Wissen
, [
1579-1580] verb. irreg. act. et neutr.
Präs. ich weiß, du weißt, er weiß, wir wissen u. s. f. Conjunct. daß ich wisse.
Imperf. ich wußte; Conjunct. wüßte; Particip. gewußt. 1. In dem weitesten und
gewöhnlichsten Verstande, eine klare Vorstellung von dem Daseyn einer Sache und
der Art desselben haben. So wohl mit dem Accusative. Ich weiß es lange. Den
rechten Weg wissen. Ich weiß das Haus, d. i. weiß, wo es stehet. Ich weiß die
ganze Geschichte schon, sie ist mir schon bekannt. Keinen Rath wissen; ich weiß
mir keinen Rath. Weißt du eine bessere Gesellschaft, als die unsrige? Das weiß
er auf ein Haar, im gemeinen Leben, für sehr genau. Viel wissen, alles wissen
wollen, nichts wissen. Als auch mit einer Conjunction, oder so, daß das
Prädicat einen eigenen Satz ausmacht. Ich weiß, daß er da ist. Wir wissen alle,
daß er unschuldig war. Du wirst doch wissen, ob du ihm gut bist. Ich weiß
nicht, ob ich ihm gefalle. Er weiß nicht, wie der Mangel drückt. Ich weiß
nicht, was ich thun soll. Ich weiß, er kommt. Ich weiß nicht, was für eine
verdrießliche Gemüthsart Sie heute haben. Will man ausdrucken, daß man nur
einen Theil einer Sache wisse, so bekommt das Ganze das Vorwort von. Ich weiß
nichts von der Sache.
Du, der du denkst, daß alle von dir wissen, Von dir jetzt alle
reden müssen, Gell.
Ich lese es in den Augen aller, daß sie von unserer
Unterredung wissen. Ich weiß von nichts. Eine Liebe, die nichts von Eigennutz
weiß, welcher der Eigennutz völlig unbekannt ist. Die Präposition um vor der
Sache deutet an, daß man nebst andern Kenntniß von etwas hat, oder es weiß. Sie
weiß um alle meine Geheimnisse. Die Person, welcher man eine Nachricht zu
danken hat, bekommt das Vorwort von. Ich weiße es von ihm. Ich weiß es von
guter Hand, von einer zuverlässigen Person. Woher weißt du das? von wem? In
manchen Fällen wird es auch als ein Reciprocum, mit einem Adverbio gebraucht.
Sich sicher wissen, eigentlich eine elliptische R. A. wissen, daß man sicher
ist. So auch, sich unschuldig wissen, sich keines Verbrechens schuldig wissen.
Auf eine ähnliche Art wird es als ein Activum mit dem Accusative der Person und
einem Adverbio gebraucht, wo die Ellipsis noch stärker ist. Wie gern möcht ich
dich glücklich wissen, d. i. wie sehr wünschte ich, daß du glücklich wärest.
Willst du mich ruhig wissen, so sage mir nichts davon. Ich kann nicht ruhig
sterben, wenn ich dich bey meinem Leben nicht versorgt weiß. Wo es oft einen
Befehl mit in sich schließt. Er will die Sache gethan wissen. Ich will die
Sache außer Streit gesetzt wissen. Noch elliptischer und figürlicher ist der
Ausdruck, sich viel mit etwas wissen, stolz darauf seyn, sich damit blähen. Der
Gebrauch mit dem Infinitive, ich weiß ihn wohnen, für, ich weiß, wo er wohnt,
gehört in die niedrige Sprechart. Richtiger sind: einen etwas wissen lassen,
ihm Nachricht davon geben, mit dem Accusative, nicht einem, weil hier die
Construction des Accusativi mit dem Infinitivo Statt findet. Aber meine Frau
darf ich es nicht wissen lassen, Gell.
O ließe mich der Himmel wissen, Wer mir im Schlaf die Hand
geküßt, eben ders.
Ingleichen, einem etwas zu wissen thun, auch ihm Nachricht
davon geben, schon bey dem Notker ze wizzene tuan. Nichts von sich wissen
lassen, keine Nachricht von sich geben. Besondere Ausdrücke sind noch: Geld bey
jemanden wissen, wissen, daß er Geld habe. Einem Dank wissen, sich ihm zum
Danke verpflichtet halten. Ich weiß es ihm vielen Dank, daß er es mir gesagt
hat. In dieser letzten Bedeutung scheinet es vielmehr von weisen, in erweisen
abzustammen, wovon man auch im Schwedisch. und andern Sprachen weta, für geben,
leisten, erweisen hat. Wisse, du sollst wissen, man muß wissen, u. s. f. werden
gebraucht, wenn man etwas mit Ernst und Nachdruck bekannt machen will.
Wisse, dieser böse Mann Zielt, so lang ich denken kann,
Lichtw.
Sie müssen wissen, daß er noch nicht die geringste Erfahrung
hat. Ich bin ein ehrliches Mädchen, daß sie es wissen, oder, daß sie es nur
wissen.
Ein Philosoph trat neulich hin, Und sprach: ihr Herren, wißt,
ich bin, Haged.
In der vertraulichen Sprechart wird dieses Verbum noch auf
verschiedene Art gebraucht, mancherley Nebenbegriffe zu bezeichnen. 1. Wer
weiß? eine Ungewißheit zu bezeichnen. Wer weiß auch, ob ich ihm gefalle, Gell.
Wer weiß, was er gehöret hat, es ist noch sehr ungewiß, was er eigentlich
gehöret hat. 2. In andern Fällen ist, wer weiß? ein Ausdruck der Möglichkeit.
