Die Kunst
Die Kunst,
[
1829-1830] plur. die Künste, Diminut. das
Künstchen, Oberd. Künstlein, und zusammen gezogen Künstel. Es stammet
vermittelst des Ableitungslautes st von können her, dessen Abstractum es
eigentlich ist, und hat nach Maßgebung des verschiedenen Gebrauches dieses
Zeitwortes, noch verschiedene Bedeutungen. 1. * Die physische oder körperliche
Kraft eines Dinges, die Möglichkeit einer Bewegung oder Veränderung außer sich
hervor zu bringen; eine veraltete Bedeutung, in welcher man nur noch zuweilen
im gemeinen Leben sagt, seine Kunst an jemanden oder an einem Dinge beweisen,
seine Stärke, Macht oder Kraft. In den Monseeischen Glossen ist Chunstinger
mächtig Auf eine ähnliche Art bedeutete Kraft ehedem so wohl im Schwed. als im
Angels. figürlich auch die Kunst und Wissenschaft. Bruder Eberhard von Sax sagt
in seinem Lobgedichte auf die Jungfrau Maria:
Got in sines geistes bruinste An dir zeigte sine Kuinste;
wo es eine ähnliche Bedeutung zu haben scheinet. 2. In
engerer Bedeutung, menschliche Kraft, und was darin gegründet ist, im
Gegensatze der Natur in der weitesten Bedeutung; ohne Plural. So sagt man von
einem Graben auf dem Felde, von einem beschnittenen Baume, er sey ein Werk der
Kunst und nicht der Natur, weil in der Erde und dem Baume nichts vorhanden ist,
woraus diese Veränderung begreiflich würde. Ein herrlicher Garten, den die
erfindsame Kunst für ihn ins Kleine gezogen, Zach. Wir sollten nicht so wohl
die Spielwerke der Kunst, als die hohen Talente der kunstlosen Natur bewundern.
3. In noch engerer Bedeutung, die Fertigkeit etwas zur Wirklichkeit zu bringen.
1) Eigentlich und subjective, wo dieses Wort von allen Arten von Fertigkeiten
gebraucht wird. Eine Kunst erfinden. Jemanden eine Kunst lehren. Viele Künste
können oder wissen. Der Hund kann allerley Künste. Kartenkünste, Taschenkünste,
brotlose Künste. Das ist keine Kunst, dazu gehöret keine Fertigkeit, das kann
ein jeder. Dazu gehöret Kunst. Seine Kunst an jemanden sehen lassen. In engerer
Bedeutung, die Fertigkeit, die Ausübungssätze einer Art gehörig anzuwenden. Die
Regierungskunst, die Kunst zu predigen; die Gedächtnißkunst, die Sprachkunst,
die Vernunftkunst u. s. f. Warum lernen doch die Menschen nicht die
liebenswürdige Kunst, den Unglücklichen so zu beklagen, daß es ihm nichts
kostet? Sokrates lernete die Kunst seines Dialogs von dem Epicharmes. Die Kunst
des Schneiders, des Zimmermanns, des Schusters u. s. f. Die ihm unentbehrliche
Fertigkeit zur Hervorbringung seiner Werke. Ingleichen im Gegensatze der Natur,
oder dessen, was zu den Arten des Vermögens und der Fähigkeiten gehöret, ehe
sie zur Fertigkeit werden; als ein Collectivum und ohne Plural. In ihrem ganzen
Betragen ist nichts Kunst, alles ist Natur. 2) Objective, der Inbegriff der
Ausübungssätze Einer Art, oder derjenigen Ausübungssätze, welche zur Erreichung
einer Absicht erfordert werden, und zu ihrer Anwendung eine Fertigkeit
erfordern; wo es wiederum so viele verschiedene Arten der Künste gibt, als
Fertigkeiten möglich sind. Die mechanischen Künste, welche allein eine
Fertigkeit der Hand erfordern, und daher am häufigsten Handwerke genannt
werden. Die Schneiderkunst, Bäckerkunst, Schuhmacherkunst u. s. f. so fern sie
eine Fertigkeit in Ausübung mechanischer practischer Vorschriften erfordern. In
einer andern Einschränkung sind die mechanischen Künste diejenigen, welche
hauptsächlich eine Fertigkeit der Hand erfordern, ohne das Nachdenken und Fleiß
bey deren Ausübung auszuschließen, besonders, wenn sie nicht bloß auf das
Bedürfniß, sondern auch zugleich mit auf das Vergnügen der Menschen gerichtet
sind. In diesem Verstande gibt es verschiedene Beschäftigungen, welche sich von
den Handwerken unterscheiden, und für ihre Lebensart den Nahmen der Kunst
hergebracht haben. Z. B. die Jägerkunst, die Buchdruckerkunst, die
Barbierkunst, die Kunst des Instrumenten-Machers, des Uhrmachers, des
Steinschneiders u. s. f. Ja selbst unter den eigentlich so genannten
Handwerkern gibt es einige, welche bey Hervorbringung ihrer Arbeiten vorzüglich
mit auf das Vergnügen der Menschen sehen, und daher
[
1831-1832] in der Ausübung mehr Fleiß und Anwendung
allgemeiner Wahrheiten gebrauchen, als andere. Diese pflegen alsdann das Wort
Kunst - dem Nahmen ihrer Beschäftigung vorzusetzen; z. B. der Kunstdrechsler,
Kunstgärtner, Kunstfärber, Kunstmahler u. s. f. Die freyen Künste, eine ehedem
übliche Bedeutung derjenigen Künste, welche von freyen Personen ausgeübet
wurden, zum Unterschiede von den bloß mechanischen oder unfreyen, welche in
Griechenland und bey den Römern von Knechten getrieben wurden. Man zählete
deren sieben; die Sprachkunst, Rechenkunst, Redekunst u. s. f. Bey unserer
heutigen Verfassung sind an die Stelle der freyen Künste die schönen Künste
getreten, unter welchem Nahmen man diejenigen begreift, welche allein oder doch
vornehmlich das Vergnügen zum Gegenstande haben, und daher in ihrer Ausübung
mehr Kenntniß und Anwendung allgemeiner Wahrheiten erfordern, als die bloß
mechanischen. Dahin gehören die Tonkunst, Mahlerkunst mit ihrer Schwester der
Kupferstecherkunst, die Baukunst, die Bildnerkunst, die Redekunst, die
Dichtkunst, die Tanzkunst, die Schauspielkunst, und wenn man will noch andere
mehr. Die Bildnerkunst, Mahlerkunst und Kupferstecherkunst werden unter der
allgemeinen Benennung der bildenden Künste verstanden. In engerer Bedeutung
pflegt man die schönen Künste zuweilen nur die Künste schlechthin zu nennen.
