Betrachten
, verb. reg. act. genau ansehen, um das Mannigfaltige an einer
Sache zu erkennen. 1. Eigentlich, mit den Augen des Körpers. Einen
Menschen genau betrachten. Die Größe einer Stadt von weiten
betrachten. Eine anmuthige Gegend mit aufmerksamen Augen betrachten. Ein
Gemählde [
939-940] betrachten. Den Lauf der Sterne
betrachten. 2. Figürlich. 1) Mit den Augen des Geistes, an einer
unvollkommen erkannten Sache noch mehr zu erkennen suchen. Wer den Zustand der
jetzigen Zeit genau betrachtet, der, u. s. f. Die Folgen einer
gefährlichen Unternehmung betrachten. Betrachte, was er gethan hat, an den
alten Vätern, 5. Mos. 32, 7. Und er betrachtets vor (zuvor) bey sich
selbst, darnach sagt er seinen Rath, Sir. 39, 11. In dieser Bedeutung, die zwar
im Hochdeutschen weder selten noch tadelhaft ist, sind doch erwägen,
überdenken u. s. f. beynahe üblicher. 2) Mit verschiedenen
Nebenbegriffen; betrachten, um ein Urtheil zu fällen. Betrachtet man ihn
als einen Bürger, so verdienet er unser ganzen Beyfall. Als ihr Vater
betrachtet, (so ferne du ihr Vater bist) kann dich nichts von der
Verbindlichkeit los machen, sie zu ernähren, Dusch. Ich betrachte ihn als
einen Menschen, der zu nichts taugt. Ingleichen, betrachtet, um seine
Handlungen darnach einzurichten, mit Einfluß auf den Willen betrachten.
Die Person betrachten. Ich betrachte seine Jugend. Betrachte doch seine Armuth.
In welcher Bedeutung aber im Hochdeutschen ansehen üblicher ist.
S. auch Betrachtung.Anm. Schon Ottfried gebraucht
drahton und bidrahton für überdenken, gidrahton, für mit dem
Verstande begreifen, und Hornegk biträchtig für betrachtend, und
Trachter für einen, der eine Sache wohl betrachtet. Wachter leitet dieses
Wort von dem Latein. tractare ab. Frisch scheinet es nicht zu trachten zu
rechnen, ob er gleich auch keine andere Abstammung angibt. In den Monseeischen
Glossen bey dem Pez wird Pitrahtari durch Ponderator gegeben, und dieß
führet auf eine gute Erklärung der eigentlichen Bedeutung dieses
Zeitwortes. Betrachten ist das Frequentativum von tragen, und bedeutet
ursprünglich, eine Sache in der Hand wägen, um ihr Gewicht zu
erforschen. Die Beschäftigungen des Geistes sind im Deutschen, so wie in
allen Sprachen von körperlichen Handlungen hergenommen. [
941-942]