Die Scham
, [
1345-1346] plur. car. ein Wort, welches
in einer doppelten Hauptbedeutung üblich ist. 1. Der Zustand, da man sich
schämet. 1) Eigentlich, die mit Schamröthe verbundene Unlust, oder unangenehme
Empfindung über die Sichtbarkeit unserer Blöße, und in weiterm Verstande,
unserer Unvollkommenheit. Vor Scham roth werden. Scham empfinden. Vor Scham die
Augen nicht aufschlagen können. Sich in Scham verhüllen, in der dichterischen
Schreibart. 2) In weiterer Bedeutung. (a) Das Vermögen, die Fähigkeit, Unlust
über die Sichtbarkeit unserer Blöße, unserer Unvollkommenheit, zu empfinden. Wo
keine Scham ist, da ist keine Ehre. Weder Scham noch Schande haben. Aller Scham
den Kopf abgebissen haben, in der niedrigen Sprechart, die Fähigkeit sich zu
schämen verloren haben. (b) * Die Fertigkeit, alles zu vermeiden, was die Blöße
des Leibes zeigen, und in weiterer Bedeutung, Neigung zur Unkeuschheit
verrathen kann: eine jetzt veraltete Bedeutung, in welcher es ehedem sehr
häufig zur Zucht, Züchtigkeit, Schamhaftigkeit u. s. f. gebraucht wurde.
Scham ist eine Krone Die zieret frowen schone, Burkhard von
Hohenfels. Diu Scham alsam ein reines kint in schoner frowen schozen spilt;
Schame zieret reiniu wib und wirdet edelen man; Schame kan leiden of den ban,
Da nie schandentrit kam an; der Marner.
Die Schwäbischen Dichter sind voll von Lobsprüchen dieser
Scham, besonders bey dem weiblichen Geschlechte. Scham machet große Gunst, Sir.
32, 14. Die Weiber sollen sich mit Scham und Zucht schmücken, 1 Tim. 2, 9. 3) *
Figürlich, dasjenige, dessen man sich zu schämen hat, die Sichtbarkeit unserer
Blöße, und in weiterm Verstande, unserer willkührlichen Unvollkommenheiten;
eine gleichfalls veraltete Bedeutung, in welcher es ehedem für Schande und das
nahe verwandte Schimpf sehr üblich war. Ihre Scham war offenbar, Ezech. 23, 18.
Mit Scham bekleidet werden, Ps. 35, 26. Du weißest meine Schmach, Schande und
Scham, Ps. 69, 20. Mit Scham unten an sitzen, Luc. 14, 9. 2. Die Blöße des
Leibes. 1) Überhaupt, wo man es nur noch in der im gemeinen Leben üblichen R.
A. gebraucht, seine Scham nicht bedecken können, seine Blöße, halb nackend
gehen. 2) In engerer Bedeutung ist es eine ehrbare und anständige Benennung der
Geburtsglieder beyder Geschlechter, derjenigen Theile des Leibes, welche die
Schamhaftigkeit zu bedecken besichtet, deren Blöße vornehmlich Scham erwecket,
und welche man auch die Schamglieder, die Schamtheile zu nennen pfleget. In
diesem Ver- stande, in welchem es schon bey dem Winsbeck die Schame lautet, ist
es in der Deutschen Bibel und bey andern Schriftstellern sehr gangbar, für die
anständige Schreibart aber schon zu unedel. In engerer, besonders in der
Anatomie üblichen Bedeutung, ist die Scham, Latein. Pubes, die unterste Gegend
des untern Schmerbauches unmittelbar über den Geburtsgliedern. In einer gegen
das Ende des 15ten Jahrhundertes gedruckten Deutschen Bibel, welche Schelhorn
im 8ten Bande der kritischen Beyträge (S. 1. f. beschreibt,) kommen dafür die
Ausdrücke Schnödigkeit und Laster vor. Anm. In der ersten Hauptbedeutung schon
bey dem Kero Scamu, bey dem Notker Scama, im Nieders. Schaam, und mit einem
andern Endlaute Schämte, im Angels. Scame, im Engl. Shame, im Schwed. Skam. (
S. Schämen.) In der zweyten Hauptbedeutung wird es
gemeiniglich als eine Figur der ersten angesehen, und dadurch dasjenige
erkläret, dessen man sich zu schämen hat. Allein es ist wahrscheinlicher, daß
der Begriff der Blöße hier der herrschende ist, der wieder eine Figur des
Lichtes ist, daher es in dieser Bedeutung unmittelbar mit dem veralteten
Schämen oder Schemen, das Bild, der Schatten, Schein, und den Intensivis
Schimmel und Schimmer er zusammen hängt. Auch die Scham, als eine Empfindung
betrachtet, setzet im eigentlichsten Verstande die unanständige Blöße voraus.
Das Wort Blöße selbst wird in der edlen Sprechart zuweilen von denjenigen
Theilen gebraucht, welche der Wohlstand zu entblößen verbiethet. Siehe Schämen.
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1345-1346]