Das Blatt
, des -es, plur. die Blätter, Diminutivum das
Blättchen, des -s, plur. ut nom. sing. oder im Plural auch
Blätterchen, im Oberdeutschen das Blättlein; überhaupt ein jeder
dünner ebener Körper von einer gewissen Länge und Breite.
Indessen ist doch dieses Wort vorzüglich von einigen besondern, so wohl
natürlichen als künstlichen Arten solcher Körper üblich,
deren die vornehmsten folgende sind.1. Diejenigen ebenen und breiten Theile der
Bäume und Pflanzen, welche aus Häuten und einem dünnen faserigen
Netze bestehen, so wohl die Fruchtknospen auf den Bäumen, als auch die aus
denselben wachsenden Früchte bedecken, und bey den Bäumen collective
das Laub genannt werden. Wenn diese Blätter keine breite, sondern eine
runde Gestalt haben, so heißen sie auch nicht mehr Blätter, sondern
Nadeln oder Tangeln,
S. diese Wörter. Die Blätter schlagen aus. Die
Bäume bekommen, gewinnen Blätter. Das Blatt hat sich gewendet,
figürlich, die Sache hat ein anderes Ansehen bekommen, es hat sich das
Gegentheil zugetragen. Sich vor einem rauschenden Blatte (vor einer jeden
Kleinigkeit) fürchten; daher man solche furchtsame Leute im gemeinen Leben
blattscheu nennet. Kein Blatt vor das Maul nehmen, in niedrigen
Ausdrücken, freymüthig reden.
Das wir für unser Maul kein Blatt nicht dürfen
nehmen, Opitz.
Bey den Jägern läuft der Hirsch auf das Blatt, wenn
er dem Tone nachgehet, den der Jäger vermittelst eines Blattes von einem
Baume macht, und der dem Tone eines alten Rehes gleicht, welches seine Jungen
verloren hat, und wenn er alsdann geschossen wird, so wird er auf dem Blatte
geschossen. Auch die den Blättern der Pflanzen ähnlichen und nicht
unmittelbar zur Befruchtung gehörigen Theile der Blumen und ihrer Kelche,
werden so wohl im gemeinen Leben als in der Kräuterkunde Blätter
genannt. Daher Rosenblätter, Lilienblätter u. s. f. die Blätter
von den Blumen des Rosenstockes, der Lilienpflanze. Im Weinbaue bedeutet Blatt
das Alter des Weinstockes. Wein von drey Blättern, von drey Jahre.2. Ein
Stück Papier, von einer unbestimmten, aber doch gewöhnlichen
Größe. Ein Blatt Papier, es sey nun in der Größe eines
halben Bogens, oder eines Viertelbogens u. s. f. Ein Folio-Blatt, ein
Quart-Blatt, ein Octav-Blatt u. s. f. DieBlätter eines Buches. Wenn eine
Zahl dabey stehet, so lautet der Plural auch zuweilen Blatt. Als Judi drey oder
vier Blatt gelesen hatte, Jer. 36. 23, wie solches bey mehrern Wörtern,
die eine Zahl, Maß, Gewicht u. s. f. bedeuten, üblich ist; drey
Faß, sechs Pfund, hundert Mann u. s. f.3. An vierfüßigen
Thieren, der Bug, oder die Schulter, oben über den Vorderläuften,
welche besonders bey den Jägern unter dem Nahmen des Blattes bekannt ist.
S. auch Schulterblatt.4. Bey den Kindern wird die Gegend
des Kopfes, wo die ossa bregmatis zusammen stoßen, oder der nachmahlige
Wirbel, das Blättchen genannt, weil diese Stelle alsdann noch offen ist,
und die Haut über derselben einem dünnen Blatte gleicht. Es
heißt auch das Fontanell. Das Blättchen ist dem Kinde geschossen,
oder gefallen, welcher Zufall bey den Ärzten den Nahmen Siriasis hat.
