Scheiden
, [
1395-1396] verb. irreg. act. et neutr.
Imperf. ich schied; Mittelw. geschieden; Imper. scheide. Um die sämmtlichen,
dem Anscheine nach so sehr verschiedenen Bedeutungen dieses Wortes und seiner
Abkömmlinge begreiflich zu machen, muß man bis auf den ersten Ursprung zurück
gehen, da es, so wie alle Wörter, eine unmittelbare Nachahmung eines gewissen
Lautes ist, der aber mehrern ganz verschiedenen Handlungen zukommt. 1) Dem
Sprechen, Reden, Urtheilen u. s. f. von welcher veralteten Bedeutung noch sehr
viele Überreste vorhanden sind, wie aus unserm Bescheid, dem Zeitworte
bescheiden, entscheiden u. a. m. erhellet. Bey dem Notker heißt ein Traumdeuter
Troum sceidere, und die Traumbedeutung Troum sceith. 2) Des Laufens, des
Rennens; eine im Hochdeutschen gleichfalls veraltete Bedeutung, von welcher im
Schwed. noch Skede, und im Isländ. Skeith, den Lauf, die Reife, bedeutet.
Skeida war im Schwed. ehedem auf der Rennbahn laufen. Unser schießen, Nieders.
scheten, ist genau damit verwandt, und nur das Intensivum davon. 3) Des
Schneidens, Spaltens, Theilens, Zerbrechens u. s. f. in welcher es ehedem für
spalten gebraucht wurde, welche Bedeutung noch in unserm Scheit übrig ist. Das
Griech. -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , und Lat. scindo,
scidi, sind genau damit verwandt, so wie unser scheitern, welches das
Frequentativum oder Intensivum davon ist. Vermuthlich gehöret auch schaden
dahin. Von dieser letzten Bedeutung stammen zunächst die noch heutigen Arten
des Gebrauches dieses Zeitwortes ab. Es ist aber I. Ein Neutrum, welches das
Hülfswort seyn erfordert, sich auf lange oder doch geraume Zeit von jemanden
entfernen; eine Bedeutung, welche in dem gemeinen Sprachgebrauche zu veralten
anfängt, und von den Dichtern noch am häufigsten gebraucht wird. Der Engel
schied von ihr, Luc. 1, 38. Da er sie segnete, schied er von ihnen, Luc. 24,
51. Darnach schied Paulus von Athen, Apostelgesch. 18, 1. (
S. Abschied.) Aus diesem Leben scheiden, von hinnen
scheiden, zwey noch in der feyerlichen Schreibart für sterben übliche
Ausdrücke. (Siehe Abscheiden und Verscheiden.) Man kann diese Bedeutung füglich
als eine Figur der folgenden des Trennens, Absonderns, ansehen; allein sie kann
auch von der vorhin gedachten veralteten Bedeutung des Laufens abstammen, wovon
der Begriff der Entfernung gleichfalls eine Figur seyn kann. Noch ein anderer
neutraler Gebrauch, welcher Ein Mahl in Luthers Bibel vorkommt, ist jetzt im
Hochdeutschen ungewöhnlich: das Loos scheidet zwischen den Mächtigen, Sprichw.
18, 18; wo es für entscheiden zu stehen scheinet, und alsdann zu der oben
gedachten ersten Bedeutung gehören würde. II. Ein Activum, zwey Dinge oder die
Theile eines Dinges dem Raume nach von einander entfernen. Da dieses auf
verschiedene Art geschehen kann, so wird dieses Zeitwort auch in mehrern Fällen
gebraucht. 1. Durch gewaltsame Trennung des Zusammenhanges; eine jetzt
veraltete Bedeutung, in welcher es aber ehedem für schneiden, spalten u. s. f.
üblich gewesen seyn muß, welche Handlungen es durch Nachahmung des damit
verbundenen Schalles ausgedrucket hat. Das alte Lat. scido für scindo, wovon
noch das Perfect. scidi abstammet, das Griech. -
hier nichtlateinischer
Text, siehe Image - , und unser schaden selbst, sind genau damit verwandt.
Es scheinet auch, daß ehedem ein Intensivum scheiten gangbar gewesen seyn muß,
wovon noch Scheit und das Frequentativum oder neue Intensivum scheitern übrig
sind. 2. In jetzt gewöhnlicherm Verstande scheidet man jetzt: 1) Was einem
andern Dinge örtlich oder räumlich nahe ist. (a) Durch örtliche Entfernung.
Dahin gehöret besonders das Reciprocum sich scheiden, wenn sich zwey Personen
auf geraume Zeit, oder in einem weiten Raume von einander entfernen; wo es
zunächst von dem vorigen Neutro abzustammen scheinet. Freunde scheiden sich,
wenn sie von einander reifen. Wir müssen uns scheiden. (
S. Abschied.) In einigen wenigen Fällen auch als ein
Activum, wohin auch der figürliche Gebrauch gehöret; eure Untugenden scheiden
euch und euern Gott von einander, Es. 59, 2. (b) Durch Setzung einer Gränze,
Bestimmung der Schranken; nur noch zuweilen. Wie der Herr Israel und Egypten
scheide, 2 Mos. 11, 7. Hier scheidet sich das Land, hier hat es seine Gränzen.
