Rinnen
, [
1125-1126] verb. irreg. neutr. ich rinne,
du rinnest, oder rinnst, es rinnet, oder rinnt; Imperf. ich rann; Mittelw.
geronnen; Imperat. rinne. Es wird auf doppelte Art gebraucht. 1. Mit dem
Hülfsworte seyn, wo es von einer gewissen Art einer schnellen Fortbewegung
gebraucht wird. 1) Im weitesten Verstande, sich schnell fortbewegen; wo es doch
nur in dem zusammen gesetzten entrinnen üblich ist, indem in andern Fällen
dafür rennen gebraucht wird. 2) In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung wird es
nur von flüssigen und flüssig gemachten Körpern gebraucht, wo es zwar mit
fließen gleichbedeutend ist, sich aber doch noch merklich davon unterscheidet.
Fließen ist ein allgemeiner Ausdruck, welcher theils die Menge des flüssigen
Körpers, theils die Geschwindigkeit, mit welcher er sich fortbewegt,
unentschieden läßt; allein rinnen setzt eine kleine Menge und eine schwache
Bewegung voraus. Ein flüssiger Körper rinnt, wenn er sich in an einander
hängenden, nicht von einander zu unterscheidenden Tropfen fortbeweget; ein
Unterschied, welcher aus der Onomatopöie herrühret, welche beyden Wörtern das
Daseyn gegeben hat. Indessen gebraucht man im Oberd. rinnen auch wie fließen
von größern Flüssen und Strömen. Das Blut rinnet aus der Wunde. Die Thränen
rannen ihm aus den Augen, von den Wangen. Kleine Bäche, kleine Quellen rinnen,
größere fließen. Ein rinnendes Wasser, besser ein fließendes. Rinnen stehet
zwischen dem Tröpfeln und fließen in engerer Bedeutung in der Mitte. 3) Ein
flüssiger Körper rinnt, wenn er zu einer festern Masse wird, in eine festere
Masse zusammen fließet, ohne eben ganz zu erhärten, ungeachtet dieses zuweilen
eine Folge davon ist. Die Milch ist geronnen. Geronnenes Blut. Das Fett rinnet.
Geschmolzen Bley rinnet, wenn es anfängt zu erkalten. Indessen ist dafür jetzt
im Hochdeutschen gerinnen üblicher. Schon Notker gebraucht rinnen in diesem
Verstande, und im Schwed. ist ränna gleichfalls gerinnen. Daher ist im
Oberdeutschen Rennse, Rinnsel, das Lab, welches die Milch gerinnen macht. 2.
Mit dem Hülfsworte haben, einen flüssigen Körper rinnen oder fließen lassen.
Ein Gefäß rinnt, wenn es nicht dicht ist, und den darin befindlichen flüssigen
Körper ausrinnen läßt, wofür man im gemeinen Leben auch lecken gebraucht. Der
Narren Herz ist wie ein Topf, der da rinnt, Sir. 21, 48. Das Licht rinnt, wenn
es den flüssig gewordenen Talg herunter fließen läßt. Die Augen rinnen, so
wohl, wenn unwillkührliche Feuchtigkeiten heraus rinnen, welches auch triefen
genannt wird, rinnende Augen haben, triefende; als auch, wenn sie Thränen
rinnen lassen, in welcher letztern Bedeutung es zuweilen in der dichterischen
Schreibart vorkommt, auch wohl mit dem Vorworte von; das Auge rinnt von
Thränen, obgleich sich wider diese Verbindung vieles einwenden ließe. Der
biblische Gebrauch, das Auge rinnt mit Thränen, ist im Hochdeutschen völlig
ungewöhnlich; daß unsere Augen mit Thränen rinnen, und unsere Augenlieder mit
Wasser fließen, Jer. 9, 18. Meine Augen rinnen mit Wasserbächen, Klagel. 3, 48.
Daher das Rinnen. Anm. In der ersten Bedeutung von flüssigen Körpern bey dem
Ulphilas rinnan, bey dem Ottfried rinnan, im Schwed. und Isländ. rinna, im
Nieders. rönnen, im Engl. to run. Es ist von rennen eigentlich nur in der
Mundart unterschieden, außer etwa, daß das i eine kleinere Masse und kleinere
Geschwindigkeit ausdrückt, als das e. Daher bedeutet das Schwed. rinna, so wie
das Nieders. rönnen, so wohl rinnen als rennen. Ehedem wurde es auch für
aufgehen, besonders von der Sonne und dem Lichte gebraucht, welche Bedeutung
das Schwed. rinna noch erhalten hat. Es ist ein Intensivum von dem veralteten
renen, reinen, dessen ehemahlige weite Bedeutung schon bey den Wörtern Rennen
und Ring angemerket worden. Das Griech. -
hier nichtlateinischer Text,
siehe Image - , fließen, erhält dieses Stammwort noch. Im Oberdeutschen ist
Runs so wohl ein Bach, Fluß, als auch das Bett eines Flußes.
S. auch Blutrünstig. [
1127-1128]