Wild
, [
1541-1542] -er, -este, adj. et adv. ein
Wort, welches überhaupt der durch Cultur und Kunst veredelten und erhöheten
Beschafheit entgegen gesetzet ist. 1. Der physischen Cultur entgegen gesetzt
und ihrer beraubt, wo es in den meisten Fällen dem zahm entgegen gesetzt ist,
und von Gegenständen aus allen drey Reichen der Natur gebraucht wird. Wilde
Gewächse, Kräuter, Pflanzen und Bäume, welche in Freyen ohne vorzügliche
Wartung wachsen, im Gegensatze der Garten und Feldgewachse. Eine Pflanze
wächset wild, wenn sie im Freyen ungebauet wächset. In einer engern
Einschränkung sind wilde Baumstämme, Stämme von Gartenbäumen, welche noch nicht
gepfropfet sind. (
S. Wildling.) So auch von Thieren, im Gegensatze der
zahmen und häuslichen Thiere. Wilde Thiere. Wildes Geflügel. Wilde Schweine,
Pferde, Ochsen, Änten, Gänse, Tauben u. s. f. Selbst von Fischen gebraucht man
dieses Wort, im Gegensatze der in Teichen gehegten Fische. Wilde Fische, Fische
in Strömen, Bächen, Seen und Meeren. Die wilde Fischerey, die Fischerey auf
solchen Wassern. Ingleichen von Gegenständen des leblosen Körperreiches. Ein
wilder Ort, ein wilder Boden, ein ungebaueter. Ein wilder Wald, welcher der
menschlichen Aufsicht, des menschlichen Besitzes beraubt ist. Wildes Wasser,
welches nicht durch Kunst an einen Ort geleitet und geheget wird. Ein wildes
Bad, gewöhnlicher, Wildbad, ein mineralisches, von der Natur selbst bereitetes
Bad. Wilde Erde, die Erde unter der Dammerde, welche noch nicht gebauet worden,
folglich auch noch keine Gewächse getragen hat. Ein wildes Gestein, ist im
Bergbaue in engerer Bedeutung, ein Gestein, welches wegen seiner Härte nicht zu
gewinnen ist; oft aber auch taubes Gestein, welches keine brauchbaren
Mineralien enthält. 2. Der gesellschaftlichen Cultur beraubt und ihr entgegen
gesetzt, im Gegensatz des gesittet. Im diesem Verstande sind wilde Menschen,
und substantive Wilde, Menschen, welche außer der engern gesellschaftlichen
Verbindung leben, und daher der Kenntnisse, Fertigkeiten, Sitten des
gesellschaftlichen Menschen ermangeln. Da diese engere gesellschaftliche
Verbindung sehr vieler Grade fähig ist, so gibt es auch mancherley Arten von
Wilden, und da es keine Menschen gibt und geben kann, welche aller
gesellschaftlichen Verbindung beraubt seyn sollten, so gebraucht man das Wort
nur von solchen Menschen, welche keinen stätigen Aufenthalt haben, und denen
die Cultur des Bodens und der Thiere nicht das erste und vornehmste
Erhaltungsmittel, daher ihre gesellschaftliche Verbindung auch nur schwach seyn
kann. Die Menschen bestehen in Ansehung der Cultur aus drey großen Classen, aus
Wilden, Barbaren und gesitteten Menschen. Der alte Deutsche war ursprünglich
ein Wilder, in den spätern Zeiten ein roher Barbar. Der Wilde lebt, als der
sorglose Pflegsohn der Natur, nicht von dem Eigenthume oder dem Werke seiner
Hände, und unterscheidet sich dadurch von dem Barbaren. 3. Der moralischen
Cultur beraubt und ihr entgegen gesetzt, auch unter gesitteten Menschen. Ein
wilder Mensch, ein ungestümer und ungesitteter. Ein wildes und wüstes Leben
führen. Wilde Blicke, ungesittete, bey der Winsbeckinn. Ein wildes Vergnügen,
ein ungesittetes.
Ein Vater war, wie viele Väter, Mit einem wilden Sohn geplagt,
Gell.
Eine wilde Unordnung. Ein wildes Geschrey.
Der wilden Peitsche Knall betäubt die Straße ganz, Zach.
4. In einigen engern und besondern Bedeutungen. Wildes
Fleisch in den Wunden, gefühlloses unechtes Fleisch, welches die Heilung
hindert, und daher weggeschaft werden muß. Wildes Feuer,
S. Hitzblatter. Anm. Das Wort ist sehr alt, und die
Wurzel selbst, ohne alle Ableitungssylbe, daher lautet es selbst im Schwed. und
Engl. ungeändert wild. Aus eben dieser Ursache ist auch der eigentliche
Wurzelbegriff schwer mehr aufzufinden. Alle mir bekannten Etymologen halten es
mit Wald für ein und eben dasselbe Wort, indem sich zwischen wild und wald
einige Verwandtschaft der Be- [
1543-1544] deutung findet.
Es kann seyn, daß beyde von einer höhern dritten Bedeutung abstammen, aber
unmittelbar ist wohl keines von dem andern abgeleitet, weil alsdann eines von
beyden mit einer Ableitungssylbe versehen seyn müßte. Mir scheint der Begriff
des Ungestümes in dem Worte wild der herrschende zu seyn. Bey den Schwäbischen
Dichtern kommt es häufig für fremd vor. Swer si siht dem ist truren wilde, dem
ist das Trauern fremd, Burkhard von Hohenfels. [
1543-1544]