Die Schere
, [
1419-1420] plur. die -n, Diminut. das
Scherchen, Oberd. Scherlein, ein Wort, welches nach Maßgebung des Zeitwortes
scheren in verschiedenen Bedeutungen vorkommt, welche sich doch insgesammt in
der Bedeutung des Theilens und Spaltens vereinigen. 1) In der Ostsee und
einigen Gegenden der Nordsee werden die Klippen, oder schroffen und scharfen
Felsen in der See, besonders so fern sie sich vor und an den Küsten befinden,
Scheren genannt. Es ist hier eigentlich ein aus dem Schwed. Skär, eine solche
Klippe entlehntes Wort, welches durch die Schifffahrt auch im Deutschen üblich
geworden, weil es außer dem jetzt gedachten Falle wenig gebraucht wird. Es
stammet ohne Zweifel von scheren, reißen, brechen, schneiden, ab, so daß es mit
Klippe gleichbedeutend ist, und einen abgerissenen, gespaltenen Fels bedeutet,
wozu denn freylich auch noch der Begriff der Schärfe kommt, weil dergleichen
abgerissene Stücke gemeiniglich selbst scharf und schneidend sind. Indessen ist
es hier nicht bloß den nördlichen Sprecharten eigen. Die Insel Scyrus im
Ägäischen Meere hat diesen Nahmen ihrer schroffen, abgerissenen Gestalt zu
verdanken im Französ. ist Escore ein steiles, abgerissenes Ufer, Angels. Carr,
Engl. Shore, die Küste. Indessen scheinet in andern Fällen auch der Begriff der
Höhe, und in andern der Härte, vorzustechen. Im Span. ist Sierra der Rücken
eines Berges, im Griech. -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image -
ein Fels oder Stein, und im Wallis. Carreg ein jeder Stein. (Siehe 1 Schar.) 2)
Ein gespaltenes in zwey Arme getheiltes Ding wird noch in vielen Fällen eine
Schere genannt; in andern heißt es ein Kloben. So ist der gespaltene Kloben
einer Wage, worin der beweglich Wagebalken schwebt, in vielen Gegenden auch
unter dem Nahmen der Schere bekannt; in andern heißt der Kloben, das
Wagegericht. Das eiserne Beschlage an den Sperrleisten in der Landwirthschaft
heißt in eben dieser Rücksicht die Schere. Die Bettschere ist in manchen
Gegenden ein solches aus zwey Armen bestehendes Holz an den Wiegen oder Betten
der Kinder, welches verhindert, daß nichts aus denselben heraus falle. An dem
hintern Gestelle eines Feld- und Leiterwagens ist die Schere das, was an dem
vordern Wagen die Arme sind, nur daß jene sich mit ihren beyden Armen in der
hintern Achse endiget; in Niedersachsen wird diese Schere, das Spreit oder
Spriet genannt, von spreitzen. Auch die Töpfer haben eine Schere, welches
gleichfalls ein gespaltenes Holz ist, über welchem sich die Scheibe mit dem
Thone umdrehet, damit sie horizontal bleibe. Die Schere der Mäurer bestehet in
zwey über das Kreuz zusammen gebundenen Bretern, die Rüstbäume dadurch in die
Höhe zu richten. Und so in andern Fällen mehr, wohin allem Ansehen nach auch
die Krebsscheren gehören, obgleich hier auch der Begriff des Schneidens oder
Zwickens mit eintritt. 3) Besonders wird ein aus zwey an einander befestigten,
aber zugleich beweglichen Armen bestehendes, schneidendes Werkzeug die Schere
genannt, da es denn sehr viele Arten derselben gibt; z. B. Schneiderschere,
Papierschere, Blechschere, Tuchschere, Schafschere, Licht- oder Putzschere u.
s. f. Eine solche Schere heißt schon im Schwabenspiegel ain Schaer. Da dieses
Werkzeug gleichfalls aus zwey Armen bestehet, so scheinet dessen Benennung
ebenfalls daher zu rühren, obgleich auch der Begriff des Schneidens mit in
Betrachtung kommen kann. Im Wendischen heißt eine Schere im Plural Skarje, und
da wird ein Arm oder eine Hälfte derselben Skar genannt, wo der Begriff des
Schneidens augenscheinlich der herrschende ist. Im Schwed. ist Skära die
Sichel.
S. 3 Schar. Anm. Gottsched wollte dieses Wort in der
ersten Bedeutung Schäre und in der dritten Scheere geschrieben wissen. Die
zweyte war ihm vermuthlich unbekannt, sonst würde er ihr vermuthlich die
Schreibart Schere oder Schehre eingeräumet haben. Wie unetymologisch dieses
ist, darf nicht erst erinnert werden. Selbst die Schreibart Scheere ist neu,
aber eben so unnöthig. Man hat dieses Wort mit allen seinen Verwandten von je
her Schere und scheren geschrieben. Wäre ja eine Veränderung nöthig, so könnte
man Schäre und schären empfehlen, wohl diese Schreibart der Aussprache am
nächsten kommt.
S. 1 Schar und Scheren. [
1419-1420]