Der Wolf
, [
1601-1602] des -es, plur. die Wölfe,
Diminut. Wölfchen, ein Wort von sehr vielfachen Bedeutungen, wovon viele gewiß
von sehr verschiedenen Stämmen sind, welche bloß zufällig einerley Laut haben.
Denn f ist bloß ein alter Ableitungslaut, der den in wol liegenden Hauptbegriff
nur näher bestimmet. Ich getraue mir nicht, den in jedem einzelnen Falle
herrschenden Hauptbegriff mit Gewißheit anzugeben, daher ich die meisten
Bedeutungen nur muthmaßlich ordnen kann. 1. Der Begriff der Ründe, in welchem
Falle dieses Wort zu dem vorigen wölben, und dessen Geschlecht gehöret; denn an
der Vertauschung des b und f wird sich wohl niemand stoßen. So ist in den
Malzdörren der Wolf der eigentliche Ofen, in welchem das Feuer angemacht wird,
und aus welchem sich die Hitze durch die ganze Dörre verbreitet. Vermuthlich,
weil er gewölbt ist, oder auch ein schräges Dach hat. Bey den Grappbereitern
heißt das ganze Gerüst, worauf der Grapp gedörret wird, der Wolf. 2. Der
Begriff der Bewegung um seine Achse, in welcher Bedeutung es zunächst zu Welle
und wälzen, Lat. volvere, gehöret. Aus dieser Bedeutung läßt sich der Wolf der
Tuchmacher erklären, welches eine Maschine ist, in welcher die Wolle
vermittelst einer beweglichen Welle aufgelockert, und von allem Staube
gereiniget wird. 3. Der Begriff der Ausdehnung in die Länge, Breite oder Dicke.
Man hat viele Spuren, daß Wolf ehedem auch groß, und figürlich eine Intension
bedeutet hat, in welchem Verstande es mit unserm wohl, dem Engl. whole, u. a.
m. verwandt ist. In den noch gangbaren eigenen Nahmen dieser Art scheinet
dieser Begriff gleichfalls der herrschende zu seyn. Wolf, der Große; Wolfgang,
der ernsthaft einher tritt; Wolflieb, sehr lieb; Wolfrath, ein weiser
Rathgeber. Obgleich auch andere Nahmen von dem Thiere dieses Nahmens entlehnet
seyn können. Zu dieser Bedeutung scheinen mir folgende Fälle zu gehören. (1) In
der Zimmermannskunst heißt der lange Balken, welcher bey Strohdächern durch die
Firste des ganzen Daches gehet, und woran die Sparren befestiget sind, der
Wolf. Bey den schwerern Ziegeldächern fehlet er, dagegen sie einen eigenen
Dachstuhl haben. (2) In dem Wasserbaue heißt der an Stricken befestigte
Rammblock, womit die Pfähle eingetrieben werden, in manchen Gegenden der Wolf,
in andern der Bär. (3) Vielleicht gehöret hierher auch der Nahme einer Art
Garnsäcke mit nur vier Bügeln, welche am Rhein Wölfe heißen; wenn nicht der
erste Begriff der Ründe darin der herrschende ist. (4) Ein dicker, starker
Nagel, oder Bolzen, z. B. der, woran die Wage an dem Wagen hänget, heißt in
manchen Gegenden gleichfalls ein Wolf. (5) Bey den Seilern mancher Gegenden ist
der Wolf ein mit Furchen versehenes Holz, in Gestalt eines Kürbisses. Bey
andern wird es die Lehre genannt. 4. Von dem gelfenden Laute, als eine
Onomatopöie, werden von Alters der die Jungen mehrerer großen Thiere Wölfe
genannt. Vzzer mitten leuuon welferen, von dem Jungen der Löwen, Notk. Und noch
in der Nieders. Bibel von 1565 sind des Louwen Wölpe, die Jungen des Löwen. Im
Theuerdanke wird es von jungen Bären gebraucht.
Wie in dem wald ein pyrin wer Mit sambt iren welflein klein.
Jetzt ist es nur noch bey den Jägern von jungen Hunden
üblich, in welcher Bedeutung Welf schon im Ottfried vorkommt; auch im Schwed.
