Schießen
, [
1449-1450] verb. irreg. ich schieße, du
schießest, (in einigen Oberdeutschen Gegenden scheußest,) er schießt, (Oberd.
scheußt;) Imperf. ich schoß; Mittelw. geschossen; Imperat. schieße oder schieß,
(Oberd. scheuß.) Es ist in einer doppelten Gestalt üblich. I. Als ein Neutrum,
mit dem Hülfsworte seyn, wo es der Form nach das Intensivum von schehen,
schiehen, scheuen, ist, sich auf das schnellste fortbewegen; es wird von einer
solchen Bewegung nach allen Richtungen gebraucht, und ist eine unmittelbare
Nachahmung des damit verbundenen Lautes, welchen man auch noch jetzt durch den
Zischlaut auszudrucken pflegt. 1. Eigentlich, schnell dahin, daher fahren, so
wohl von lebendigen als leblosen Dingen. Ein Bach schießet dahin von den
Leuten, Hiob. 25, 4. Die Schlange schoß nach dem Weibe im Wasser, Offenb. 2,
15, 16. Die Stoßvögel schießen von der Höhe herab auf ihren Raub. Sehr häufig
sagt man in der vertraulichen Sprechart, es sey jemand vor uns vorbey
geschossen, er komme geschossen, für gerannt. Die Erde schießt von einem Berge,
ein Stein von dem Dache, wenn sie plötzlich herunter fallen. Das Blut schießt
aus der Wunde, wenn es mit Ungestüm und haufenweise heraus quillt. Endlich
schossen ihr die Thränen in die Augen. Seine Augen überall herum schießen
lassen, schnell und ungestüm herum fahren. Das Blättchen schoß mir, (
S. Blatt.) Es schießt uns etwas aus der Hand, wenn es
uns durch seine eigene Schwere plötzlich entfällt. 2. Figürlich, wo der Begriff
des Ungestümes und der schnellen Eile sich verlieret oder doch sehr vermindert
wird. 1) Ein Seil schießen lassen, es fahren lassen. Den Leithund schießen
lassen, bey den Jägern, ihm mehr Hängeseil geben, das Hängeseil nachlassen.
Einem Pferde den Zügel schießen lassen. 2) Für aufwachsen. Eine Pflanze
schießet in den Samen, wenn sie Blüthe und Samen ansetzet. In die Höhe
schießen, schnell in die Höhe wachsen. Besonders in den Zusammensetzungen
aufschießen, anschießen, von Krystallen gebraucht, erschießen, in der
Oberdeutschen Figur des Ergebens, Nützens, und in den Ableitungen schossen,
Schößling, Schuß. Im Oberdeutschen ist Schießling ein junger aufgeschossener
Mensch,
S. Schößling. II. Als ein Activum, oder vielmehr
Factitivum, schießen machen, einem Dinge eine schießende, d. i. fast unmerklich
schnelle Bewegung mittheilen. 1. Eigentlich, wo es mehr als werfen, stoßen u.
s. f. sagt, und eine solche schnelle Bewegung voraussetzt, deren einzelne
Theile den Augen kaum merklich sind. Die Sonne schießt ihre Strahlen. Jupiter
schießt seine Blitze aus den Wolken. Einen zornigen Blick auf jemanden
schießen. Schüs wilder blicke nicht zevil, die Winsbeckinn. Ha! welche
Flammenströme schoß die Hyder nach seinem Leben! Raml. Saul schoß den Spieß
nach dem David, 1 Sam. 20, 33.
Den Dolch in seiner Hand, schoß er mit blinder Wuth Bey mir
vorbey, Weiße.
Dahin scheinet auch die schießende Falle der Schlösser zu
gehören, welche ein rechtwinkelig gebogenes Eisen in den Schlössern ist, an
dessen hinteres Ende die Schloßfeder anschießet. 2. In engerer Bedeutung,
vermittelst eines Schießgewehres, es sey von welcher Art es wolle,
fortschnellen, wo es wieder unter verschiedenen Einschränkungen gebraucht wird.
