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Adelung - Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart

Der Odem | | Der

Oder

, [579-580] ein Bindewort, welches mehrere mögliche Fälle, von welchen etwas behauptet wird, begleitet. 1. So daß die mehrern Dingen einander aufheben, oder vielmehr, so daß von den mehrern nur Eines ist oder seyn soll: so daß diese Partikel alle Sätze nach dem ersten begleitet. Cajus muß sehr unwissend oder sehr boshaft seyn, wo zwey Fälle als möglich angenommen sind, von welchem nothwendig einer wirklich seyn soll. Gib mir die Waare oder Geld. Um des Nachdruckes willen und die Ausschließung der andern möglichen Fälle noch mehr hervorstechen zu lassen, bekommt der erste unter den möglichen Fällen gemeiniglich das entweder. Gib mir entweder die Waare oder Geld. Entweder bin ich der Männer, oder sie meiner nicht werth gewesen, Tob. 3, 20. Erwähle die entweder drey Jahr Theurung, oder drey Monden Flucht, 1 Chron. 22, 12. Einer von uns beyden, entweder ich oder du mußt es gewesen seyn. Da denn das letzte von den Dingen, welche mit oder bezeichnet sind, noch das auch zu sich nehmen kann. Es fehlt ihm entweder am Vermögen, oder am Willen, oder auch an Gelegenheit. 2. So daß die mehrern Dinge Theile eines Ganzen ausmachen; da denn das erste gleichfalls das entweder bekommt, das letzte aber von denen, welche oder vor sich haben, gleichfalls das auch oder endlich leidet. Die Steine sind entweder glasartig, oder thonartig, oder kalkartig, oder auch gemischt. Wo das entweder auch zuweilen wegbleiben kann. Diejenigen, welche in der menschlichen Gesellschaft gehorchen, sind Kinder, Unterthanen oder Knechte. 3. So daß die mehrern Dinge oder Fälle bloß aufgezählet werden, und es unentschieden, oder gleichgültig bleibt, welcher von ihnen ist oder geschiehet. Dieß oder jenes. Ich weiß nicht ob es Lob oder Tadel ist.
Nun glaub' es, oder nicht, sie liebt, und liebet dich, Gell.
Warum siehet man euern Bruder nicht? Ist er verheiratet? Oder ist er krank? Oder ist er so sehr beschäftiget? In drey oder vier Stunden komme ich gewiß. Trieg' ich mich, oder hör' ich den zärtesten Gesang? Geßn. O, wie reißt die Entzückung mich hin, wenn ich vom hohen Hügel die weit ausgebreitete Gegend übersehe, oder wenn ich ins Gras hingestreckt, die mannigfaltigen Blumen und Kräuter betrachte, oder wenn ich in nächtlichen Stunden den gestirnten Himmel wenn ich den Wechsel der Jahreszeiten oder den Wachsthum der unzählbaren Pflanzen betrachte! ebend. wo sich das letzte oder nicht auf die vorher gegangenen beziehet, sondern auf eine neue nach dem zweyten oder angefangene Reihe möglicher Fälle. Auf diese Art kann diese Partikel auch eine ganze Periode anfangen, wenn sie einen gleich möglichen Fall mit der vorher gehenden, oder auch einen Einwurf, einen Gegensatz u. s. f. enthält. Sie singt dann, und ich begleite ihren Gesang mit der Flöte. - - Oder singen eure Saitenspieler besser als die Nachtigall oder die liebliche Grasmücke? Geßn. 4. Oft dienet der durch das oder angekündigte Satz zur Erklärung des vorher gehenden. Das allgemeine Beste oder den Vortheil der Gesellschaft befordern. Alle Menschen können nicht Herren seyn, oder andern befehlen. Oft auch zur Berichtigung, da denn gemeiniglich noch das vielmehr dazu kommt. Wenn er nur könnte, oder vielmehr wollte. 5. Im gemeinen Leben gebraucht man es oft, eine ungewisse, ungefähre Zahl zu bezeichnen. Eine Elle oder sechs, d. i. ungefähr sechs Ellen. Ein Stück oder zehn, ungefähr zehn Stücke. Da man es denn zuweilen wohl gar in er zu verwandeln und dem ersten Hauptworte anzuhängen pflegt. Ein Ellener drey, ein Tager vier, für eine Elle oder drey, ein Tag oder vier, d. i. ungefähr drey Ellen, vier Tage. S. Ein. Anm. Da die Leidenschaften sehr oft über die kalten Verbindungswörter dahin rauschen, so wird diese Partikel in einer lebhaften Gemüthsbewegung gar oft ausgelassen. Eine Versetzung findet bey ihr nicht Statt, und sie stehet alle Mahl vor demjenigen Subjecte, zu welchem es gehöret, sollte es auch nur ein Nebenworte seyn. Es komme nun oder nicht. Dieses alte Bindewörtchen lautet so wie wir es jetzt haben, im Angels. athor, im Nieders. edder und nach der gewöhnlichen Ausstoßung des d, ör, im Engl. or. Es ist aus od und der Ableitungssylbe -er zusammen gesetzet, welches od bey den ältesten Schriftstellern für oder allein vorkommt; im Isidor odho, bey dem Kero edo, edeo, im Ottfried odo, bey dem Ulphilas aiththau, aiththan, im Angels. oththe, welches denn mit dem Latein. aut, dem Griech. - hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , - hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , - hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , und dem Hebr. - hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , oder, sichtbar genug überein kommt. Es ist sehr glaublich, daß es mit et in etwan einerley ist, denn in den Monseeischen Glossen und im Ottfried kommt es auch für etwan vor. Da in allen Sprachen keine Redetheile in ihrer Bedeutung so schwankend und unbeständig sind, als die Partikeln, so wurde auch odo ehedem sehr häufig für aber (Lat. autem) gebraucht, so wie aber noch im 15ten Jahrhunderte für oder vorkommt. Die Niedersachsen drucken das oder durch of, ofte, efte, und Willeram durch avo aus, welches dieses aber zu seyn scheinet. Eine andere noch für oder in einigen Oberdeutschen Gegenden übliche Partikel ist ald, bey dem Notker alde, bey den Schwäbisch. Dichtern alde, alder, im Schwed. eller, welche noch jetzt in der Schweiz üblich ist, und zu dem Lat. alter, ander, Ital. altro, Franz. autre, Engl. other, zu gehöret scheinet. [579-580]
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