Verziehen
, [
1187-1188] verb. irreg. (
S. Ziehen,) welches in doppelter Gestalt üblich ist. I.
Als ein Activum, wo es nach Maßgebung so wohl der Partikel, als auch des
Zeitwortes in verschiedenen Bedeutungen üblich ist. 1. Falsch ziehen, einen
falschen Zug thun, als ein Reciprocum, besonders in gewissen Spielen. So
verziehet man sich in dem Schachspiele, wenn man einen falschen Zug thut. 2.
Ein Kind verziehen, es fehlerhaft erziehen, doch nur, in engerer Bedeutung, aus
unzeitiger Nachsicht dessen Eigensinn überhand nehmen lassen, wodurch es sich
von verzärteln unterscheidet. Ein verzogenes Kind. 3. Aus des gehörigen Lage
ziehen, dessen höherer Grad durch das Intensivum verzerren ausgedruckt wird.
Den Mund, das Gesicht, die Mienen verziehen. Ein schöner Mund, der sich ein
wenig spöttlich verziehet, ist nicht selten um so viel schöner; aber die
Verziehung muß nicht bis zur Grimasse gehen; Less.
Mit stetem gewungenen Lächeln Und verzognem wird jede Sylbe
begleitet, Zach.
Die Gicht hat ihm alle Glieder verzogen. Ein Bret verziehet
sich, wird von der Sonne verzogen, wenn es sich aus seiner Lage, aus seiner
Gestalt ziehet, sich verwirft. 4. Wegziehen, in die Ferne ziehen; als ein
Reciprocum, doch nur mit einigen Hauptwörtern. So sagt man von den Wolken, sie
haben sich verzogen. Das Gewitter hat sich wieder verzogen. Ingleichen von
einer Geschwulst. Die Geschwulst verziehet sich, auch wenn sie nach und nach
völlig aufhöret, sich zertheilet. Die Schmerzen haben sich aus dem Rücken
verzogen, haben sich zertheilet, verloren. 5. Verziehen machen, in der
Bedeutung des folgenden Neutrius, die Gegenwart eines Dinges zurück halten,
aufhalten, in welcher Bedeutung verzögern das Intensivum ist. Verzeuch
(verziehe) nicht deinen Zorn, Jer. 15, 15. Verzeuch nicht die Gabe dem
Dürftigen, Sir. 4, 3. Der Herr verzeucht nicht die Verheißung, 2 Peter 3, 9.
Wenn ich nach verzognen (aufgeschobnen) Strafen Seine Langmuth
frech verwerfe, Michael der Dichter.
Indessen kommt diese Bedeutung im Hochdeutschen am seltensten
vor. II. Als ein Neutrum mit dem Hülfsworte haben, noch an einem Orte
verharren, da man denselben verlassen wollte oder sollte; da es denn in der
edlen Schreibart für die gemeinen warten, bleiben, sich aufhalten u. s. f. am
üblichsten ist. Verziehen sie noch ein wenig, warten sie noch ein wenig,
bleiben sie noch ein wenig da. Ich kann unmöglich länger verziehen. Warum
verzogst du hier? Hätte ich noch ein wenig verzogen, so hätte ich ihn
angetroffen. Im Hochdeutschen ist es absolute, ohne Infinitiv am üblichsten.
Die Intensiva davon sind zögern und zaudern, ungebührlich verziehen. In
weiterer Bedeutung sagt man auch im Reciproco, die Sache verziehet sich, wenn
sie langwierig wird. Ingleichen im gemeinen Leben unpersönlich. Es kann sich
noch lange damit verziehen, es hat sich lange mit der Sache verzogen, welche
Formen aber der edlern Schreibart fremd sind. Daher das Verziehen, fast in
allen Bedeutungen; die Verziehung ist nur in der dritten thätigen, der Verzug
aber nur in der neutralen üblich,
S. das letzte an seinem Orte. In der Bedeutung des
Neutrums scheint ver intensive, ziehen aber figürlich zu stehen.
[
1189-1190]