Die Alpen scheiden Italien von Deutschland. Lichter an der Feste des Himmels,
die da scheiden Tag und Nacht, 1 Mos. 1, 14. Die Wand scheidet ein Zimmer von
dem andern. 2) Was mit einem andern Dinge verbunden ist; wo es doch nur im
figürlichen Verstande gebraucht wird. Was Gott zusammen fügt, soll der Mensch
nicht scheiden, Matth. 19, 8. Der Tod muß mich und dich scheiden, Ruth. 1, 17.
Da nun Loth sich von Abraham geschieden hatte, 1 Mos. 13, 14; wo zugleich die
örtliche Entfernung mir eintritt. Zwey Eheleute von einander scheiden, die
eheliche Verbindung zwischen ihnen aufheben. Ein Ehepaar von Tisch und Bett
scheiden. Daher die Ehescheidung. Zwey Kauffleute scheiden sich, wenn sie
vorher gemeinschaftlich gehandelt haben, und diese Verbindung aufheben. Wir
sind geschieden Leute. Wenn sich Leib und Seele scheidet.
[
1397-1398] 3) Was nur eine und eben dieselbe Masse
ausmacht. (a) Durch bloße Trennung des Zusammenhanges; nur noch in einigen
Fällen für trennen. Die dicken Wolken scheiden sich, daß es helle werde, Hiob
37, 11. Die Milch scheidet sich, sagt man in vielen Gegenden, wenn sie
gerinnet, wofür man in andern das Intensivum sich schütten gebraucht. (b) Durch
Trennung des Zusammenhanges uns Absonderung der fremdartigen Theile; in welchem
Verstande es am häufigsten gebraucht wird, da man denn das scheidet, was
vermischt war, welches wieder auf mancherley Art geschehen kann. Gott scheidete
(schied) das Licht von der Finsterniß, 1 Mos. 1, 4, 18. In dem Bergbaue wird
das Erz geschieden, wenn das gute Erz mit dem Hammer von dem tauben Gesteine
oder geringhaltigen Erze abgeschlagen wird. Das Gold von dem Silber, das Bley
von dem Kupfer scheiden, so wohl durch Schmelzung, als auch durch Scheidewasser
oder andere Auflösungsmittel. (Siehe Scheidekunst.) (c) Durch Theilung in
mehrere Theile; eine veraltete Bedeutung. Du sollst die Gränze deines Landes in
drey Kreise scheiden, 5 Mos. 19, 3. Doch sagt man noch, hier scheidet sich der
Weg; wo aber zugleich der Begriff der räumlichen Entfernung mit eintritt.
S. Scheideweg und Wegescheide. 4) Was vorher nur einen
und eben denselben Haufen, eine und eben dieselbe Menge ausmachte, von
fremdartigen, mit einander vermischten Dingen. Die Schafe von den Böcken
scheiden, Matth. 25, 32. Das Gute von dem Bösen scheiden. 5) * Was verworren
war; eine im Hochdeutschen gleichfalls veraltete Bedeutung, in welcher man im
Niedersächsischen noch im figürlichen Verstande sagt, einen Streit scheiden,
für entscheiden. Das Recht soll uns scheiden.
S. Schiedsrichter. So auch die Scheidung in den thätigen
Bedeutungen, dagegen das Hauptwort von dem Neutro und Reciproco das Scheiden
heißt. Anm. 1. Luther gebraucht dieses Zeitwort einige Mahl regulär. Da
scheidete Gott das Licht von der Finsterniß, 1 Mos. 1, 4. Also scheidete sich
ein Bruder von dem andern, Kap. 13, 11. Da scheidete Jacob die Lämmer, Kap. 30,
4. Stosch leitet daraus die Regel her, daß dieses Zeitwort, wenn es im
eigentlichen Verstande von körperlichen Dingen gebraucht wird, regulär, im
figürlichen Verstande aber irregulär abgewandelt werde. Allein diese Regel ist
so wohl wider die Analogie, als auch wider den Gebrauch. Luther selbst
beobachtet sie nicht. Da nun Loth sich von Abraham geschieden hatte, 1 Mos. 13,
14; in welchem Verstande er doch V. 11, scheidete gebraucht hatte. Mit mehrerm
Rechte könnte man behaupten, daß das Activum regulär, das Neutrum aber
irregulär gehe, welches bey mehrern andern Zeitwörtern Statt findet. Indessen
ist doch der Gebrauch auch dawider, denn im Hochdeutschen wird dieses ganze
Zeitwort durchgängig irregulär abgewandelt. Anm. 2. Schon bey dem Kero kommt
keskeidan für unterscheiden vor. Unser einfaches scheiden lautet bey dem
Ulphilas skaidan, bey dem Ottfried skeiden und sciadan, von welcher letztern
jetzt veralteten Form so wohl unser schied, geschieden, als auch die
Abteilungen Abschied, Unterschied, Schiedsrichter u. s. f. übrig sind; im
Nieders. scheden und mit der dieser Mundart gewöhnlichen Ausstoßung des d
scheen, im Angels. scadan, sceaden. Im Lettischen ist skaitau ich lese aus,
wähle. [
1397-1398]