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Adelung - Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart

2. Die Thräne | | Thränen

3. Die Thräne

, [585-586] plur. die -n, Diminut. das Thränchen, Oberd. Thränlein, ein rinnender Tropfen. Das tropfenweise aus den Fichten und Kienbäumen rinnende Harz heißt bey dem Stumpf Thranpech, Thränpech. Die Tropfen, welche aus den beschnittenen Reben des Weinstockes im Frühlinge rinnen, sind im Weinbaue unter dem Nahmen der Thränen und Rebthränen bekannt. Im Niederdeutschen wird es in noch mehrern Fällen für Tropfen gebraucht. In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung, die aus den Augen in Tropfen rinnende wässerige Feuchtigkeit. Wenn man das Auge drücket, so gehen Thränen heraus, Sir. 22, 23. Auch der Rauch verursachet Thränen. Thränen der Freude oder Freudenthränen. Besonders, so fern sie ein Merkmahl des Schmerzens, des Grames, der Wehmuth sind. Thränen ver- gießen, weinen. In Thränen zerfließen, sehr heftig weinen. Bittere Thränen weinen, in einem hohen Grade des Schmerzens, des Kummers. Jetzt weinte er Thränen, die nicht bitterer seyn konnten. Etwas mit Thränen sehen, hören, lesen. Die Thränen schossen ihm in die Augen. Er konnte die Thränen nicht halten, oder zurück halten. In Thränen und laute Klagen ausbrechen.
Und ganzen Scharen Lockt er die Thränen ins Gesicht, Gell. Mein Freund ist fort! Und meine Thräne fließt umsonst, Weiße.
Wo es collective anstatt des Plurals steht. Etliche Thränchen aus ein Paar so schönen Augen können bald die Flammen eines erzürnten Ehemannes auslöschen, Weiße. Dein Staat hat mich manches Thränchen gekostet, eben ders. Die biblischen Wortfügungen, die Augen rinnen mir Thränchen, Jer. 9, 18. die Augen fließen mit Thränen, Kap. 13, 17, sind sehr harte Figuren, ob sie gleich von unsern neuern Dichtern häufig nachgeahmet worden. Anm. Bey dem Notker Trane, bey andern Oberdeutschen Schriftstellern im Plural Trehen, Treher, in Liefland Trahn, im Plural Trane. Frisch sahe es sehr gezwungen als ein aus dem gleich bedeutenden Zähre, Nieders. Täre, durch die Versetzung der Buchstaben gebildetes Wort an. Wachter hingegen leitete es von dem Griech. hier nichtlateinischer Text, siehe Image, weinen, wehklagen, ab, und wollte daher dieses Wort bloß auf Thränen des Schmerzens eingeschränket, von andern Arten aber Zähre gebraucht wissen. So sehr diese Einschränkung wider allen Sprachgebrauch streitet, so unrichtig ist auch die Ableitung, worauf sie beruhet. Von zwey Mitlautern zu Anfange eines Wortes ist der erste allemahl ein Präfixum. Nimmt man das t von diesem Worte weg, welches hier vielleicht eine Intension oder andern ähnlichen Umstand bedeutet, so bleibt Rän, Räne übrig, welches unstreitig zu unsern Intensivo rinnen gehöret; zumahl, da Thräne in mehrern Fällen von einem jeden rinnenden Tropfen gebraucht wird. Das Griech. hier nichtlateinischer Text, siehe Image, ist, wenn der Begriff des Weinens in demselben herrschet, ein Seitenverwandter von dem unsrigen, nicht aber der Stamm; wenn es aber ursprünglich winseln, wehklagen bedeutet hat, so kann es zu dem Niederdeutschen drönen gerechnet werden. ( S. 2 Thräne.) Übrigens sind Thräne, triefen, Tropfen u. s. f. nur im Endlaute verschieden. In einigen Oberdeutschen Gegenden ist dieses Wort männlichen Geschlechtes:
Kein Thrän ist, der umsonst von Mannes Augen fällt, Opitz.
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