Scheinen
, [
1401-1402] verb. irreg. neutr. Imperf.
ich schien; Mittelw. geschienen; Imperat. scheine. Es wird mit dem Hülfsworte
haben abgewandelt, und bedeutet, 1. Ein helles bleibendes Licht um sich geben,
oder in engerm Verstande, wegen seines hellen bleibendes Lichtes sichtbar seyn.
In diesem Verstande sagt man, der Mond scheinet, wenn er mit hellem Lichte
sichtbar ist; die Sonne kann vor dem Nebel nicht scheinen. Gott machte Lichter,
daß sie schienen auf Erden, 1 Mos. 1, 15, 17. Die Sonne scheinet warm. Die
Sonne schien durch das Glas. Das Mittelwort scheinend, ein scheinend Licht,
Joh. 1, 35, ist in dieser Bedeutung im Hochdeutschen ungewöhnlich. Das ganze
Zeitwort wird jetzt nicht mehr in dem Umfange gebraucht, in welchem es wohl
ehedem üblich war. Von dem Feuer, von dem Blitze, von den Sternen, von einem
Lichte wird es, einige gemeine Sprecharten ausgenommen, nicht mehr gesagt, ob
man gleich das Hauptwort Schein noch von denselben gebraucht. Ehedem war es
anders. In schinentemo Fiure, Ottfr. bey flammenden Feuer. Der Blitz scheint
vom Aufgang bis zum Niedergang, Matth. 24, 17, für leuchten. Sein Blitz
scheinet auf die Erden der Erden, Hiob 37, 3. Wohin auch die figürlichen
Ausdrücke gehören, die Seligen werden helle scheinen, Offenb. 3, 7; meine Lehre
scheinet ferne, Sir. 24, 44; für leuchten, glänzen. 2. Figürlich. 1) *
Deutlich, erweislich werden: eine veraltete Bedeutung, für welche jetzt
erscheinen, noch mehr aber erhellen üblich ist. Wie aus den Büchern scheint,
Opitz. 2) Auf eine gewisse Art unmittelbar empfunden werden, ohne daß eben die
Sache so sey, wie sie unmittelbar empfunden wird; ja oft wird dieses Scheinen
oder diese unmittelbare Empfindung dem Seyn, der wahren Beschaffenheit,
entgegen gesetzt. Es ist in dieser Bedeutung auf eine doppelte Art üblich; in
beyden stehet die Person, wenn solche ausgedruckt wird, in der dritten Endung.
(a) Als ein persönliches Zeitwort. Die Sonne scheinet uns klein zu seyn, und
ist doch sehr groß. Ein anders ist etwas scheinen, und ein anders etwas seyn.
Die Pastete scheint gut zu seyn. Gelehrt scheinen wollen. Auf daß sie vor den
Menschen scheinen, daß sie fasten. Matth. 6, 16. Ein fromm scheinender Mensch.
Jede Stunde scheint ihm eine traurige Winternacht, Geßn. Daß ich einige
Augenblicke ganz fühllos geschienen habe, Gell. Die Freundschaft scheint mir in
der That besser, ebend. In welcher persönlichen Form nur harte und unrichtige
Verbindungen vermieden werden müssen. Z. B. Die Streitigkeiten scheinen noch so
bald nicht beygelegt zu werden; für: es scheinet, daß die Streitigkeiten noch
so bald nicht werden beygelegt werden. (b) Als ein unpersönliches Zeitwort. Es
scheinet, daß es regnen wolle, oder als wollte es regnen. Es scheinet, daß es
nichts helfen werde, oder es werde nichts helfen, als wenn es nichts helfen
werde, als werde es nichts helfen. Es scheinet, mir nicht so. Wie es scheinet,
so befindet er sich noch wohl. Anm. In der ersten Bedeutung schon im Isidor,
bey dem Kero, Ottfried u. s. f. scheinan, skinan, (von welcher letztern Form
unser Imperfect und Mittelwort ist,) bey dem Ulphilas skeinan, im Nieders.
schinen, im Engl. to shine, im Schwed. skina. Unser schön, Sonne, sehen, (im
Schwed. ist skönja sehen,) schimmern, das Griech -
hier nichtlateinischer
Text, siehe Image - , das Lat. Scintilla, das Ital. sembiare, sembrare, u.
a. m. sind genau damit verwandt. Ehedem war es auch als ein Activum üblich,
welches eigentlich sichtbar machen, hernach zeigen, weisen und beweisen
bedeutete, in welchem Verstande es noch bey dem Ottfried und Willeram vorkommt.
Das Isländ. skina bedeutet noch jetzt zeigen, und unser Schein, ein
schriftliches Zeugniß, und bescheinigen, sind noch Überbleibsel davon; das
letztere ist vermöge der Endung -igen, ein Intensivum von scheinen. Unser
scheinen selbst ist nur eine, vermittelst der gewöhnlichen intensiven Endung
-nen, abgeleitete Form von einem veralteten scheien, scheen, schien, welches
ursprünglich eine Nachahmung einer schnellen zischenden Bewegung war, und wovon
unter andern auch unser geschehen und seyn abstammen. Mit dieser Bedeutung ist
die des Entstehens genau verwandt, daher das abgeleitete erscheinen auch
gegenwärtig werden bedeutet. Der Gegensatz verscheinen ist noch im
Niedersächsischen für vergehen, verschwinden üblich. Das Licht, der Glanz ist
in allen Sprachen eine Figur der schnellen leichten Bewegung, obgleich die
ersten Erfinder der Sprachen wohl nicht gemußt haben daß die Bewegung des
Lichtes die schnelleste in der Natur ist. Daher stammet denn die Bedeutung des
sichtbar werdens, und besonders vermittelst eines eigenen Lichtes, her, welche
auch in unserm schön zum Grunde liegt. Unter den Landleuten Meißens ist noch
eine sonst ungewöhnliche Bedeutung im Gange, nach welcher man von dem Getreide
sagt, daß es scheine, wenn es vor der Zeit und ehe es noch kernet, zu Stroh
wird, und alsdann leer ist. Ohne Zweifel gehöret es hier zu dem schon gedachten
Niedersächsischen verscheinen, vergehen, verschwinden.
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1401-1402]