlich seyn, gegenwärtig seyn, seine Wirkung an einem Orte offenbaren, so
daß der Ort entweder durch ein Nebenwort, oder auch durch ein Vorwort
ausgedruckt wird. Er ist hier, er war da, sie sind oben, unten u. s. f. Ich war
auf dem Felde, er ist in seine Stube, sie sind noch in der Kirche. Ich bin nie
in der Stadt gewesen. Du warest auch mit dabey. Bey der Tafel seyn. Der Feind
ist hinter uns. Wo bist du gewesen? Er ist täglich um uns. Morgen will ich bey
ihnen seyn. Ich bin gleich wieder bey ihnen, d. i. werde gleich wieder bey
ihnen seyn. Er wird in kurzen wieder hier seyn. Hier vor meiner Hütte sey der
Altar! Geßn. Wo auch mein Geist nach dem Tode seyn wird. In manchen Fällen
gebraucht man doch lieber das Zeitwort sich befinden, als seyn. In der Mitte
des Schiffes war eine Kajütte, besser, befand sich. (2) Außen seyn, ausbleiben.
Er wird nicht lange seyn. Er kann nicht lange mehr seyn. (3) Etwas seyn lassen,
im gemeinen Leben, es unterlassen, wofür man auch sagt, es bleiben lassen. Und
also ließ ers lieber seyn. Schon Ottfried sagt, lazan sin thaz slafan, das
Schlafen unterlassen. (4) In sehr vielen Fällen wird es auch von den
Empfindungen, von dem Zustande des Gemüthes, wo es wieder ein sehr allgemeiner
und unbestimmter Ausdruck ist, der fast von allen Arten der Empfindung
gebraucht werden kann. Es stehet alsdann [
73-74]
unpersönlich, oder doch in der dritten Person, und erfordert die dritte Endung
der Person. (a) Im weitesten Verstande. Mir ist bange. Ihm ist angst. Es war
ihm angst und bange. Mir ist wohl, ich befinde mich wohl. Mir ist übel, ich
befinde mich übel. Mir ist nicht wohl bey der Sache. Was ist dir? was fehlet
dir, was empfindest du? Es ist mir leid um dich. Es sollte mir leid seyn, wenn
u. s. f. Es ist mir lieb, das ist mir lieb. Ich weiß nicht, wie mir ist. Ich
muß nur selber gehen und fragen was ihm ist, Gell. Mir ist nicht wie Musik, in
der vertraulichen Sprechart, ich habe jetzt keinen Gefallen an der Musik, die
Musik behaget mir jetzt nicht. Es ist mir nicht als ob ich es thun wollte, ich
habe keine Neigung dazu. In den niedrigen Sprecharten sagt man auch, mir ist
esserlich, ich habe Appetit zu essen, mir ist weinerlich, ich möchte weinen u.
s. f. Der persönliche Gebrauch in dieser Bedeutung ist in der reinen Schreibart
ungewöhnlich. Ich bin seit etlichen Tagen nicht gar zu wohl gewesen, Raben
besser mir ist u. s. f. (b) In engerer Bedeutung für scheinen, ingleichen eine
dunkele Empfindung haben, mit welchem Worte seyn in dieser Bedeutung viele
etymologische Verwandtschaft hat. Es ist mir, als wenn ich etwas sähe. Es ist
mir, als wenn ich ihn einmahl gesehen hätte. Es ist mir, als rückten mir alle,
die mich sehen, mein Vergeben vor. Es ist mir aber doch, als glaubt ich Petern
mehr als dem Herrn, Weiße. Die Welt ist mir ein Gefängniß, ist für mich ein
Gefängniß, oder kommt mir wie ein Gefängniß vor. Wo die dritte Endung der
Person auch ausgelassen werden kann, besonders wenn man den Satz noch
allgemeiner ausdrücken will. Er sprach, es ist, als wenn ich ihn jetzt reden
hörte, Rost. Wenn ich zurück sehe, dann ists, als hätt ich nur einen langen
Frühling gelebt, Geßn. Es ist, als wendete die Natur doppelten Fleiß darauf.
Bey aller Liebe, die ich hatte, wars doch, als wenn ich wünschte, ihn nie
gekannt zu haben. (5) Gehören. Wem ist das Gut? wem gehöret es.
Das Geld ist dein, Es sind nicht mehr als hundert Gulden mein,
Die sollen deinen Kindern seyn, Gell.
Wo es, wenn es für bestimmt seyn stehet, auch das Vorwort für
bekommt. Das ist nicht für mich.
Verdacht ist für die Furcht, und Argwohn für Tyrannen, Cron.