Wer weiß, wie viel sie noch damit gewinnen? Gell. es ist immer möglich, daß sie
viel damit gewinnen. Wer weiß, wie glücklich sie noch werden. 3. In noch andern
bezeichnet diese [
1581-1582] Form einen hohen, aber
unbestimmten Grad. Man könnte auf die Gedanken gerathen, daß nur, wer weiß was,
an einer Frau gelegen sey, Less. sehr viel. Er denkt, wer weiß, wie fest ich in
ihrem Herzen sitze, eben ders. daß ich sehr fest in ihrem Herzen sitze. 4. Man
kann nicht wissen, in Antworten, bedeutet so viel, als, es ist möglich. 5. Wenn
man etwas von einer Sache nur in so fern prädiciren will, als man es weiß, ohne
es eben als gewiß zu behaupten, so druckt man das gewöhnlich mit so viel ich
weiß aus. So viel ich weiß, ist er allein. Ist er schon da? Antw. so viel ich
weiß, nicht. Eine irreguläre Form ist, wenn man dieses in Antworten durch daß
ich nicht weiß, und, daß ich nicht wüßte, ausdruckt, ob sie gleich oft in
Lessings Schriften vorkommt. Haben sie etwas Neues gehört? Antw. Nichts von
Belang, daß ich wüßte, so viel ich weiß, oder mich erinnere. Auch der Gebrauch
des Participii, so viel mir wissend ist, für bewußt, ist tadelhaft, (
S. die Anmerk.) Erträglicher ist dafür der Genitiv des
Substantivi, meines Wissens, d. i. so viel ich weiß. Er ist, meines Wissens,
noch nicht gestorben. 6. Weißt du was? oder, wissen Sie was? eine gewöhnliche
Formel, etwas Neues oder Unerwartetes anzukündigen. 2. In einigen engern
Bedeutungen. (1) Dem Gedächtnisse eingepräget haben, vollständiger, auswendig
wissen, wie können. Seine Lection wissen. (2) Gewißheit von der Wahrheit einer
Sache haben, völlig davon überzeugt seyn, in welcher Bedeutung wissen dem
glauben entgegen gesetzt ist. Ich glaube es nicht bloß, sondern ich weiß es.
(3) Fähigkeit zu etwas haben, Mittel und Wege wissen, etwas zu thun oder zu
bewerkstelligen, für können; in welcher Bedeutung es doch nur mit dem Infinitiv
des Prädicates und dem Wörtchen zu gebraucht wird. Ich weiß das Haus nicht zu
finden, weiß nicht, wie ich es finden soll, kann es nicht finden. Er wußte ihn
nicht zu nennen. Er wußte kein Wort zu antworten. Er wußte seine Sache so
geschickt anzustellen, daß u. s. f.
Man muß, will man ein Glück genießen, Die Freyheit zu
behaupten wissen, Gell.
So verdienstvoll auch ein Mensch ist, so muß er doch an sich
zu halten wissen. Ich weiß dir keinen bessern Rath zu geben, als den. Er weiß
sich nicht zu helfen, weiß sich nicht zu lassen. Er weiß zu leben. Das Ding ist
nicht geschehen, weil ich zu denken weiß, besser, so lange ich denken kann. Ich
wüßte mich nicht zu erinnern, daß ich es jemahls gehört hätte. Daher das
Wissen,
S. solches hernach besonders. Anm. 1. Obgleich dieses
Verbum häufig mit dem Accusative gebraucht wird, und in so fern ein wahres
Activum ist, so ist es doch im Passivo ungewöhnlich. Man sagt zwar, ich weiß
den Weg, ich habe es lange gewußt; aber nicht, der Weg wird von mir gewußt, die
Sache ist von mir längst gewußt worden. Das Participium der gegenwärtigen Zeit
wissend, wird als ein Adjectiv für sich allein nur selten gebraucht, und
vielleicht nur mit den Wörtern, viel, alles, und nichts: der alles wissende,
oder allwissende Gott, ein viel wissender Mann, ein nichts wissender Jüngling.
Als ein Adverbium, wohl wissend, daß u. s. f. kommt es nur noch in den
Kanzelleyen vor. Die edlere Schreibart muß es hier umschreiben. Aber wirklich
fehlerhaft ist es, diesem Participio eine passive Bedeutung unterzuschieben,
und es für bewußt zu gebrauchen. So viel mir wissend ist, bewußt.
Der Löwe sah umher, zu hören, Wem sonst davon was wissend sey,
Lichtw.
Auch das Participium der vergangenen Zeit, gewußt, wird wohl
nicht leicht als ein Adjectiv gebraucht werden. [
1581-1582] Anm. 2. Wissen, von den frühesten Zeiten an, wizssan, wizzan, im
Niederdeutschen weten, bey dem Ulphilas vitan, im Isländ. vita, im Schwed.
weta, im Engl. weet, ist in der Hochdeutschen Gestalt ein Intensivum, wie aus
dem verdoppelten s erhellet. Löset man dieses auf, und erwäget, das t, d und s
in den Mundarten häufig in einander übergehen, so wird es mehr als
wahrscheinlich, das wissen, Nieders. weten, und das Lat. videre und visus, und
Griech. hier nichtlateinischer Text, siehe Image, sehen, Wörter
Eines Stammes sind, indem doch alles unser Wissen aus den äußern Sinnen und
besonders dem Sehen entspringet. Im Böhmisch. ist wedeti gleichfalls sehen, und
im Pohln. widze, ich sehe, und wiem, wiezs, ich weiß. (
S. auch Weiß, in der R. A. einem etwas weiß machen, und
Witz.) Im Oberdeutschen gehet dieses Verbum, wenigstens im Präsenti,
regulär: ich weiß, du weissest, er weißt. [
1581-1582]