3. Der Rath
, [
949-950] des -es, plur. die Räthe, ein
Wort, welches ursprünglich von reden abstammet und die Rede bedeutet hat, so
wie in der Monseeischen Glosse Rath wirklich durch Sermo erkläret wird. Es ist
in dieser allgemeinen Bedeutung veraltet, indem es nur noch in einigen engern
und figürlichen Bedeutungen üblich ist. 1. Von verschiedenen Wirkungen des
Geistes, so fern sich dieselben durch die Rede äußern und an den Tag legen,
ohne doch die letztere ausdrücklich nothwendig zu machen. 1) Die Überlegung,
die Überdenkung der Gründe und Mittel einer künftigen Handlung, eigentlich, so
fern es vermittelst der Rede unter mehrern geschiehet, figürlich aber auch, so
fern es in der Stille durch bloßes Erwägen bey sich selbst geschiehet; die
Rathschlagung, Berathschlagung. Im Nieders. Raad. Es wird hier nur im Singular,
und ohne Artikel gebraucht. Mit jemanden zu Rathe gehen, eine Sache mit ihm
überlegen. Bey sich selbst oder mit sich selbst zu Rathe gehen, bey sich selbst
überlegen, ob eine Sache zu thun sey, oder wie zu thun sey. Rath halten, mit
andern überlegen; Rath schlagen, in eben diesem Verstande, (
S. Rathschlagen.) Jemanden zu Rath ziehen, zur
Überlegung, die Sache mit ihm überlegen. Alles mit Rath, nach gepflogener
Überlegung. Rats pflegen, überlegen; eine im Hochdeutschen größten Theils
veraltete Redensart. 2) * Das Vermögen, die Gründe und Gegengründe gehörig
einzusehen, ingleichen die besten Mittel zur Erreichung einer Absicht
anzugeben, Klugheit, Vernunft, das Vermögen zu rathen; eine im Hochdeutschen
veraltete Bedeutung, in welcher dieses Wort ehedem nur im Singular allein
üblich war. Es kommt darin mit dem Lat. Ratio überein. Auch im Isländ. ist
Redha die Vernunft, und Notker gebraucht Redeafty in eben diesem Verstande. In
der Deutschen Bibel kommt diese veraltete Bedeutung noch mehrmahl vor. Der
Geist des Raths, Es. 11, 2. Denn es ist ein Volk, da kein Rath in ist, 5 Mos.
33, 28; sie sind ein Volk, das sich durch seine Anschläge selbst in Unglück
bringt, Michael. Es wird weder Gesetz bey den Priestern, noch Rath bey den
Alten mehr seyn, Ezech. 7, 26. Groß von Rath, Jer. 32, 19. 3) * Die Folge der
Überlegung, der Entschluß, auch ohne Plural; eine im Hochdeutschen gleichfalls
veraltete Bedeutung. Im Oberdeutschen sagt man noch, Raths werden, einen
Entschluß fassen; andern Rath werden, seinen Entschluß ändern; einen Rath
fassen, einen Entschluß. In der Deutschen Bibel ist auch diese Bedeutung noch
sehr häufig. Gott stürzet der Verkehrten Rath, Hiob. 5, 13. Beschließet einen
Rath und werde nichts daraus, Es. 8, 19. Der Herr macht zu nicht der Heiden
Rath, Ps. 33, 8. Nehem. 4, 15. Besonders von Gott, in mehrern Stellen, nach
deren Vorgange man es auch noch in der Theologie gebraucht, wo der Rath Gottes
von der Menschen Seligkeit, dessen Entschluß ist, in gewisser Ordnung jedermann
selig zu machen. Den Rath Gottes verkündigen. (
S. Rathschluß.) Auch im Nieders. sagt man, ich bin deß
zu Rathe worden, habe es bey mir beschlossen, wo Vorraad auch der Vorsatz ist.
4) * Der Wille; eine im Hochdeutschen gleichfalls veraltete Bedeutung. Seines
eigenen Rats leben, nach seinem eigenen Willen, im Oberdeutschen. Du leitest
mich nach deinem Rath. Ps. 73, 24. Und so in andern Stellen mehr. 5) Die
Meinung, d. i. das Urtheil, über eine Sache aus wahrscheinlichen Gründen; doch
nur noch in engerer Bedeutung, so fern man einem andern seine Meinung über
dessen Absichten und Mittel bloß bekannt gemacht, ohne ihn zu verbinden, diese
Meinung zu befolgen, eine bloß als nützlich ertheilte Regel des Verhaltens.