Daher vermuthlich die im gemeinen Leben übliche R. A., das Blättchen
schoß mir, ich ward bestürzt, ahndete etwas wichtiges. Es scheinet,
daß Blatt oder Blättchen in dieser Bedeutung zunächst von Platte
abstammet; weil sich die Platte an eben dem Theile des Kopfes befindet, den das
Blättchen in der Jugend einnimmt; daher es in diesem Falle billig
Plättchen zu schreiben wäre.5. Der oberste bewegliche Knorpel der
Luftröhre, der einem krummlinigen Triangel gleicht, und die Luftröhre
öffnet oder verschließet, wird im gemeinen Leben auch zuweilen das
Blättchen, noch häufiger aber der Zapfen, oder das Zäpfchen
genannt, Lat. Epiglottis. Um das Jahr 1479 hieß dieses Zäpfchen in
Schwaben das Platt, und um 1530 das Athemblatt. In dem 1482 gedruckten Buche
der Natur wird es das Eychelin, (Eylein) mit dem Beysatze: bey den läyen
das platt, genannt. In eben diesem Buche heißt es auch der
Überfall.6. Das wandelnde Blatt, ist eine Art Heuschrecken in Brasilien,
deren Flügel dem Blatte eines Baumes gleichen. Auch eine Tellmuschel mit
ausgezackter Schale und sehr spitzig ablaufender Angel, Folium, Rumph. wird in
den Muschel-Cabinetten das Blatt genannt.7. Außer dem bekommen noch
verschiedene Werke der Kunst den Nahmen eines Blattes, wenn ihre ebene und
dünne Gestalt sie dazu berechtiget. Dahin gehöret das Blatt einer
Säge; das Blatt eines Tisches, oder das Tischblatt; das Blatt (die Klinge)
des Weidemessers bey den Jägern und dieses Weidemesser selbst, daher einem
das Blatt schlagen auch so viel heißt, als ihm das Weidemesser geben; das
Blatt oder Ried der Weber, ein aus seinen Rohrschienen verfertigter langer
ebener Körper, mit welchem der durch die Kette geworfene Faden an das
fertige Gewebe angeschlagen wird; das Blatt an den Orgelpfeifen, das messingene
Blech, welches auf den Röhren in den Schnarrwerken liegt; die Blätter
eines Tuches, bey den Tuchmachern und Tuchbereitern, die Flächen, welche
entstehen, wenn das Tuch in gewisse abgemessene Falten gelegt wird; die
Blätter der Nähterinnen, Stücke Zeuges oder Leinwand von
gewisser Länge, welche zusammen genähet sind; die Blätter in dem
Bergbaue, die eingeschnittenen Enden in den Fächern und Kappen, welche auf
einander gelegt werden, und die Vierung machen; das Blatt an einem
Schlüssel, der Bart; das Blatt einer Schere, die Klinge; bey den
Holzarbeitern, ein Bret oder Holz, welches mit seinem Ende in ein anderes
eingeschoben wird, u. s. f.Anm. Von diesem Worte kommt schon bey dem Kero der
Plural Pletiru vor. Im Nieders. lautet es Blad, im Schwed. Blad, im Engl.
Blade. Es stammet mit platt und dem Griech. -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - aus Einer Quelle her, die
vermuthlich in dem Worte breit zu suchen ist; denn l und r werden gerne mit
einander verwechselt. Ehedem bedeutete Blade, im mittlern Lat.
Bladum, [
1047-1048] Bladus, Angels. Blaeda, ein jedes
Getreide, wovon noch das Ital. Biada und das Franz. Ble abstammen; allein es
scheinet nicht, daß es in dieser Bedeutung mit unserm Blatt verwandt sey.
Das Slavon. Plot bedeutet überhaupt Frucht. Übrigens wird Blatt im
Hochdeutschen oft irrig mit einem langen a ausgesprochen, als wenn es Blat
geschrieben wäre; welche Aussprache vermuthlich noch ein Überbleibsel
der Sächsischen Mundart ist.
S. auch Platte. [
1049-1050]