1) Von der Person, welche sich eines solchen Geschosses bedienet. Mit einer
Flinte, mit einer Büchse, mit einer Pistole, mit einer Kanone, mit einer
Armbrust schießen. Mit Kugeln, mit Schrot schießen. Mit Pfeilen, mit Bolzen
nach dem Ziele schießen. Nach jemanden schießen. Nach einem Vogel, nach der
Scheibe schießen. Jemanden schießen, ihn mit einem solchen Schusse treffen,
wenn er gleich nicht tot geschossen ist. Aber einen Vogel, einen Hasen, einen
Hirsch schießen, ist so viel als ihn durch Schießen erlegen. Die Jäger
gebrauchen das Zeitwort schießen nur, wenn sie sich der Flinte oder der Pistole
bedienen; von einer Kugelbüchse ist bey ihnen bürschen üblich, (
S. dasselbe.) Scharf schießen, mit einer Kugel, mit
Schrot u. s. f. im Gegensatze des blind schießen, wenn das Gewehr nur allein
mit Pulver geladen ist. Jemanden über den Haufen schießen, ihn vor den Kopf
schießen, in den Arm, in den Leib schießen. Fehl schießen. Aus einer Flinte,
aus Kanonen schießen. Von einem possierlichen Menschen, ingleichen von einem
der aus Mangel des Verstandes Thorheiten begehet, sagt man in der vertraulichen
Sprechart, er sey geschossen, oder habe einen Schuß, wo es für angeschossen zu
stehen scheinet. In engerer Bedeutung ist im Bergbaue schießen, mit
Schießpulver sprengen, welches man außer dem Bergbaue nur sprengen nennet. Erze
und Berge herein schießen, das Gestein durch Sprengen mit Pulver gewältigen. 2)
Von einem Schießgewehre. Ein Gewehr schießt gut, wenn es ohne Fehler ist. Eine
Kanone schießt 20 Pfund, wenn [
1451-1452] eine Kugel von
20 Pfund aus derselben geschossen wird.
S. auch Schuß. 3. Figürlich verlieret sich auch hier der
Begriff der großen Geschwindigkeit, so daß schießen oft nur für werfen stehet.
In manchen Gegenden schießt man einen Graben, aber man schießt ihn aus, wenn
man ihn gräbt, ihn durch Auswerfung der Erde verfertiget. In Niederdeutschland
werden die Steine geschossen, wenn einer sie dem andern zuwirft. Brot in den
Ofen schießen, bey den Bäckern, welches eine mit Werfen verbundene Art des
Schiebens ist. Ausschießen wird häufig, für auswerfen gebraucht; so auch durch
schießen. In manchen Fällen verliert sich auch der mit dem Werfen verbundene
Begriff der Heftigkeit, und da bedeutet schießen nach einer nicht
ungewöhnlichen Vergrößerung nichts mehr, als legen, ordnen u. s. f. Geld
zusammen schießen, zusammen legen (
S. auch Schoß.) Daher die Zusammensetzungen,
vorschießen, herschießen, überschießen, zuschießen, Vorschuß, Zuschuß,
Überschuß. Bey den Schneidern ist anschießen so viel als ansetzen. So auch das
Schießen, welches auch von einer feyerlichen Versammlung gebraucht wird, wo man
zur Übung oder zum Vergnügen schießet. Ein Schießen halten. So auch das
Scheibenschießen, Vogelschießen, Gesellenschießen u. s. f. Siehe auch Schuß,
welches in einigen Fällen gleichfalls von der Handlung des Schießens gebraucht
wird, auch in der ersten neutralen Gattung. Anm. Dieses Zeitwort lautet schon
bey den Notker sciezzen, und im Imperf. scoz, scuzzin. Es ist das Intensivum
von scheuen, sausen und andern ähnlichen, so fern sie sich insgesammt auf eine
Onomatopöie gründen. Das veraltete scheußen, (siehe Scheußlich,) das niedrige
scheißen, unser schossen, das in den gemeinen Sprecharten übliche schußeln,
unvorsichtig und flüchtig hin und her laufen, ein Schuß, eine flüchtige und
vorsichtige Person, das Franz. chasser, das Ital. schizzare, spritzen, Nieders.
scheuten, das mittlere Lat. Gussa, Guza, Guzia, eine alte Art eines
kriegerischen Werkzeuges, (
S. 3 Katze,) u. a. m. sind genau damit verwandt. Die
Niederdeutsche Mundart und die mit ihr verwandten Sprachen haben statt des
Zischlautes ihr gewöhnliches t, wie das Nieders. scheten, das Angels. sceotan,
scytan, das Engl. to shoot, das Schwed. skjuta, das Holländ. schieten, das
Lettische szauti, das Wallisische saelhu, wohin auch das alte Franz. jouster,
das heutige Franz. jetter, und das Ital. jettare, werfen, vielleicht auch das
Lat. Sagitta, gehören. Es ist dieses Zeitwort eines von den vielen, welche in
ihren Formen durch alle Selbstlaute durchgehen; chasser, scheußlich, scheißen,
Nieders. scheten, Mittelw. schaten, schießen, schoß, schossen, Schuß, Schütze
u. s. f. Die irreguläre Form unsers heutigen Zeitwortes rühret auch von nichts
anders her, als weil einige Zeiten von dem in dieser weitesten Bedeutung
veralteten schossen entlehnet sind, wozu in dem in einigen Oberdeutschen
Gegenden üblichen scheußest, scheußt, noch das veraltete scheußen kommt,
welches in manchen raubern Provinzen noch wirklich gangbar ist, (
S. Scheußlich.) Opitz und einige andere Oberdeutsche
Dichter haben dieses scheußt auch zuweilen in Gedichten gebraucht, bloß weil es
den Mund mehr füllet, und daher von ihnen für erhabener gehalten wurde.
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1451-1452]