Verwirren
, [
1181-1182] verb. reg. et irreg. act. ich
verwirre, du verwirrest u. s. f. Imperf. ich verwirrte, im Hochdeutschen nicht
leicht verworr; Mittelw. verworren, seltener verwirrt. Es ist von dem im
Hochdeutschen veralteten Zeitworte wirren, und ver, welches hier eine
Verbindung unter einander bedeutet, so daß verwirren wegen des Zeitwortes
wirren mehr sagt, als verwickeln. 1. Eigentlich so unter und in einander
schlingen, daß man weder Anfang noch Ende erkennen, noch die einzelnen Theile
hinlänglich von einander unterscheiden kann. Den Zwirn verwirren. Die Haare
sind so verworren oder verwirrt. Verworrene, verwirrte Faden. 2. In weiterer
und figürlicher Bedeutung. (1) In einen hohen Grad der Unordnung bringen, so
daß alles in und unter einander gemenget ist. Den Staat verwirren, die Ordnung
in demselben im höchsten Grade stören. Am häufigsten im Mittelworte. Es liegt
alles verworren unter einander. Daher ist im Niederdeutschen Wirrwarr,
Verwirrung, Unordnung. Eine Sache, einen Prozeß verwirren, die Theile derselben
so unter einander mengen, daß man sie nicht deutlich unterscheiden kann. Es
ging sehr verwirrt zu, sehr unordentlich. Ein verworrener oder verwirrter
Handel. Ein verworrener Prozeß. Eine verwirrte Geschichte. Dahin gehöret auch
die Sprachenverwirrung der Deutschen Bibel. Lasset uns ihre Sprache verwirren,
daß keiner des andern Sprache vernehme, 1 Mos. 11, 7. (2) Sich in oder mit
etwas verwirren, so Theil an etwas nehmen, daß man nicht so leicht wieder
zurück gehen kann. Damit mag ich mich nicht verwirren, ich mag mich nicht damit
einlassen. Laß dich damit unverwirret. (3) Uneinig, uneins machen; eine im
Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Der Gottlose verwirret gute Freunde, Sir.
28, 11. Böse Mäuler verwirren viel, die gu- ten Frieden haben, V. 15. (4)
Beschämen, so daß der Beschämte nicht weiß, was er sagen soll, schon bey dem
Ottfried wirren; jetzt nur noch zuweilen im gemeinen Leben. (5) Jemanden
verwirrt, ihn verwirrt, (nicht verworren) machen; ihn ohne hinlängliche
Überzeugung von der wahren Meinung zweifelhaft machen. Verwirret die Gewissen
nicht. (6) Mit noch näherer Beziehung auf die Vorstellung oder Erkenntniß, ist
verwirrt, oder noch häufiger verworren, unter einander gemengt, so daß man die
einzelnen Theile auf Ein Mahl wahrnimmt oder empfindet, und darin gegründet; da
denn die Verwirrung dieser Art wieder ihre verschiedene Grade hat. Eine
Geschichte sehr verworren erzählen. Verworren reden. Eine verworrene
Vorstellung, wo die einfachen Ideen, aus welchen sie bestehet, unter einander
gemengt sind, wo man die Merkmahle nicht gehörig unterscheidet.
Mein Auge rollt verwirrt, und sieht ihn schüchtern an, Schleg.
Ein verworrener oder verwirrter Kopf, welcher die deutliche
und undeutliche Erkenntniß auf eine nachtheilige Art mit einander vermengt, und
solches durch sein Betragen äußert. Eine verworrene Schreibart. Verwirrt, oder
im Kopfe verwirrt, oder verworren seyn, verrückt seyn, seinen gesunden Verstand
verloren haben, der höchste Grad der Verwirrung der Ideen. So auch die
Verwirrung, besonders von dem Zustande, da etwas verwirrt ist, in allen
Bedeutungen des Zeitwortes, auch im figürlichen Verstande, nachtheilige
Verwirrung der Begriffe, der deutlichen und undeutlichen Erkenntniß,
Abwesenheit der völligen Deutlichkeit, wo man von der irregulären Form
verworren auch das Hauptwort die Verworrenheit hat. Anm. Schon bey dem Notker
firwirren. Was die Conjugation dieses Wortes betrifft, so gehet es im
Hochdeutschen völlig regulär, bis auf das Mittelwort, welches öfter verworren
als verwirrt lautet, obgleich dieses nicht selten ist. Gottsched behauptet in
seinen Beobachtungen über den Gebrauch und Mißbrauch deutscher Wörter,
verwirren gehe regulär, wenn es ein Activum ist, irregulär aber, wenn es als
ein Neutrum gebraucht werde. Allein, es findet sich hier nur die kleine
Schwierigkeit, daß wir kein Neutrum verwirren haben, sondern Statt dessen das
Reciprocum sich verwirren gebrauchen müssen. Die von ihm daselbst angeführten
und zum Neutro gerechneten Beyspiele, das Ding ist ganz verworren, ein
verworrener Handel, sind augenscheinlich Mittelwörter der vergangenen Zeit oder
der passiven Gattung; wohin auch, nach einer bey diesen Mittelwörtern sehr
gewöhnlichen Figur, der verworrene Kopf gehöret.
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1181-1182]