Ruhen
, [
1201-1202] verb. reg. neutr. welches das
Hülfswort haben erfordert, eigentlich der Bewegung entgegen gesetzet ist, und
nicht beweget werden, den Ort nicht verändern, bedeutet: 1. Eigentlich, wo man
von einem jeden Körper sagen kann, er ruhe, wenn er den Ort nicht verändert,
wenn er sich im Stande der Ruhe befindet, ob es gleich in diesem Verstande am
häufigsten in der philosophischen Schreibart üblich ist. 2. In weiterer
Bedeutung, in welcher dieses Zeitwort am gangbarsten ist, ist es heftigen und
ermüdenden Bewegungen entgegen gesetzet, und da ruhet man schon, wenn man
aufhöret, sich auf eine lebhafte, ermüdende Art zu bestreben. Gott ruhete am
siebenten tage, hörete auf, unmittelbar in der Bildung der Körperwelt zu
wirken. Besonders, wenn es geschiehet, um die verlornen Kräfte wieder zu
ersetzen. Nach gethaner Arbeit ist gut ruhen. Von einer Arbeit ruhen. Die
Pferde ruhen lassen. Er kann nicht ruhen, sagt man von jemandem, der immer in
heftiger, zuweilen auch andern beschwerlicher Bewegung und Geschäftigkeit ist.
Ich werde nicht eher ruhen, als bis ich meine Absicht erreicht habe, nicht eher
aufhören, mich zu bestreben. Sie ruhen nicht, sie haben denn Schaden gethan,
Sprichw. 4, 16. Ruhe nicht bis er dirs gibt. O, Schwert des Herrn, ruhe! Dan.
12, 13, höre auf zu verwüsten. In der Landwirthschaft ruhet ein Acker, wenn man
ihn ein Jahr lang unbestellet läßt, damit er neue Kräfte gewinne. Auch die
Teiche läßt man an manchen Orten alle sechs Jahre ruhen, wenn man sie
austrocknen, pflügen und besäen läßt. 3. Figürlich. 1) Schlafen, besonders in
der edlern Sprechart. Zu Mittage ruhen. Haben sie wohl geruhet? Ach wollt ihr
nun schlafen und ruhen? Matth. 6, 45. 2) Im Grabeliegen. Ehrfurcht erfüllt uns
für den Redlichen, dessen Asche hier ruhet, Geßn. 3) Von einem andern Dinge
getragen, unterstützt werden. (a) Der Balken ruhet auf der Schwelle. Die Taube
Noah fand nicht, da ihr Fuß ruhen konnte, 1 Mos. 8, 9. (b) Figürlich, auf eine
bleibende, dauerhafte Art gegenwärtig seyn. Die Weisheit ruhet in dem Herzen
eines Verständigen, Sprichw. 14, 33. Zorn ruhet in dem Herzen des Narren, Pred.
7, 10. Der Geist Gottes ruhet auf ihm. Der Segen ruhet bey der Hütte des
Redlichen und bey seiner Scheuer, Geßn. Bey dieser Hütte hat nie ein
langwieriges Unglück geruhet, ebend. Sein Blick ruhete unverwandt auf dem
Greise, ebend. (Siehe auch Beruhen.) (c) Nach einer noch weitern Figur wird es
in der ehrerbiethigen Schreibart der Kanzelleyen zuweilen für seyn gebraucht.
Denenselben wird in hoher Erinnerung ruhen. Ew. Excellenz ruhet ohne Zweifel
noch in frischem Andenken u. s. f. So auch das Ruhen. Anm. Bey dem Willeram und
Notker mit dem Blaselaute statt des Hauches, ruouuen, rauuan, im Niedersächs.
rauen, im Schwed. ro, im Griech. nach dem Hesychius und Scholiasten des
Theocri: -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , wo auch
-
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - Ruhe ist, und selbst im
Arab. raha, und mit verstärktem Hauchlaute rekana. Ehedem hatte man vermittelst
des Ableitungslautes -sen hiervon auch das Intensivum rausen; der aber rawset
in dem summer der ist der schanden sun, in einer alten Übersetzung der Sprüche
Salomonis, aus dem Anfange des 15ten Jahrhundertes. Und hiervon scheinet unser
Rast und rasten ein Überbleibsel zu seyn. Mit einem noch andern Endlaute ist im
Isländ. Roth die Ruhe, und im Nieders. Reid ein Ort der Ruhe. Ruhen ist eine
Figur einer mehr in das Gehör fallenden Veränderung, als die eigentliche Ruhe.
Da rahen, rehen, ruhen, Regen u. s. f. eigentliche und onomatopöietische
Ausdrücke der Bewegung sind, so könnte man leicht auf die Gedanken fallen, daß
es in den Sprachen eine gewöhnliche Figur sey, daß ein Wort zwey einander
entgegen gesetzte Dinge bedeuten könne; welcher Satz doch so, wie er dastehet,
der Philosophie der Sprachen völlig zuwider ist. Indessen ist ruhen, quiescere,
wirklich eine Figur von einem veralteten ruhen, sich bewegen; aber nicht
unmittelbar, und als dessen Gegensatz, sondern vermittelst mehrerer
Zwischenbedeutungen. Die Leiter möchte etwa so aussehen. 1) Ruhen, bewegen, als
eine Onomatopöie der Bewegung. 2) In die Krümme bewegen, hohl machen; wovon 3)
die Bedeutung eines Daches, der Bedeckung, des Schutzes sehr gewöhnliche
Figuren sind, und von dieser Bedeutung stammet 4) die Figur der Abwesenheit der
Beunruhigung, der beschwerlichen Bewegung her, welches denn unser gegenwärtiges
Wort ist. Man siehet hieraus zugleich, daß auch unser Friede hierher gerechnet
werden kann. Von zwey Mitlautern zu Anfange eines Wortes ist allemahl der erste
ein zufälliger Vorlaut, und daß im Nieders. Reid, und im Isländ. Roth noch
jetzt Ruhe bedeutet, ist schon vorhin bemerket worden. Ruhen in Geruhen gehöret
nicht hierher, sondern zu dem veralteten ruchen, sorgen, besorgen.
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1203-1204]