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Adelung - Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart

Der Hirsevogel | | 1. Hirten

Der Hirt

Der Hirt, [1209-1210] des -en, plur. die -en, Fämin. die Hirtinn, plur. die -en. 1. Eigentlich und zugleich im weitesten Verstande, eine Person, deren Aufsicht und Bewahrung eine Sache anvertrauet ist. Diese Bedeutung ist zwar, im Ganzen genommen, im Deutschen veraltet; allein es finden sich doch so wohl in den ältern als heutigen Mundarten noch häufige Überbleibsel davon, wo es von Aufsehern oder Bewahrern aller Art gebraucht wird. Im Isländischen ist Fehirdi der Bewahrer eines Schatzes, ein Schatzmeister, und im Angels. Cylda-hyrde ein Aufseher über Kinder, ein Hofmeister, und Cwen-hyrde der Aufseher über das Frauenzimmer. In Schwaben wird ein Feldwächter oder Flurschütz noch jetzt ein Feldhirt, und im Dänischen Hyre genannt, und im Tatian heißen die Wächter bey dem Grabe Christi thie Hirta. In der Deutschen Bibel kommen Regenten ganzer Völker, so wie die Aufseher und Lehrer der Gemeine, nach dem Vorgange der Grundsprachen oft unter dem Nahmen der Hirten vor; wo dieses Wort nicht alle Mahl eine Figur der folgenden eingeschränkten Bedeutung zu seyn scheinet. Die Hirten führten die Leute von mir, Jer. 2, 8. Wer ist der Hirt, der mir widerstehen kann? Jer. 49, 19, der Regent, der Monarch. Der ich spreche zu Cores, der ist mein Hirt, und soll all meinen Willen vollenden, Es. 44, 28. Er hat etliche zu Aposteln gesetzt, etliche aber zu Propheten, etliche zu Evan- gelisten, etliche zu Hirten und Lehrern, Ephes. 4, 11. 2. In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung, eine Person, welche die Aufsicht über eine Herde Vieh hat. 1) So fern dieselbe zugleich der Eigenthumsherr derselben ist, wo es in denjenigen Zeiten und Ländern, wo das Vieh den einzigen Reichthum, und die Wartung desselben, die einzige Beschäftigung ausmacht, oft gebraucht wird, einen solchen herum wandernden Eigenthümer oder Hausvater zu bezeichnen, welcher von der Viehzucht lebt, und sich allein damit beschäftiget. In diesem Verstande sagt man von den Patriarchen, daß sie Hirten waren. die ältesten Einwohner Griechenlandes, ja fast aller Länder, und die heutigen Araber und Tartarn sind es zum Theil noch. 1 Mos. 46, 31. f. sagt Joseph zu Pharao: Meine Brüder sind Viehhirten, denn es sind Leute, die mit Vieh umgehen. - Denn was Viehhirten sind, das ist den Egyptern ein Greuel. S. Hirtenleben. 2) Am häufigsten eine Person, welche einer Herde Vieh eines andern um Lohn vorstehet, und dieselbe auf die Weide und wieder zurück führet; ein Viehhirt im engsten Verstande, in Obersachsen auch ein Huthmann, in Österreich ein Viehhalter oder nur ein Halter. Da es denn nach Beschaffenheit des Viehes im gemeinen Leben Kühhirten, Schafhirten, Schweinhirten, Kälberhirten, Lämmerhirten, Ziegenhirten, Gänsehirten u. s. f. gibt Ein eigener Hirt, welchen sich ein Hausvater selbst halt; zum Unterschiede von einem Gemeinhirten, welcher das Vieh Einer Art einer ganzen Gemeinde hüthet. Der Hirt treibet aus, wenn er das ihm anvertrauete Vieh auf die Weide treibt. Er treibet ein, wenn er es wieder nach Hause treibt. Figürlich ist in der Deutschen Bibel dieses Wort mehrmals eine Benennung so wohl des höchsten Wesens, als auch besonders der zweyten Person derselben, die besondere Leitung und Regierung der Umstände ihrer Verehrer, und den Schutz, welchen sie denselben angedeihen lässet, zu bezeichnen. So wie geistliche, mit der Seelsorge über die ihnen anvertrauete Herde oder Gemeinde bekleidete Personen von jedem Range, noch jetzt, besonders in der höhern Schreibart, Hirten genannt werden; wohin auch die Zusammensetzungen Hirtenamt, Hirtenpflicht, Hirtentreue, u. s. f. gehören. Anm. In dieser letzten Bedeutung lautet es schon bey dem Ulphilas hairdeis, bey dem Kero, Ottfried und andern Hirti, Hirto, Hirt, im Nieders. Heerde, im Anges. Heard, Heord, Hiord, Hyrde, im Dän. Hyrde, im Schwd. Herde, im Isländ. Hyrde, im Lettischen Kerdzius. Es stammet unmittelbar von dem alten Zeitworte hirten, bewahren, ab, bey dem Stryker beherten, im angels. hyrdan, im Schwed. hjorda, und im Franz. mit einem stärkern Hauchbuchstaben garder. In der Schweizerischen Mundart ist hirten noch für weiden, hüthen, üblich. Vermittelst der Endsylbe -er, hatte man von diesem Zeitworte auch das Hauptwort Herter, welches noch im Schwabenspiegel vorkommt, einen Hirten zu bezeichnen, so wie Herder noch im Holländischen eben diese Bedeutung hat. Dieses alte hirten ist mit unserm heutigen warten sehr genau verwandt, weil der Übergang der Hauch- und Blaselaute in einander etwas sehr gewöhnliches ist, und so wie dieses das Frequentativum oder Intensivum von wahren, bewahren, ist, so ist auch hirten eine solche Form von dem noch ältern hiren, Angels. hiran, hyrian, hüthen, bewahren, führen, wovon im Dänischen noch Hyre einen Feldwächter bedeutet. S. auch Hort. [1211-1212]
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