Sein Geschmack, der durch die Künste feiner und sichrer geworden, wird es auch
in der Lebensart, Gell. In noch engerer Bedeutung werden die bildenden Künste
sehr häufig vorzugsweise die Künste, oder noch mehr im Singular die Kunst
genannt. Unter den Griechen war die Kunst zur höchsten Vollkommenheit
gestiegen. Alte Denkmähler der Kunst. Ein Liebhaber der Kunst.
S. viele der folgenden Zusammensetzungen. Ja einzelne
Künste werden zuweilen nur die Kunst schlechthin genannt, doch mit einem
Beyworte. Die schwarze Kunst, eine Art in Kupfer zu graben, wo die Platte ganz
mit Strichen über das Kreuz angefüllet, und hernach das verlangte Bild durch
stärkere oder geringere Auslöschung dieser Striche hervor gebracht wird. Ein
Kupferstich in schwarzer Kunst, der auf solche Art gearbeitet ist. In einem
ganz andern Verstande ist die schwarze Kunst so viel als Hexerey, Zauberey; wo
der Ausdruck eine übel gerathene buchstäbliche Übersetzung des mittlern Lat.
Nigromantia ist, welches aus Necromantia verderbt worden. Aus allem erhellet,
daß das Wort Kunst bloß die Fertigkeit in Anwendung der Ausübungssätze, und den
Inbegriff dieser Vorschriften und Regeln ausdruckt, daß es also von allen
denjenigen Disciplinen gebraucht werden kann, welche zu ihrer Ausübung eine
solche Fertigkeit erfordern. Ja einerley Disciplin kann in verschiedener
Betrachtung so wohl eine Kunde, als eine Kunst, als endlich auch eine
Wissenschaft genannt werden. Die Arzeneykunde, ist die historische Kenntniß
oder klare Vorstellung von allen zur Heilung des menschlichen Körpers nöthigen
Dingen; die Arzeneykunst, die Fertigkeit in Ausübung der zur Heilung gehörigen
Vorschriften, und die Arzeneywissenschaft endlich, die Einsicht der Gründe und
die Fertigkeit diese Vorschriften aus unwidersprechlichen Gründen unumstößlich
darzuthun. Eben so sind schöne Künste und schöne Wissenschaften unterschieden.
4. In noch engerer Bedeutung, Fertigkeit mit Mühe, Fleiß und Nachdenken
verbunden; ohne Plural. Es ist viele Kunst an einem Gemählde. Der Ring ist mit
vieler Kunst gearbeitet. Wo es oft im nachtheiligen Verstande von der
sorgfältigen Anwendung willkührlicher Vorschriften gebraucht, und als-
[
1833-1834] dann der Natur entgegen gesetzet wird,
besonders in den Werken der Kunst, d. i. der bildenden Künste. Das schmeckt
nach der Kunst. 5. Ein Werk der Kunst, ein durch Hülfe der Kunst hervor
gebrachtes Ding. In dieser Bedeutung wird besonders eine künstliche Maschine,
das Wasser aus der Tiefe zu heben, die Wasserkunst, das Kunstgezeug, und im
gemeinen Leben nur schlechthin die Kunst genannt. Schwed. gleichfalls Konst.
S. viele der folgenden Zusammensetzungen. Bey den
Bäckern einiger Gegenden, z. B. zu Leipzig, ist die Kunst ein Kasten mit einem
Boden von Drahte, das Wasser von dem genetzten Weitzen wieder wegzuschaffen. An
andern Orten wird er die Wasserseige genannt. 6. * Gelehrsamkeit, Wissenschaft;
von können, so fern es ehedem auch wissen bedeutete. Eine jetzt veraltete
Bedeutung, in welcher Kunst bey dem Ottfried und Chunst bey dem Notker
vorkommen. Anm. Es stammet von können her, und sollte daher billig Kunnst
geschrieben werden. Allein die Weglassung des einen n ist beynahe so alt als
das Wort selbst, und hat auch die Beyspiele der Wörter Gunst, Brunst u. s. f.
für sich. Im Dän. und Niedersächs. lautet es gleichfalls Kunst, im Schwed.
Konst, im Pohln. Kunszt. Kero gebraucht dafür noch Listi,
S. List. [
1833-1834]