- Ling
- Ling,
[
2071-2072] eine Ableitungssylbe, welche
verschiedenen Haupt- Bey- und Zeitwörtern angehänget wird, Hauptwörter daraus
zu bilden. 1. In einigen bezeichnet es ein Ding, welches dem voran stehenden
Hauptworte gleich, angemessen ist. Ein Däumling, eine Bekleidung des Daumes,
Fäustling eine Art Fausthandschuhe, der Fingerling, eine Bekleidung des
Fingers, der Füßling, eine Bekleidung der untern Füße, Beinling u. s. f. In
dieser Bedeutung scheinet es aus -lich, gleich, entstanden zu seyn, indem das n
sich in tausend andern Fällen neben den Hauch- und Gaumenlauten einschleicht.
2. Am häufigsten und allgemeinsten bedeutet es ein Individuum, ein Subject, von
der Art, wie die erste Hälfte des Wortes es bestimmet, es sey nun eine Person,
oder eine Sache. Diejenigen Wörter; welche das -ling an sich nehmen können,
sind, 1) Hauptwörter. Ästling, ein junger Vogel, der nur noch auf den Ästen
herum hüpfet. Gründlinge, Fische, welche sich auf dem Grunde aufhalten.
Jährling, ein Thier von einem Jahre, oder von diesem Jahre. Nachkömmling, ein
Nachkomme. Nestling, ein Vogel, der noch im Neste ist. Hänsling, ein Ding oder
Vogel, welcher sich vom Hanfe nähret, wenn es hier nicht das Nieders. Lünke,
Sperling, ist,
S. Hänfling. Kümmerling, im Oberd. eine Gurke.
Kämmerling, im mittlern Lat. Camarlingus, Cambellanus, Ital. Camerlingo, Franz.
Chambellan. Höfling, ein Hofbediener. Häusling, der zur Miethe in einem Hause
wohnet. So auch Schilling, Flüchtling, Günstling, Häuptling, Brötling,
Silberling, Pfifferling u. a. m. 2) Zeitwörter, mit Weglassung der Endsylbe, da
denn die daraus gebildeten Wörter bald eine thätige, bald aber auch eine
leidendliche Bedeutung haben. Findling, ein gefundenes Kind; Säugling, ein
saugendes Kind; Sticherling, ein stehendes Ding, ein stechender Fisch;
Ankömmling, eine neu angekommene Person; Anschiebling, ein angeschobenes Ding;
Bückling, eine Verbeugung; Bückling, ein gepökelter Häring; Hämmerling, ein
hämmerndes Ding; Häckerling, ein gehacktes Ding, Hacksel; Dichterling, ein
schlechter Dichter; Täufling, eine Person, welche getauft werden soll, oder vor
kurzen getauft worden; Lehrling, der gelehret wird; Brätling, ein zum Braten
bestimmtes Ding; Schößling, ein aufgeschossenes Reis u. s. f. In Fröstling,
Frömmling, Klügling, Wigling u. s. f. welche von Verbis auf -eln, wie frösteln,
frömmeln, klügeln, witzeln abgeleitet sind, ist es die Sylbe -ing, und nicht
ling, und da rühret auch die verächtliche Nebenbedeutung von dem Verbo, und
nicht von der Ableitungssylbe her. 3) Zahl- und Nebenwörter. Erstling, das
erste Ding seiner Art; Zwilling, ein Ding, welches nebst noch einem andern
zugleich kommt; Dreyling, ein Ding von drey Theilen oder Einheiten, eine Münze,
welche drey Pfennige gilt; Vierling, Sechsling, eine Münze von vier, von sechs
Pfennigen, ein Vierer, ein Sechser; Fremdling, ein fremdes Ding, eine fremde
Person; Neuling, der in einer Sache neu ist; Jüngling, ein junger Mensch;
Zärtling, eine der Empfindung nach zarte, oder verzärtelte Person, vielleicht
auch von dem Verbo zärteln; Spätling, ein Ding, welches spät im Jahre
gegenwärtig wird, so wohl von Thieren als Früchten, im Gegensatze eines
Frühlinges, welches über dieß noch die frühe Jahreszeit bedeutet; Herling, ein
herbes oder hartes Ding; Kränkling, Siechling, ein kränklicher, siecher Mensch;
Wüstling, ein wüster Mensch; Wildling, eine wilde Frucht, ein wildes Gewächs;
Hälberling, eine Münze, welche die Hälfte einer andern gilt; Dürrling, ein
dürrer Mensch; Grünling, eine Art Grünspechte; Kärgling, ein karger Mensch;
Sonderling, eine besondere Person u. s. f. Die Rothwälsche Diebessprache ist
besonders reich an dergleichen Hauptwörtern. Langling ist daselbst eine
Bratwurst, Längling ein Strick, Krachling eine Nuß, Knerling ein Stiefel,
Fletterling eine Taube, Flößling ein Fisch, Fünkling das Feuer, Fürling eine
Schürze, Oberd. Fürtuch, Feling ein Kramer, von feil, Derling ein Würfel,
