Das Volk
, [
1223-1224] des -es, plur. die Völker,
Diminut. welches doch nur in einigen Bedeutungen gebraucht wird, das Völkchen,
Oberd. Völklein; ein Wort, welches überhaupt eine unbestimmte Menge oder
Vielheit, besonders lebendiger Geschöpfe, bedeutet, und dabey auf gedoppelte
Art gebraucht wird. 1. Als ein Collectivum und am häufigsten ohne Plural, eine
Menge, oder auch nur mehrere beysammen befindliche lebendige Geschöpfe zu
bezeichnen. (1) Im weitesten Verstande, so daß dieses Wort auch von vielen bey
einander befindlichen Thieren gebraucht wird. Bey den Jägern ist ein Volk
Repphühnern, nicht allein bey einander befindlicher Haufe, sondern auch eine
Brut, die Alten mit ihren Jungen. Es scheinet nicht, daß es hier im Plural
gebraucht wird; wenn solches aber wäre, so würde es zur zweyten Hauptbedeutung
gehören. Außer dem wird es in diesem Verstande von Thieren nicht gebraucht,
außer zuweilen in der zweyten Hauptbedeutung, doch alsdann nur figürlich. (2)
Im engern Verstande, von mehrern bey einander befindlichen Menschen, doch auch
hier wiederum in verschiedenen Verhältnissen und Beziehungen. a. Eine Familie,
zu Einem Geschlechte gehörige Personen wurden ehedem häufig als Volk genannt.
Zu seinem Volke versammelt werden, in der Deutschen Bibel, zu den Seinigen, zu
seinen Angehörigen, d. i. sterben. In einigen Niedersächsischen Gegenden ist
diese Bedeutung noch gangbar: unser Volk, d. i. unsere Angehörigen. Im
Hochdeutschen ist es veraltet, außer daß man noch zuweilen im Scherze die bey
einander befindlichen Seinigen im Diminut. ein Völkchen zu nennen pflegt. Nun
will ich mein Völkchen ins Feld treiben, Weiße; d. i. meine Leute. b. Das
Gesinde; nur noch im gemeinen Leben, und den niedrigen Sprecharten. Volksbrot,
Gesindebrot, Volkskost, Gesindekost. c. Soldaten, die Armee; in welcher
Bedeutung es doch nur noch in den niedrigen Sprecharten üblich ist. Unter das
Volk gehen, unter die Soldaten. Unter dem Volke seyn, unter den Soldaten. Das
Volk kommt, die Armee, die Truppen. Viele Neuere gebrauchen es, besonders im
Oberdeutschen, auch in der edlern Schreibart im Plural für das Französische
Truppen. Die Preußischen Völker, Truppen. Allein, dieser Gebrauch ist wider die
Natur dieses Wortes, welches im Plural nur von mehreren verbundenen Ganzen
gewisser Art gebraucht werden kann. Der Singular Volk wäre richtiger, wenn er
nur nicht so niedrig wäre. d. Eine jede an Einem Orte beysammen befindliche
Menge Menschen. Des Volks ist zu viel, Richt. 7, 2. Eine Stadt voll Volks, Es.
22, 2. Viel Volk folgte Christo nach, Matth. 8, 1. Man gebraucht es theils nur
noch in den niedrigen Sprecharten. Es war viel Volk in der Kirche, in der
Komödie, auf dem Markte; theils von einer Sammlung geringerer Personen. Es
dränget sich viel Volk herzu. Das Volk abhalten. Theils endlich auch
verächtlich.
