2. Reitzen
, [
1079-1080] verb. reg. act. welches
ursprünglich theils körperlich bewegen, theils aber auch ritzen, stechen, u. s.
f. bedeutet hat, in welchem Verstande es aber veraltet ist, so daß es nur noch
einige figürliche Bedeutungen übrig gelassen hat. 1. Empfindungen, sinnliche
Eindrücke hervor bringen. Die Nerven sind Fibern, welche gereitzet werden
können, der Reitzung fähig sind, (
S. Reitzbar.) Besonders, lebhafte sinnliche Empfindungen
hervor bringen. Was ist der flüchtige Kitzel, womit alle gekünstelte Gerichte
die Zunge reitzen? 2. Durch Bewegungsgründe zu einer Veränderung bestimmen, als
das Intensivum von rathen; eine größten Theils veraltet Bedeutung, in welcher
man ehedem auch sagte, jemanden zu einer guten Handlung reitzen, für bewegen,
bereden. Lasset uns unter einander unserer selbst wahrnehmen, mit reitzen zur
Liebe und guten Werken, Ebr. 10, 24. 3. In engerer und gewöhnlicherer
Bedeutung, durch Erregung lebhafter sinnlicher Begierden zu etwas bewegen. 1)
Überhaupt, mit dem Vorworte zu. Jemanden zum Zorne, zum Bösen reitzen. Sie
reitzen durch Unzucht zur fleischlichen Lust, 2 Petr. 2, 18. Zur Liebe, zum
Unwillen, zum Hasse reitzen. Ingleichen absolute. Ein jeglicher wird versucht,
wenn er von seiner eigenen bösen Lust gereitzet und gelocket wird, Jac. 1, 14.
Zuweilen, obgleich seltener, auch mit der vierten Endung der Begierde, welche
erreget wird. Jemandes Zorn, jemandes Liebe reitzen. Wer den Zorn reitzet,
zwinget Hader heraus, Sprichw. 30, 33. 2) In einigen engern Bedeutungen. (a)
Zum Zorne, zum Unwillen reitzen. Ahas reitzete den Herrn, seiner Väter Gott, 2
Chron. 28, 25. In noch engerer Bedeutung ist jemanden reitzen, ihn ohne Noth,
bloß zum Vergnügen, zum Unwillen bewegen, für die niedrigern necken, foppen u.
s. f. (b) Ehedem lebhaften Grad angenehmer Empfindungen erwecken. Wie sehr
reitzet mich die grüne Einsamkeit des schattigen Waldes! Wo besonders das
Mittelwort reitzend üblich ist, welches denn auch häufig passive gebraucht
wird, in einem vorzüglichen Grade anmuthig. Sie that es mit einem reitzenden
Anstande. Reitzende Schönheiten, eigentlich, welche Begierden zum Genusse
erwecken, in weiterer Bedeutung aber auch ohne diesen Nebenbegriff, für sehr
anmuthig. Wie reitzend wird die Freundschaft nicht, wenn sie sich zugleich auf
Natur und auf Tugend gründet! Gell. Die Gruft wird mir ein reitzenderer
Aufenthalt, als die goldenen Zimmer des Pallastes, Weiße. Ein reitzendes
Vergnügen quillt aus dem Umgange unserer Mitgeschöpfe, Zimmerm. Daher die
Reitzung,
S. solches hernach besonders. Anm. Bey dem Notker in der
ersten engern Bedeutung reitzen, bey den Schwäbischen Dichtern reissen. In der
zweyten engern Bedeutung von der Erweckung angenehmer Empfindungen scheinet es
erst in den neuern Zeiten gangbar geworden zu seyn, da es denn zugleich die
auffallende Bedeutung der sinnlichen Lust verlieret. Die Endsylbe -zen zeiget
schon, daß dieses Wort ein Intensivum ist, dessen Stammwort reiten ist, theils
so fern es ehedem stechen, anstechen, ritzen, theils aber auch, so fern es
bewegen, antreiben bedeutet hat, in welchem Verstande es noch in der niedrigen
R. A. der Teufel reitet ihn, vorkommt. In einem alten Niederdeutschen Gedichte
in Leibnitzens Scriptor. Brunsu. heißt es noch, nach dem Frisch: Hierunter öme
der hilghe Geist reit, dat u. s. f. hierin bewog ihn der heilige Geist. Im
Schwed. ist auch noch das einfache Zeitwort reta, zum Zorne reitzen, üblich,
welches auch in dem Lat. irritare zum Grunde liegt. Die Griechen haben beyde
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hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , und -
hier
nichtlateinischer Text, siehe Image - . Mit dem müßigen, höchstens
intensiven Gaumenlaute gebraucht Notker auch gruozzen für reitzen, und die
Niedersachsen sagten in eben dieser Bedeutung ehedem gretten. Das Latein.
Gratiae, Grazien, gehöret gleichfalls zur engern Bedeutung der Anmuth, so wie
schon im Arab. razy gefällig, Ryza, und im Hebr. Raza, Wohlgefallen ist.
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1081-1082]