2. Flehen
2. Flehen,
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195-196] verb. reg. neutr. mit haben,
welches eigentlich hin und her bewegen, besonders aber sich schmiegen, winden
und drehen, bedeutet, und mit zu dem weitläuftigen Geschlechte der Zeitwörter
flauen, fliehen, fliegen, flechten u. s. f. gehöret, (
S. diese Wörter,) aber in dieser seiner ersten Bedeutung
längst veraltet ist. Es kommt noch in einer doppelten figürlichen Bedeutung
vor. 1) * Für schmeicheln, besonders im nachtheiligen Verstande, durch
verstellte Freundlichkeit sich eines Gunst zu erwerben suchen; in welchem
Verstande es doch nur noch im Niedersächsischen üblich ist, wo flojen,
flikflojen, floistraken, und in gröbern Mundarten floiiken, schmeicheln,
fuchsschwänzen, Holl. vleien. Schwed. fleckra, floi aber schmeichelhaft, und
Flojer einen Schmeichler bedeuten. Daß die Bedeutung auch im Oberdeutschen
nicht unbekannt gewesen, erhellet schon aus dem Kero und den Monseeischen
Glossen, wo flehan schmeicheln, und Fleh unga Schmeicheley ist. Flehen druckt
genau aus, was man sonst auch sich schmiegen und biegen nennet, und kommt darin
mit dem Hochdeutschen schmeicheln überein,
S. dieses Wort. Es stammt also nicht, wie in dem
Bremisch-Niedersächs. Wörterbuche gemuthmaßet worden, zunächst von flojen,
fließen, ab. 2) Sich bittend vor jemanden schmiegen, gleichsam sich bittend vor
ihm im Staube winden, ängstlich und demüthig bitten. Um Gnade, um
Barmherzigkeit, um sein Leben, um Hülfe, um Rettung flehen. Um das Recht
flehen, Hiob 9, 15. In der höhern Schreibart auch als ein Activum, mit der
vierten Endung Sache.
Sie winden sich in Staub, und flehn umsonst ihr Leben, Weiße.
Wird die Person, zu welcher das Flehen gerichtet ist,
ausgedruckt, so bekommt sie in der Deutschen Bibel mehrmahls die Vorwörter zu
und vor. Mose aber flehete vor dem Herrn seinen Gott, Mos. 32, 11. Und beten
und flehen zu dir in diesem Haus, Kön. 8, 33. Im Hochdeutschen gebraucht man
dafür oft die vierte Endung, einen flehen, d. i. anflehen.
Ich wil die vil guoten vlehen Umb ein ding das ich doch han,
Burkhard von Hohenfels.
Und bath und flehete ihn, 2 Chron. 33, 13. Und flehete ihn,
daß er wegthät u. s. f. Esth. 8, 3.
Da muß ich vor den kalten Götzen den Himmel um Gesundheit
flehn, Günth.
Die Thränen, womit ich den Himmel flehe, Dusch. Flehe mit mir
den Himmel, daß er die Prüfung endige, ebend. Richtiger die dritte Endung;
einem flehen, für zu einem. Dem Herrn will ich flehen, Ps. 30, 9. Ich flehe dem
Herrn mit meiner Stimme, Ps. 142, 2. So du dem Allmächtigen flehest, Hiob 8, 5;
und so in andern Stellen mehr. Flehet ihm, Günth.
Die zu lösen so ihm flehn, Opitz. Dir fleht der sorgenvolle
Greis O Stifter der Geschlechter, Raml.
Anstatt des ungebräuchlichen Flehung wird der Infinitiv
häufig als ein Hauptwort gebraucht. Herr, höre mein Flehen. Kann dich kein
Flehn bewegen? Anm. In dieser zweyten Bedeutung lautet es schon bey dem Notker
flehen, bey dem Stryker aber vlegen. Die oben angegebene Abstammung von flehen,
schmiegen, biegen, wird auch durch das Latein. supplicare bestätiget, dessen
letzte Hälfte gleichfalls das Zeitwort plicare, biegen, falten, ist, Franz.
plier.
S. auch Flechten. Daher es nicht von dem Lat. flere
abstammen kann, wie Frisch behauptet, als welches vielmehr zu unserm flennen
gehöret. Wohl aber ist das Lat. Intensivum Flagitare mit unserm flehen
verwandt. Wachters Ableitung von dem mittlern Lat. litus, ein Knecht, ist wohl
die seltsamste, die man nur erdenken kann. Ehedem war auch das Hauptwort Fleh
üblich. Ich bitt euch mit großer Fle, Rosenplut um das Jahr 1450.
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197-198]