Selbst
, [
45-46] ein Nebenwort, welches zur
genauen Bestimmung eines persönlichen oder demonstrativen Für- oder Hauptwortes
dienet, und von der Person oder Sache, worauf es sich beziehet, die Beyhülfe,
Mitwirkung, Vertretung u. s. f. eines jeden andern Individui ausschließet. Es
wird am gewöhnlichsten hinter sein Haupt- oder Fürwort gesetzet, kann aber auch
zuweilen vor demselben stehen, welcher letztere Stand den Nachdruck erhöhet. 1.
Eigentlich. Er muß selbst kommen, selbst muß er kommen, in eigener Person. Wir
haben es selbst gethan, ohne andere Mitwirkung. Er sit es selbst. Die Liebe
seiner selbst. Sich selbst verkennen, verleugnen. Wer andere loben will, muß
selbst lobenswürdig seyn. Böse Neigungen verstärken die Krankheiten des Körpers
und sind selbst die gefährlichsten Krankheiten, Gell. Wo ist eine
Privat-Thorheit, die nur in dem Bezirke unsrer selbst bliebe, und sich nicht
auf irgend eine Weise der Gesellschaft mittheilte? eben ders. Zuweilen
schließet es nur eine entferntere Theilnehmung u. s. f. aus. Selbst backen,
brauen, durch seine eigenen Leute backen und braunen lassen, und das Brot oder
Bier nicht von dem Bäcker und Brauer nehmen. Oft wird es den Haupt- und
Fürwörtern nur um des Nachdruckes willen beygefüget. Die Sache ist an und für
sich selbst nicht schlecht, für sich allein betrachtet. In sich selbst gehen.
Wieder zu sich kommen. Daher es denn hier auch wegfallen kann. An und für sich,
in sich gehen, wieder zu sich kommen. Diesen Nachdruck zu verstärken, pflegen
manche Oberdeutsche Provinzen noch das veraltete selb vorzusetzen, welches bey
dem Opitz und andern Schlesischen Dichtern häufig vorkommt, aber auch in
einigen andern Oberdeutschen Provinzen üblich ist.
Dem die Natur selbselbst nichts abgeschlagen, Opitz. Daß du
dir auch selbselbst nicht kannst so ähnlich seyn, eben ders. Es haben ja die
Brüder beyde sich Selbselbst auf einen Tag erwürget jämmerlich, eben ders.
Oft macht es eine Gradation. Ich komme fast selbst auf die
Gedanken, so gar ich; da es sich denn der folgenden figürlichen Bedeutung
nähert. Die Inversion, oder die Stellung dieses Wortes vor seinem Haupt- oder
Fürworte, oder gar zu Anfang der Rede, läßt sich hier nicht so oft anbringen,
als in der folgenden figürlichen Bedeutung. Da dieses Wort allemahl zur nähern
Bestimmung eines Haupt- oder Fürwortes gereichet, so müssen diese der Regel
nach ausdrücklich da seyn. Aber es gibt auch Fälle, wo sie ohne Tadel
verschwiegen werden können. Von selbst, d. i. von sich selbst. Er ergreift von,
selbst jede Gelegenheit, die sich ihm darbiethet, Gell. Was selbst wächst, von
sich selbst. Eine selbst erwählte Demuth, Col. 2, 22. Statt des Reciproci sich
selbst gebraucht man im Oberdeutschen häufig ihm selbst, er hat es ihm selbst
zu verdanken; welcher Gebrauch aber im Hochdeutschen fremd ist. In eben dieser
Mundart pflegt man es auch zur Bestimmung possessiver Fürwörter zu gebrauchen.
Sein selbst Haus, für, sein eigenes Haus. Von unserm selbst Vermögen, von
unserm eigenen. Dagegen es im Hochdeutschen nur allein persönliche und
demonstrative Fürwörter bestimmt. Nur in den Zusammensetzungen daselbst,
woselbst, und hierselbst dienet es auch zur ausschließenden Bestimmung der
Nebenwörter da, wo, und hier. Die sprichwörtliche R. A. selbst ist der Mann, d.
i. was gehörig verrichtet werden soll, muß man selbst thun, ist elliptisch.
Selbst ist der Mann; er selbst will alles hohlen, Haged.
Sonst kann es in manchen Fällen auch als ein unabänderliches
Hauptwort gebraucht werden. Menschen, die nur ihr nichtswürdiges Selbst lieben,
Weiße, ihre nichtswürdige eigene Person. 2. Figürlich. (1) Eine Gradation, eine
Steigerung des Begriffes zu bezeichnen, für sogar, wo es zugleich allerley
Inversionen leidet. Nichts ist natürlicher, und selbst erlaubter. Er kann das
Stehlen selbst nicht lassen, er kann selbst das Stehen nicht lassen, selbst das
Stehen kann er nicht lassen.
Der Schmerz um ihn ist für mein Herz Selbst noch ein
angenehmer Schmerz, Gell. Auch selbst der Zorn läßt ihr noch schön, eben ders.