Dich wird in Zukunft ein Volk, ein Volk der Schmeichler
belagern, Die Pest der großen und glücklichen Welt, Gell.
e. Die untern Classen der Glieder einer Nation oder eines
Volkes in der folgenden zweyten Hauptbedeutung, welche sich von der Handarbeit
nähren; wo es auch hier nur im gemeinen Leben und mit einem anklebenden
verächtlichen Nebenverstande gebraucht wurde. Das Volk, das gemeine Volk, der
große Haufe, gemeine Leute, die untersten Classen im Staate. Außer dem
Oberherren ist in einem Staate alles Volk, im weitesten Verstande. Da es denn
in noch härterer Bedeutung oft von mehrern geringen Personen gebraucht wird. Es
ist liederliches Volk, es sind liederliche Leute. Einige neue Schriftsteller
haben dieses Wort in der Bedeutung des größten, oder untersten Theiles einer
Nation oder bürgerlichen Gesellschaft wieder zu adeln gesucht, und es ist zu
wünschen, daß solche allgemeinen Beyfall finde, indem es an einem Worte fehlet,
den größten, aber unverdienter Weise verächtlichsten Theil des Staates mit
einem edlen und unverfänglichen Worte zu bezeichnen. Romane für das Volk,
Volks-Romanen, Volkslieder. 2. Ein aus mehrern Menschen bestehendes Ganzes,
doch nur im engern Verstande, eine Menge Menschen, welche einen
gemeinschaftlichen Stammvater erkennen, und durch eine gemeinschaftliche
Sprache verbunden sind, im welchem Verstande es denn auch von mehrern Ganzen
dieser Art den Plural leidet. Das jüdische Volk. Alle Völker auf Erden, 1 Mos.
18, 18. Ein Volk wird sich empören über das andere, Matth. 21, 9. Die Menschen
womit Deukalion und Pyrrha das alte Gräcien bevölkerten, waren anfänglich ein
sehr rohes Völkchen, Wiel. Man kann es in dieser Bedeutung zwar nicht für
veraltet ausgeben, indessen ist es doch in dem gewöhnlichen Sprachgebrauche
seltener geworden, seitdem das ausländischen Nation in dieser Bedeutung
eingeführet worden. Beyde Wörter bezeichnen zunächst die Einwohner eines
Landes, so fern sie einerley Sprache haben, und daher als von einerley Stamme
entsprossen angesehen werden. Das Römische Volk. Zuweilen druckt Volk auch die
politische Verbindung aus, und bezeichnet eine Menge Menschen, welche unter
einerley Oberhaupte stehen, wenn sie gleich von verschiedenen Stämmen und
Sprachen sind. Indessen wird das Wort Volk am häufigsten von alten Völkern,
ingleichen von neuern nur ganz allgemein gebraucht. Die Römer, die Longobarden
waren ein tapferes, die alten Griechen ein witziges Volk. Von neuern, besonders
in näherer Bezeichnung, ist theils Nation, theils Völkerschaft übli-
[
1225-1226] cher, vermuthlich um des dem Worte Volk in den
meisten Fällen anklebenden verächtlichen Nebenbegriffen Willen. Die
Französische Nation, die Franzosen, nicht das Französische Volk, allenfalls die
Französischen Völkerschaft. Anm. Schon im Isidor Folc, bey dem Ottfried, Notker
u. s. f. Folck, im Nieders. gleichfalls Volk; im Angels. Folc, im Schwed., wo
es auch das menschliche Geschlechte bedeutet, Folk, im Engl. Folk. Im Dänischen
ist mit versetzten l Flock, ein Hanfe, Trupp, und flokke sig, sich schaaren, im
Haufen versammeln. Das Lat. vulgus und das Tartarische Pulk, ein Hause, sind
mit dem Deutschen nahe verwandt. Die meisten Sprachforscher haben schon
erkannt, daß dieses Wort von folgen abgeleitet werden müsse, ob sie gleich den
eigentlichen Sinn beyder nicht erschöpfet haben. Dem ersten Ansehen nach könnte
Volk einen Haufen bedeuten, der einem andern folgt, sogleich demselben
unterworfen ist, und darauf würde sich auch der verächtliche Nebenbegriff
erklären lassen, der diesem Worte, so wie dem Worte Leute, in den meisten
Fällen anklebt. Allein, folgen selbst ist nur eine Figur einer ältern Bedeutung
der Menge, welche denn auch in dem Hauptworte Volk die herrschende ist. Siehe
auch das nahe verwandte Wolke, eine dunkle, dicke Menge einzelner Dinge.
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1225-1226]