(6) Beschaffen seyn. Wie sind seine Umstände. Ich weiß schon,
wie du bist, was für eine Gemüthsart du hast. Man weiß, wie Kinder sind, Gell.
Wie Tityrus nun ist, er fing zum Thyrsts an, Rost. Nun sieht
man, wie du bist, eben ders.
Wenn ich, wie du wäre, so thäte ich es, d. i. wenn ich an
diener Stelle wäre. Eine besondere Art zu reden ist, dem sey nun wie ihm wolle,
oder, dem sey nun wie ihm sey, die Sache mag auch beschaffen seyn, wie sie
will. Im gemeinen Leben drückt man den Gegenstand auch wohl mit dem Vorworte
mit aus, und braucht das Zeitwort unpersönlich. So ist es mit dem Gesinde, d.
i. so ist das Gesinde beschaffen, so macht es das Gesinde. Aber in der
anständigen Schreibart klingt solches ungewöhnlich und fremd. Es ist mit dem
Schalle, wie mit den Tönen, besser, es verhält sich mit dem Schalle u. s. f.
(7) Oft wird er zur Bestimmung der Zeit gebraucht, wenn eine Sache geschehen
ist. Es war eben im Herbste, da ich ihn sahe. Es war am Morgen, da die Nymphe
den bunten [
75-76] Kranz auf ihre Stirn setzte. Wenn
ich jemals vergessen habe, daß sie meine Mutter war, so war es in diesem
Augenblicke, Dusch. Es sind nunmehr zehen Jahre, daß ich ihn nicht gesehen
habe. Es ist (sind) kaum vierzehn Tage, daß du wegreisetest, Schleg. Fünf Tage
sinds nun, seit er uns beyde auf seinem Schloß hielt, und weinte, Geßn. (8)
Geschehen. Wenn es seyn soll, so sey es. Es ist um Lebens und Sterbens willen,
es geschiehet. Das muß nicht seyn. Das kann nicht seyn, geschehen. Das kann
wohl seyn, ist möglich. Das kann nicht seyn, ist unmöglich. Thun sie es, wenn
es seyn kann. Es kann seyn, daß ich ihm gewogen bin. Es kann seyn, daß die
Liebe viele Annehmlichkeiten hat, Gell. (9) Die Ursache seyn, nur in einigen
Fällen. Wenn ich nicht gewesen wäre, u. s. f. Wäre dieses nicht, so käme ich
gewiß. Wenn es zuweilen auch gebraucht wird, eine Bedingung auszudrucken. Gut,
wenn das ist magst du leben, Less. Wenn das ist, so haben wir ja nichts zu
befürchten, Gell. (10) Vorhanden seyn, wirklich seyn. War je ein Wunsch, den
mein Auge verrieth, den du nicht erfülltest, Geßn. Besonders absolute, die
reelle Existenz, das Daseyn eines Dinges außer den Gedanken zu bezeichnen. Es
ist ein Gott. Gott ist. Gott ist von Ewigkeit her gewesen. Ich denke, darum bin
ich. Daß ich jetzt bin, ist unverdiente Wohlthat des Schöpfers, Gell. Das
Verlangen nach Glück verläßt uns nur in dem Augenblicke, da wir aufhören zu
seyn.
Er lebet, wie gar viel schließt dieses Wort nicht ein! Ihr
Weisen, saget mir, heißt leben mehr als seyn? Haged.
In der dichterischen Schreibart bedeutet es oft nur in der
Reihe der sichtbaren Körper, der lebendigen Dinge, vorhanden seyn, leben. Sie
werden mich auch, wenn ich nicht mehr seyn werde, noch lieben und segnen. Unser
Freund ist nicht mehr, er ist todt. (11) Endlich gehören hierher noch
verschiedene einzelne Arten des Ausdruckes, in welchen das Zeitwort eine engere
oder figürliche Bedeutung hat. Das wäre! eine in gemeinen Leben übliche Formel,
seinem Verwunderung auszudrucken. Laß seyn, daß er reich ist, gesetzt. Lassen
sie es seyn, daß er nicht mit der Anmuth zu pfeiffen und zu trallern weiß,
Weiße, gesetzt. Was soll das seyn? was soll das bedeuten, warum geschiehet das;
nur im gemeinen Leben. Was solls seyn? im gemeinen Leben, was wollt ihr? was
wird verlangt? Was ist für ihre Mühe? Was soll für ihre Muhe seyn? was habe ich
für ihre Mühe zu bezahlen?
Herr, sprach der gute Bauer, Was soll für seine Mühe seyn?