Hvaelp, ein junger Hund. Daß der gelfende, oder heulende Laut mancher jungen
Thiere zu der Benennung Anlaß gegeben, ist wohl gewiß, und in so fern gehöret
es zu gelfen, heulen, bellen u. s. f. welche lauter Modificationen dieses
Lautes bezeichnen. Gemeiniglich hält man Wolf, ein junger Hund, und Wolf,
lupus, für Wörter eines Stammes; allein im Schwed. sind beyde genau
unterschieden; ein junger Hund heißt daselbst Hvalp, im Isländ. Hwölpr, im
Holländ. Welp, im Nieders. Wölp; das bekannte Raubthier aber, im Schwed. wie in
allen nordischen Mundarten, Ulf, im Nieders. Wulf. Vermuthlich ist der
fehlerhafte heulende Ton gleichfalls die Ursache, warum die Orgelbauer den
Fehler, wenn zwey überein stimmende Pfeifen zugleich gerühret werden, und
zwischen sich einen dritten Dissonanz-Ton hören lassen; einen Wolf nennen. 5.
Von dem Begriffe des Raubens, um sich Fressens, vielleicht auch des Eilens, der
Geschwindigkeit. Daß der Begriff des Raubens diesem Worte angemessen ist,
erhellet unter andern aus dem Möso-Gothischen, wo wilwen, rauben, Wilwan, ein
Räuber, ist, womit auch das Franz. piller verwandt zu seyn scheinet. Von diesem
Begriffe scheinen mir folgende Bedeutungen abzustammen. (1) Der Nahme eines
bekannten Raubthieres; im Fämin. die Wölfinn. Sprichw. Wenn, man von dem Wolfe
spricht, ist er nicht weit; ein Überbleibsel des alten Mährchens von dem
Währwölfen, welches besonders in den zwölf Tagen, vom ersten Weihnachtstage bis
zu den drey Königen, galt, da sich die Währwölfe sehen ließen. Schon im
Ottfried und Notker Wolf, Wolva, bey dem Ulphilas Wulfs, im Angels. und
Nieders. Wulf, im Engl. Wolf, im Schwed. Ulf, im Isländ. Ulfr, im Albanischen
Ullk. Es ließe sich dieser Nahme gleichfalls von der bekannten heulenden Stimme
des Wolfes ableiten, indem ulfva im Schwed. und ylfa im Isländ. heulen ist;
allein der Begriff des Raubens scheint mir doch der herrschende zu seyn, daher
auch die Griechen den Wolf hier nichtlateinischer Text, siehe
Image, nannten. Das Lat. Vulpis ist genau damit verwandt, weil der Fuchs
und der Wolf so wohl in der Gestalt, als in der Raubsucht, viel Ähnliches
haben. (2) Bey den Bäckern ist der Wolf, oder Feuerwolf, eine zuweilen aus dem
Backofen hervor brechende Flamme, welche viel mit dem Blitze gemein hat, und
nicht selten einen starken Knall verursacht. (
S. Feuerwolf.) (3) Im gemeinen Leben werden verschiedene
schädliche und räuberische Insecten Wölfe genannt; z. B. der weiße Kornwurm,
Phalaena granella L. Auch ein gewisses Insect in den Bienenstöcken, welches
auch der Riehwurm genannt wird. Wenn dieses in den Bienenstöcken häufig ist, so
sagt man, die Bienen haben den Wolf. (4) In den aufblühenden Nelken ist der
Wolf eine fehlerhafte Knospe, welche sich zuweilen in der Mitte der Blume
zeigt, und, weil sie der Hauptblume die Kraft entziehet, weggeschnitten wird.
In andern Fällen nennet man eine solche Erscheinung einen Räuber. (5) Eine
Entzündung der Haut, besonders wenn sie von einer starken Reibung herrühret. So
sagt man, sich einen Wolf reiten, oder gehen, wenn man von starkem Reiten oder
Gehen eine Entzündung am Gesäße bekommt, welches in einigen gemeinen Mundarten
sich fratt reiten oder gehen heißt, von fritten, reiben. Sonst wird im gemeinen
Leben auch ein um sich fressendes Geschwür der Wolf genannt, im Mittellat.
Lupus, Franz. Loup. Wenn es bis auf die Knochen eindringt, so heißt es der
Krebs. [
1603-1604]