Dirling oder Zwieling das Auge, Gelbling der Weitzen, Gitzling ein Stück Brot,
Griffling die Hand oder ein Handtuch, Grünling ein Garten oder Wiese, Härling
das Haar, Härtling ein Messer, Hitzling der Ofen, Bretling ein Fisch, Blechling
ein Kreuzer, Klapperling ein Pantoffel, Leißling das Ohr, Rauling und
Schreyling ein Kind, Keiling eine Sau, Kumpfling Senf, Schalerling eine weiße
Rübe, Schäberling eine gelbe Rübe, Scheinling das Auge oder Fenster, Spältling
ein Häller, Sperrling ein Knebel, Spitzling der Hafer, Stichling ein Schneider,
Stilling vielleicht Stiehlling eine Birn, Strafling ein Strumpf, Süßling das
Honig, Trittling der Schuh, Weitling der Beinkleider u. s. f. Aus allen bey
dieser ganzen zweyten Bedeutung angeführten Wörtern erhellet, daß -ling
denselben die Bedeutung eines Indi- [
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eines einzelnen Dinges, von welchem etwas gesagt wird, gibt, und daß es in
dieser Bedeutung mit den Ableitungssylben -ing, -ich, -rich, -ickel, -er, -el
und -ert überein komme. Die Abstammung ist noch dunkel. Die meisten
Sprachlehrer und Sprachforscher kennen das ling nur allein unter der
verkleinernden Bedeutung, welche doch unerweislich ist, und halten alle übrigen
für eine Figur derselben. Allein man siehet gar bald, daß sie diese Sylbe und
die Wörter, worin sie vorkommt, gar nicht untersucht haben. Vielleicht stammet
sie gleichfalls von der Sylbe -lich, oder gleich ab, ein der ersten Hälfte der
Zusammensetzung ähnliches Ding zu bedeuten, denn ehedem wurde diese Sylbe auch
häufig gebraucht, Hauptwörter zu bilden. Die gleichlautende Ableitungssylbe
-ing könnte alsdann auf ähnliche Art aus -ich oder -ig entstanden seyn. An das
eingeschobene n darf man sich nicht stoßen, weil dieses in so vielen andern
Fällen ein Anhang nieselnder Mundarten ist, und das folgende -lings ist
unstreitig aus -lichs oder -lich geworden. Wachter, Frisch und andere legen
dieser Sylbe noch verschiedene andere Bedeutungen bey, die sie doch wirklich
nicht hat. So soll sie in Erstling, Zwilling, Dreyling, Vierling, Sechsling u.
s. f. etwas bedeuten, das kleiner als das Ganze ist; in Ankömmling, Einkömmling
u. s. f. einen Gegensatz; in Jährling, Jüngling, Gründling, Findling u. s. f.
ein kleines oder junges Thier. Allein sie haben die angeführten Wörter theils
nicht einmahl recht verstanden, theils aber auch die Bedeutung des Hauptwortes
der Zusammensetzung mit in die Bestimmung der Ableitungssylbe gebracht. Ling
bedeutet weiter nichts als ein Subject, ein Individuum, welche seine Bestimmung
theils durch das Wort, dem es angehänget wird, theils aber auch durch den
bloßen Gebrauch erhält. Denn daß Säugling nicht auch von einem saugenden
Thiere, Findling nicht auch von einem gefundenen Schatze, Jüngling nicht auch
von einem jungen Mädchen oder Thiere, Häckerling nicht auch von gehackten
Speisen üblich ist, daran ist bloß der Gebrauch Schuld. Indessen lässet sich
beweisen, daß unsere Ableitungssylbe oft auch -lein gelautet hat. Ein Weichling
heißt bey dem Hornegk Wächelein, ein Fingerling, Vingerlein u. s. f. Alle
Wörter auf -ling männlichen Geschlechtes, auch wenn sie Personen oder Sachen
weiblichen Geschlechtes bezeichnen, in welchem Falle sie niemahls die weibliche
Endung -inn annehmen. Ein Findling bedeutet so wohl einen gefundenen Knaben,
als ein gefundenes Mädchen, der Liebling so wohl eine geliebte Person
männlichen, als weiblichen Geschlechtes. In einer Österreichischen Urkunde des
15ten Jahrhundertes wird eine Erbinn ausdrücklich ein Erbling genannt. Diese
Sylbe ist alt und in allen Deutschen Mundarten, so wie in der Angelsächsischen
anzutreffen. Mit Beobachtung der genauesten Analogie lassen sich vermittelst
derselben noch jetzt Wörter bilden, und selbst viele der oben angeführten
Beyspiele sind neu und den vorigen Zeiten unbekannt.
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2073-2074]