Gell.
Wie wäre es, wenn wir die Hälfte böthen? wäre nicht thunlich?
Du läßt den ganzen Tag die Herde Herde seyn, Rost; du bekümmerst dich den
ganzen Tag nicht um die Herde. Was ist es denn nun mehr? das ist ja keine Sache
von Wichtigkeit.
Gesetzt, daß Doris auch es dem Damöt vertraut, Was ist es denn
nun mehr? Gell.
Was wäre es denn gewesen, wenn er es auch gehöret hätte? Was
ist es denn nun, ob mich dieser Mann liest oder nicht? Gell. was ist daran
gelegen? Da Sey Gott vor! Da sey der Himmel vor! das wolle Gott, der Himmel
verhüthen! O Daphne, nichts gleicht dem Entzücken, es sey denn das Entzücken
von dir geliebt zu seyn, Geßn. wo es sey denn in der feyerlichen und höhern
Schreibart für das kürzere als stehet. In einem andern Verstande wird es sey
gebraucht, disjunctive Sätze zu begleiten. Es sey Krankheit, es sey Verlust der
Güter dieses Lebens, - der Gedanke an die göttliche Vorsehung vermindert ihr
schmerzhaftes, Gell. Es sey darum, es man darum seyn, es mag geschehen oder
Statt finden. [
75-76] II. Als ein Hülfswort, womit die
vergangenen Zeiten gewissen Zeitwörter von der Mittelgattung gemacht werden.
Die ganze Lehre von den Hülfswörtern der Neutrorum ist in den Deutschen
Sprachlehren noch nicht genug bearbeitet, wird sich auch wohl nicht leicht auf
gewisse Regeln bringen lassen. Die Hauptsache kommt darauf an. Ein Neutrum,
welches mehr einen selbstthätigen Zustand bezeichnet, erfordert das Hülfswort
haben, und ein Neutrum, welches einen mehr leidenden Zustand ausdruckt, das
Hülfswort seyn. Diese Regel ist eigentlich ohne Ausnahmen, ob sie gleich in der
Anwendung auf einzelne Fälle Schwierigkeiten zu haben scheint. Z. B. Die Neutra
gehen, laufen, deuten wirklich einen sehr thätigen Zustand an, und haben doch
das Hülfswort seyn. Um hier nicht zu falschen Schlüssen geleitet zu werden, muß
man der wahren Abstammung eines jeden Wortes nachprüfen. Gehen ist in seiner
heutigen gangbarsten Bedeutung nur ein eingeschränkter Fall der ursprünglich
allgemeinern, nach welcher gehen nichts anders ist, als sanft, oder langsam
beweget werden. Und nun siehet man ohne Mühe, daß ihm das Hülfswort seyn, das
eigentliche Zeitwort eines leidenden Zustandes zukommen müsse. Da es aber in
manchen Fällen schwer ist, zu entscheiden, welche Bedeutung in einem Neutro die
herrschende ist, die thuende oder die leidende, so läßt sich auch nicht
allemahl gewiß bestimmen, welches Hülfswort sich ohne Ausnahme für dasselbe
schicke; zumahl, wenn die Deutschen Mundarten bey einem solchen Worte wirklich
getheilt sind. Hieraus folgt ferner, daß ein und eben dasselbe Hülfswort in
verschiedenen Bedeutungen beyde Hülfswörter bekommen könne, je nachdem die
Bedeutungen mehr selbst wirkend oder mehr leidend, oder doch von den ersten
Urhebern der Sprache so betrachtet worden sind. Eine ziemlich allgemeine Regel
ist die, daß diejenigen Neutra der eigenen Bewegung, welche ordentlich das
Hülfswort haben bekommen, das seyn erfordern, wenn der Ort, von welchem oder zu
welchem die Bewegung geschiehet, mit ausgedruckt wird. Wir haben den ganzen Tag
gesegelt, und, wir sind von Cadir abgesegelt. Hieraus folgt ferner, daß auch
die zusammen gesetzten Neutra, wenn das Vorwort, womit sie zusammen gesetzt
sind, einen solchen Terminum a quo oder ad quem enthält, gemeiniglich das
Hülfswort seyn erfordern. Doch das alles gehöret in die Sprachlehre. Anm. 1.
