Die Scheu
, [
1429-1430] plur. car. welches in
doppelter Gestalt gebraucht wird. 1. Als ein Abstractum. 1) Eigentlich, die
schnelle Entfernung von einem Gegenstande aus verworrener Vorstellung eines
Übels, auch mehr und häufiger aber die Gewohnheit, Neigung und Fer- tigkeit
einen Gegenstand aus verworrener Vorstellung eines Übels zu fliehen. Dem Pferde
die Scheu benehmen. Besonders in den Zusammensetzungen die Wasserscheu,
Menschenscheu, Leutescheu. 2) In weiterer und zum Theil figürlicher Bedeutung
ist die Scheu, (a) eine jede Entfernung von einem als ein Übel erkannten
Gegenstande. Die zärtliche Gemächlichkeit des Gemüthes ist allemahl mit einer
Scheu und Flucht aller unangenehmen Empfindungen verknüpft. (b) * Ein hoher
Grad des sinnlichen, d. i. auf dunkele Begriffe gegründeten Widerwillens gegen
gewisse Gegenstände; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung für Ekel und
Abscheu, in welcher es doch noch in einigen Oberdeutschen Gegenden üblich ist.
Eine Scheu gegen etwas tragen. (c) * Furcht überhaupt; eine im Hochdeutschen
ungewöhnlich gewordene Bedeutung. Ohne Scheu unter seinem Weinstocke wohnen,
Micha 4, 4, ohne Furcht. (d) Abneigung, in jemandes Gegenwart oder mit dessen
Wissen etwas ihm Mißfälliges oder etwas Unanständiges zu begehen. Sie thun mir
Unrecht ohne Scheu, Ps. 27, 12. Scheu vor jemanden tragen. Keine Scheu
empfinden Gott zu beleidigen. Die Einwohner in Otaheiti begatten sich
öffentlich ohne Scheu. (e) In noch weiterer Bedeutung wurde es daher ehedem
auch für Ehrfurcht überhaupt gebraucht, welche Bedeutung aber im Hochdeutschen
veraltet ist, obgleich einige neuere Dichter dieselbe wieder zu erneuern
gesucht haben.
Wahr ists, ich hätt' es sonst vielleicht vor dir verstecket,
Die Scheu befahl mir dieß, Schleg. Und stund Mit ehrfurchtvoller Scheu, Uz.
2. * Als ein Concretum, ein Gegenstand des sinnlichen, d. i.
auf dunkle Begriffe gegründeten Widerwillens; eine im Hochdeutschen veraltete
Bedeutung, wofür jetzt Abscheu üblich ist. Alles was Floßfedern und Schuppen
hat, soll euch eine Scheu seyn, 3 Mos. 1, 10. Ich bin ein (eine) Scheu meiner
Verwandten, Ps. 31, 21.
Die Freunde, deren Scheu ich bin, Stehn alle gegen über,
Opitz.
Anm. Im Nieders. Schou, im Engl. Shy, im Schwed. Sky, (
S. Scheuen.) Im Oberdeutschen ist dieses Wort männlichen
Geschlechtes, der Scheu, welches auch einige Mahl in Luthers Deutscher Bibel
vorkommt. Das Volk hatte einen Scheu sich in das Wasser zu begeben, 1 Marc. 16,
6. In dem zusammen gesetzten Abscheu haben wir dieses männliche Geschlecht noch
behalten. [
1429-1430]