Jemanden einen Rath geben, ertheilen, ihm seine Meinung bekannt machen, ob und
wie er eine Sache thun müsse. Das ist mein Rath in dieser Sache, meine Meinung,
von einer Sache, welche erst noch geschehen soll. Jemanden mit Rath und That
beystehen, ihm mit Rath und That an die Hand gehen. Rath bey jemanden suchen.
Eines Rath folgen, befolgen, ihn annehmen. Allen guten Rath verachten, in den
Wind schlagen. Hier ist guter Rath theuer. Jemanden um Rath fragen, (
S. Rathfragen.) Sich bey jemanden Rats erhohlen, ihn um
seinen Rath fragen, ingleichen in weiterer Bedeutung, Belehrung bey ihm suchen.
Jemanden zu Rathe ziehen, ihm um seinen Rath, um seine Meinung fragen. Nichts
ohne Rath anfangen. Ich habe es auf deinen Rath gethan. In dieser Bedeutung
lautet es schon im Isidor Chirati, bey dem Ottfried Girat und Rath, im Nieders.
Raad, im Angels. Raed, im Schwed. Rad, im Isländ. Rade, im Slavon. Red, im
Russ. Rade. Ob sich gleich diese Bedeutung auch sehr füglich von 2 Rath,
Mittel, herleiten ließe, so scheinet doch die Bedeutung der Rede und der
Meinung näher damit verwandt zu seyn. Zu der letzten gehöret auch das Latein.
reor, ratus sum, reri, dafür halten, dessen Mittelwort ratus auch beschlossen
bedeutet, und alsdann die vorige dritte Bedeutung des Entschlusses hat. Da
indessen fast alle Wörter, welche eine Fähigkeit oder Wirkung des Geistes
bezeichnen, Figuren der Bewegung sind, so leidet, auch Rath in allen obigen
fünf Bedeutungen eben dieselbe Ableitung, wo es denn ein naher Verwandter von
Rad, Rota, reiten, im weitesten Verstande, u. s. f. seyn würde. In allen
vorigen Bedeutungen hat dieses Wort keinen Plural, ungeachtet die dritte, des
Entschlusses, desselben gar wohl fähig wäre. Die gegenwärtige leidet ihn, der
Sache nach, eben so willig, und doch klingt er im Hochdeutschen fremd und
ungewohnt, so oft er von einigen gebraucht wird. Dem Alterthume scheinet er
geläufiger gewesen zu seyn. Bey dem Notker heißt er die Rata, bey dem Winsbeck
die Rete, und im Heldenbuch die Räte:
Hiltebrant der alte Mann, Der da viel weiser Räte kann.
Mehr ist es, daß der Plural oft mit den folgenden
Bedeutungen, in welchen er ohne Schwierigkeit gebraucht wird, eine
Zweydeutigkeit verursachen kann; aber diese Zweydeutigkeit findet auch im
Singular Statt. Vielleicht vertreibet das Beyspiel derer, welche ohne Bedenken
Räthe schreiben, mit der Zeit das Fremde, welches dem Plural in dieser
Bedeutung anklebt; wem aber dasselbe unerträglich ist, der kann dafür, wie von
den meisten geschiehet, Rathschläge gebrauchen. 6) * Einwilligung, Vorwissen,
Beystimmung; eine im Hochdeutschen gleichfalls veraltete Bedeutung, in welcher
es ehedem im Nieders. sehr gangbar war.
S. das Bremisch-Nieders. Wörterbuch.
[
951-952] 2. Eine Versammlung mehrerer, eine Sache zu
überlegen und zu beschließen, und ein Collegium dazu verordneter Personen. 1)
Im weitesten Verstande eine Versammlung mehrerer, gemeinschaftliche
Angelegenheiten zu überlegen und zu beschließen, ohne Plural; in welchem
Verstande es nur noch in einigen Fällen gebraucht wird. Rath halten. Einen
Blutrath halten, eine Versammlung, einen oder mehrere zum Tode zu verurtheilen;
am häufigsten von einer unbefugten Versammlung dieser Art. Zu Rathe gehen, in
eine solche Versammlung; eine im Hochdeutschen sehr wenig mehr gebräuchliche R.
A. Meine Seele komme nicht in ihren Rath, 1 Mos. 49, 6. Wohl dem, der nicht
wandelt im Rathe der Gottlosen, Ps. 1, 1. Ich danke dem Herrn von ganzem Herzen
im Rath der Frommen, Ps. 11, 1. Welche und andere biblische Stellen, in deren
einigen es auch eine jede Versammlung bedeutet, doch nicht nachzuahmen sind.
