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Adelung - Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart

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Die Waise

, [1351-1352] plur. die -n, ohne Unterschied des Geschlechtes; oder der Waise, des -n, Fämin. die Waise, plur. beyde, die -n, Diminut. das Waischen, ein seiner Ältern beraubtes, besonders unmündiges Kind. Eine Waise werden, zur Waise werden. Eine vaterlose Waise, wenn es des Vaters beraubt ist. Eine mutterlose Waise, wenn es keine Mutter mehr hat. Am häufigsten gebraucht man es im Hochdeutschen als ein Fämininum, und da ist auch der Knabe eine Waise. Allein in andern Gegenden unterscheidet man es nach den Geschlechtern, und da ist der Knabe ein Waise, und das Mädchen eine Waise. Anm. Das Wort lautet schon bey dem Ottfried uueiso, im Nieders. Wese. frisch gibt sich viele unnöthige Mühe, das Wort von weisen, zeigen, herzuleiten, und es nach einer unerhörten Ellipse, durch, des Weisers oder Führers beraubt, zu erklären. Waise, oder weise ist ursprünglich ein Adjectiv, welches, eines Dinges beraubt, bedeutete. Kroneweise, der Krone beraubt, kommt bey den Schwäbischen Dichtern vor. Auch Opitz gebraucht es noch häufig als ein Adjectivum.
Wie steht die waise Stadt? wie steht sie so verlassen? - - Läßt aber unbesorgt die waisen Eyer stehen, eben ders. die verlassenen. Es ging mit bleichem Licht, die waise Mutter auf, eben ders. von der Aurora, die verlassene.
Daß dieses waise mit dem Lat. viduus verwandt ist, wird der sehr wahrscheinlich finden, welcher weiß, wie gern s und t in den Sprachen und Mundarten mit einander vertauschet werden. ( S. Witwe.) Da dieses Wort nun eigentlich ein Adjectiv ist, so erhellet daraus zugleich, daß diejenigen Mundarten das Recht auf ihrer Seite haben, welche dieses Wort nach dem Geschlechte der Waise und die Waise biegen. Die Hochdeutschen scheinen durch das mildernde e um Ende, Waise, für das härtere Oberdeutsche Wais, verleitet worden zu seyn, dieses Wort für ein Fämininum zu halten. Was den Doppellaut ai betrifft, so findet er sich in den ältesten Schreibarten nicht, auch die Abstammung scheinet ihn nicht nothwendig zu machen; sondern er ist eine Eigenheit der spätern Oberdeutschen Mundarten, welche auch Getraide, haiter, Waise u. s. f. schreiben und sprechen. Die Hochdeutschen haben diesen unangenehmen Doppellaut in den meisten Fällen mit dem ih- nen angemessenern ei vertauscht; allein in diesem Worte scheinen sie ihn wirklich zum Unterschiede von weise, sapiens, bey behalten zu haben. [1351-1352]
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