Auch nicht die Armuth selbst sollte mich abhalten, redlich zu
handeln, Dusch. Wahrheit reden, sie selbst zu den Füßen des Thrones reden, ist
ein Verbrechen, welches Hofleute nie verzeihen. Selbst der Fluch einer Mutter
würde hier kraftlos seyn. Selbst aus seinem Stolze wird einst die ihm und der
Welt so nothwendige Tugend der Bescheidenheit erwachsen wenn er nur will, Gell.
Man hüthe sich aber, daß nicht eine falsche Stellung des selbst den Sinn
verdunkele, oder doch eine Härte verursache.
Was kann ich denn für das, was selbst die Liebe thut. Gellert.
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47-48] Wo es, wegen der vielen
einsylbigen Wörter, nicht nur hart klinget, sondern auch so wohl erste
eigentliche, als diese figürliche Bedeutung leidet, folglich zweydeutig ist.
(2) Wenn man andeuten will, daß eine Person oder Sache, eine Eigenschaft in
einem hohen Grade besitze, so sagt man nach einer gewöhnlichen Vergrößerung,
daß sie diese Eigenschaft selbst sey. Er ist die Freundlichkeit selbst. Sie ist
die Schönheit selbst. Er war die Tugend, die Bosheit selbst. Das ist ja die
Süßigkeit selbst. Wo zugleich keine weitere Inversion Statt findet. Er ist ja
die Leutseligkeit und Menschenliebe selbst, Gell. Anm. 1. Viele Sprachlehrer
geben dieses Wort für ein Pronomen aus, welchen Nahmen es doch so wenig
verdienet als eigen, welches die Possessiva bestimmet, und allein, welches die
Anwesenheit und Beyhülfe eines andern Individui ausschließet, so wie selbst,
das Subject mit Ausschließung eines andern Individui bestimmet. Es ist ein
wahres Nebenwort, denn im Deutschen haben wir Nebenwörter, welche nicht allein
die Zeitwörter, sondern auch die Nennwörter und Partikeln bestimmen. Anm. 2.
Das Stammwort ist selb, welches in selbe, ein biegsames Pronomen war, und noch
ist, und so wohl für sich allein, als auch mit allerley adverbischen Endungen
als ein unabänderliches Nebenwort gebraucht wurde. Diese Endungen sind -en,
-er, -s, oder -es, -est, -st, -t; daher dieses Nebenwort bald selben (Nieders.
sulven), bald selber, bald selbs, selbest, selbst, (Nieders. sulvest, sulvst,)
bald aber auch, wie noch jetzt im Oberd. selbt, selbten, lauter. Sich selbten
dem Tode zu entreißen, Gryph. Die Unkunde dieser verschiedenen Endsylben hat
manche Wortforscher verleitet, selber und selbst als den Comparativum und
Superlativum von selb anzusehen, da doch dieses Wort dem Begriffe nach keiner
eigentlichen Comparation fähig ist. Einige gemeine Mundarten hängen diesem
durch das adverbische s schon zu einem Nebenworte gebildeten selbst noch eine
adverbische Endung an, und machen daraus selbsten, welche Form zwar im
Hochdeutschen nicht selten, für die edle Schreibart aber zu gedehnt und
kraftlos ist, weil mit zwey Sylben nichts mehr sagt, als selbst mit Einer. Da
selbst ein von selb angeleitetes Wort ist, so ist er freylich jünger als
dieses, indessen ist es doch schon sehr alt. Der Übersetzer Isidors,
vermuthlich der älteste Deutsche Schriftsteller, hat schon selpso, und Ottfried
selbaz. Die Schweizer sprechen und schreiben noch jetzt selbs. Da von zwey
End-Consonanten, Einer allemahl ein Ableitungslaut ist, so muß man von dem
alten selb auch das b trennen, wenn man dessen Abstammung erforschen will. Die
alten Schweden sagten wirklich nur sjel für selbst, und noch bey dem Notker ist
seles selbige. Unser solch unterscheidet sich von selbe nur in dem
Ableitungslaute. Da dieses Wort ursprünglich ein Demonstrativo-Relatives
Pronomen ist, so scheinet überhaupt ein existirendes Ding, ein Individuum zu
bezeichnen, da es denn mit der Ableitungssylbe -sal, und unserm Seele Eines
Stammes seyn würde, (
S. 1 Sahl.) Sogar das Hebr. hier nichtlateinischer
Text, siehe Image. bedeutet so wohl Seele, als selbst. Es wird dieses
Wort mit vielen Nenn- und besonders Hauptwörtern zusammen gesetzet, etwas zu
bezeichnen, das wir an uns selbst verrichten, was sich auf uns selbst beziehet
u. s. f. Einige davon sind schon sehr alt, und wurden ehedem mit Selb gemacht,
(
S. dasselbe;) andere sind in den neuern Zeiten gemacht
worden, eine lange Umschreibung zu vermeiden, und lassen sich noch täglich
vermehren. Sie sind von denjenigen wohl zu unterscheiden, welche mit eigen
zusammen gesetzet sind, deren Zahl indessen doch so groß nicht ist.
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49-50]