Lernen
Lernen,
[
2029-2030] verb. reg. act. et neutr.
welches im letztem Falle das Hülfswort haben erfordert. Es kommt in doppelter
Gestalt vor. I. In mehr activer Bedeutung, für lehren, in welchem Verstande es
in der anständigen Schreib- und Sprechart veraltet ist, im gemeinen Leben aber
noch häufig vorkommt.
So wolt er im der vil zeigen Und lernen eine newe monier,
Theuerd. Kap. 71.
Ich will euch lernen, was ihr thun sollt, 2 Mos. 4, 15; wo
doch bessere Ausgaben lehren haben. Lernen sie mir nur die Liebe erst kennen,
Gell. für lehren sie mich u. s. f. Bey den Handwerkern lernet der Meister einen
Lehrburschen, wenn er ihm sein Handwerk beybringet; einen Lehrburschen
auslernen, ihn die gesetzte Zeit hindurch bis zu Ende unterrichten und
anführen. Bey dem Zeitworte lehren ist schon angemerket worden, daß lehren und
lernen ursprünglich ein und eben dasselbe Zeitwort sind, und daher auch von je
her häufig für einander gesetzt worden. Eben so bedeutet das Griech. -
hier
nichtlateinischer Text, siehe Image - , das mittlere Lat. discere, das
Franz. apprendre, das Schwed. lära und das Nieders. lere, so wohl lehren als
lernen. II. In mehr neutraler Bedeutung, Fertigkeit, und in weiterm Verstande,
unbekannte Kenntnisse und Begriffe zu bekommen suchen. 1) Im engsten und
vermuthlich eigentlichsten Verstande, im Gedächtnisse zu behalten suchen, und
zwar zunächst durch mehrmahliges lautes Hersagen, welches lehren, so fern es
ursprünglich laut hersagen bedeutet hat, zu bezeichnen scheinet; hernach aber
auch, auf jede andere Art. Etwas auswendig lernen. Seine Lection lernen. Einem
Kinde etwas zu lernen aufgeben. Ein Lied, einen Psalm lernen. Lernet sie (die
Gebothe,) und behaltet sie, 5 Mos. 5, 1. 2) In weiterer Bedeutung, Fertigkeit
in einer Sache zu erlangen suchen. Ein Handwerk, eine Kunst, eine Wissenschaft
lernen. Eine Sprache lernen. Das Kind lernt gehen. Lesen, schreiben, tanzen,
zeichnen, singen lernen. Etwas von sich selbst lernen. Bey einem Meister
lernen, das Handwerk bey ihm zu erlernen suchen. Etwas von einem lernen. Wo es
oft auch absolute stehet, für nützliche Fertigkeiten zu erlangen suchen. Der
Knabe will nichts lernen. Er hat nichts gelernt. Lerne vor ehe du andere
lehrest, Sir. 18, 20. Er hat etwas gelernt und wird sein Glück gewiß machen,
Gell. 3) In noch weiterm Verstande, unbekannte Kenntnisse und Begriffe erlangen
und zu erlangen suchen. Sie lerneten der Heiden Werk, Ps. 106, 35. Lauter Böses
von jemanden lernen. Lernet von mir, denn ich bin sanftmüthig, Matth. 11, 29.
Man muß lernen, so lange man lebt. Etwas durch die Übung, aus der Erfahrung
lernen. Jemanden kennen lernen. Lerne aus andrer Leute Schaden klug werden.
Jetzt lernete er über sein eigenes Herz erröthen. So lernt ich mich mit wenigem
begnügen, Gell.
Durch eignes Leiden lernte sie Beym Leiden anderer zerfließen,
Gotter.
Das lernt sich bald, wird bald erlernet. Was man nicht kann,
daß lernt sich, wenn man nur Lust hat, Weiße. Anm. Dieses Zeitwort kommt in dem
Gebrauche größten Theils mit lehren überein. Es wird so wie dieses mit dem
bloßen Infinitiv des Zeitwortes verbunden, wie aus den obigen Beyspielen
erhellet. Nur in den zusammen gesetzten Zeiten scheinet es gleichgültig zu
seyn, ob man alsdann lernen im Infinitiv stehen lässet, nach dem Muster der
Zeitwörter heißen, sehen, hören, mögen, wollen u. s. f. oder ob man der
gewöhnlichern Form folget, weil man von beyden Beyspiele findet. Seitdem ich
ihn habe kennen lernen, oder kennen gelernet. Wer die Natur einer jeden Sache
hat kennen, und die Weisheit, Kunst und Macht, die sich in allen natürlichen
Dingen zeiget, bemerken lernen, Gell. Sie haben die Unschuld unsrer Liebe
kennen gelernet, Cron. Indessen gibt es viele Fälle, in welchen der Infinitiv
in der vergangenen Zeit anstatt des Mittelwortes das Gehör beleidiget. Wird man
wohl, z. B. gerne sagen: bey wem haben sie tanzen lernen? Das Kind hat erst vor
vier Wochen gehen lernen u. s. f. Daher [
2031-2032] es
scheinet, als wenn sich diese Form mit dem Zeitworte kennen noch am besten
vertrüge. Dieses Zeitwort lautet, so fern es discere bedeutet, schon bey dem
Kero lirnan, bey dem Ottfried und dessen Zeitgenossen lernen und gilernen, im
Angels. leornan, im Engl. to learn. Bey dem Zeitworte lehren ist bereits
bemerket worden, daß es vermittelst der vermuthlich hier intensiven
Ableitungssylbe -nen von diesem Worte gebildet worden, daher es auch in der
Schweiz und andern Oberdeutschen Gegenden noch lehrnen geschrieben und
gesprochen wird. [
2031-2032]