Seyn ist, als ein eigenes Zeitwort betrachtet, ein Neutrum, welches einen
völlig leidenden Zustand ausdruckt, und daher in den vergangenen Zeiten mit
sich selbst gemacht wird; ich bin gewesen. Diejenigen Neutra, welche seyn
bekommen, leiden das Mittelwort der vergangenen Zeit; daher kann man auch,
gewesen als ein Beywort gebrauchen, mein gewesener Freund. Aber das Mittelwort
der gegenwärtigen Zeit, ein seyender ist im Hochdeutschen ganz ungewöhnlich, ob
man gleich in den Oberdeutschen Kanzelleyen häufig genug sagt, die in Bewegung
seyende Materie. Viele haben die Oberdeutschen Formen wir seyn, sie seyn für
sind, auch im Hochdeutschen einführen wollen:
Die längst zuvor verblichen seyn, Opitz.
aber damit noch wenig Eingang gefunden. Es ist auch nicht
abzusehen, was damit gewonnen werden könnte, da seyn einmahl das irregulärste
Zeitwort ist, welches wir nur haben. Anm. 2. Aus dem, was zu Anfange dieses
Artikels gesagt worden, erhellet, daß dieses Zeitwort, so wie wir es jetzt
haben eigentlich aus sieben andern zusammen gesetzt ist. Diese sind: Am, em,
Angels. eom, Ulphil. im, Engl. em, Isländ. em, Pers. em, Griech. hier
nichtlateinischer Text, siehe Image, ich bin; Griech. hier
nichtlateinischer Text, siehe Image, hier nichtlateinischer Text,
siehe Image, seyn. Ar, er. Isländ. er, Schwed. är, ich om; Angels. art,
du bist; Engl. are, er ist; Angels. aro, ihr seyd, aron, sie sind; Lat. eram,
ich war, ero, ich werde seyn; Angels. ar, seyn. [
77-78] War, wer, welches aus dem vorigen nur durch den verstärkenden
Blaselaut gebildet zu seyn scheinet. Kero, Notker, birum, birumes, birin, wir
sind, birint, pirint, ihr seyd; ich war, wäre, Schwed. var; Kero birum, ich
werde seyn; Schwed. vara, Isländ. vera, seyn. As, es, Ulph. is, Lat. es,
Griech. hier nichtlateinischer Text, siehe Image, du bist; er ist;
Lat. est, Griech. hier nichtlateinischer Text, siehe Image, Russ.
jest; Griech. hier nichtlateinischer Text, siehe Image, er sey;
Lat. essem, ich wäre; Griech. hier nichtlateinischer Text, siehe
Image, ich werde seyn; Lat. esse, Griech. hier nichtlateinischer
Text, siehe Image, seyn. Was, wes, welches wiederum nur durch Vorsetzung
des Blaselautes von dem vorigen gebildet zu seyn scheinet. Minnes. wesent, ihr
seyd; Nieders. wese, ich sey; Fränk. und Nieders. was, ich war; Ulph. vas,
Angels. hwas, gewesen; Willer. uuis, sey, Nieders. wes, Angels. wis, Kero,
Ottfr. ec. uuesan, seyn, Ulphil uuisan. Bim, bin, bien. Ich bin, bist. Kero
pim, bim, pist; Notker bin, wir sind; bint, sie sind; Kero bim, ich werde seyn;
Oberd. bis, sey; Angels. beon, Engl. bee, Böhm. byti, seyn. Seyn, Lat. sum,
Ital. sono, ich bin; Wallis, sydd, sy, er ist; wir sind, ihr seyd; Alem. sii,
ich sey, Isländ. sie, Lat. sim, Ulphil. sijai, sey du; Infinit. seyn. Eben
dieses gilt auch von andern Sprachen, weil in allen bekannten Sprachen dieses
Zeitwort überaus irregulär ist. Die Ursache davon ist wohl, weil dessen
Bedeutung so fein und unerklärbar ist, daß man sie in vielen einzelnen Fällen
nicht anders als durch verschiedene Wörter ausdrücken kann, welche ursprünglich
einen ganz andern körperlichen Begriff haben, und hier nur in figürlicher
Bedeutung stehen. Wenn man diese einzelnen Stammwörter genauer untersucht, so
wird man davon überzeugt werden. So ist der Infinitiv seyn, und der Conj. ich
sey, mit scheinen, und schehen, in geschehen verwandt; ist, est, esse, scheint
zu essen zu gehören, denn einem ganz rohen und ungebildeten Begriff,
dergleichen man bey den Erfindern der Sprache annehmen muß, sind essen und
seyn, sehr verwandte Dinge. (
S. Wesen.) Bin, ist allem Ansehen nach Eines Stammes
mit, Bein, Bahn, hier nichtlateinischer Text, siehe Image, venio,
u. s. f. im Albanischen ist binn, ich komme; war mit werden, u. s. f.
[
77-78]