Schon bey dem Kero ist Kerate eine Versammlung. 2) In engerer Bedeutung, ein
Collegium solcher Personen, welche dazu verordnet sind, öffentliche
Angelegenheiten zu überlegen und zu entscheiden. Ehedem wurde es von allen
Collegiis dieser Art gebraucht, wovon unter andern auch in der Deutschen Bibel
häufige Beyspiele vorkommen. Jetzt, da dergleichen Collegia sehr
vervielfältiget worden, haben sie theils eigene Nahmen bekommen, theils ist der
allgemeine Nahme Rath durch allerley Beysätze näher bestimmet worden. Der
geheime Rath, das höchste Collegium der zur Besorgung der öffentlichen
Angelegenheiten verordneten Personen, welches doch in manchen Staaten noch dem
Cabinetts-Rathe nachgeordnet ist. Der Staatsrath, Kriegsrath, Kirchenrath,
Gesundheits- oder Sanitäts-Rath u. s. f. Den geheimen Rath versammeln, die dazu
gehörigen Personen. Da es denn auch oft von der Versammlung der Glieder eines
solchen Collegii gebraucht wird. In den geheimen Rath, in den Staatsrath, in
den Kirchenrath gehen. In Schleswig werden die Land- und Kirchspielsgerichte
zuweilen Räthe genannt, da denn die Beysitzer in denselben auch den Nahmen der
Rathleute führen. Die Rota, das päpstliche Kammergericht zu Rom, hat gewiß auch
daher seinen Nahmen; obgleich Ferrarius und andere denselben von Rota, ein Rad,
herleiten, weil die Glieder dieses Rathes in einem Kreise sitzen sollen,
welches doch ungegründet ist. Es ist daher auch unrichtig, wenn einige dieses
Collegium im Deutschen das Radgericht nennen; richtiger könnte man es den
Kammerrath oder das Kammergericht nennen. 3) In der engsten Bedeutung ist der
Rath, oder zum Unterschiede von der vorigen Bedeutung, der Stadtrath, ein
Collegium solcher Personen, dem in Reichs- und freyen Städten die höchste
Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten der Stadt und ihres Zugehöres, in
Municipal-Städten aber gemeiniglich nur die Handhabung der Polizey zustehet.
Den Rath zusammen rufen, versammeln. In den Rath kommen, Sitz und Stimme in
diesem Collegio erhalten. Eine Sache bey dem Rathe anbringen. Jemanden bey dem
Rathe verklagen. Bey dem Rath um etwas anhalten. Einer aus dem Rathe, ein
Rathsherr, Rathsglied, in der feyerlichen Sprechart ein Vornehmer des Raths.
Der Rath sitzt, wenn sich derselbe versammelt. Im sitzenden Rathe, im
versammelten. Oft bedeutet es auch die Versammlung dieses Collegii. Rath
halten, sich versammeln. Vor Rath erscheinen. Eine Sache im Rathe vortragen.
Der Plural findet, wie in der vorigen Bedeutung, nicht nur von mehrern
Collegiis mehrerer Städte ohne Bedenken Statt, obgleich Frisch das Gegentheil
behauptet, sondern auch in den Fällen, wo in einer und eben derselben Stadt das
Collegium der sämmtlichen Rathsglieder in mehrere Theile abgeordnet ist; z. B.
wo der gesammte Rath in drey Räthe getheilet ist, welche alle Jahre in
[
951-952] der Regierung abwechseln, oder auch, wo der
innere, kleinere oder engere Rath, von dem äußern, größern oder weitern Rathe
unterschieden wird. 3. Eine Person, welche andern guten Rath entheilet, d. i.
nützliche Regeln des Verhaltens bekannt macht. 1) Im weitesten Verstande, von
einem jeden, der andern einen Rath ertheilet, ist es nicht gewöhnlich, weil
dafür Rathgeber eingeführet ist. 2) Im engern Verstande, derjenige, der dazu
verordnet ist, der Landesobrigkeit in öffentlichen Angelegenheiten guten Rath
zu ertheilen, oder die öffentlichen Angelegenheiten mit derselben zu überlegen
und zu entscheiden. In diesem Verstande pflegte man ehedem alle höhere Bediente
des gemeinen Wesens, welche berechtigt und verbunden sind, dem Landesherrn ihre
Meinung in öffentlichen Angelegenheiten zu sagen, nur schlechthin Räthe zu
nennen, in welchem Verstande es noch jetzt zuweilen vorkommt. 2 Sam. 15, 12
heißt Ahitophel Davids Rath. Und die Herren, Fürsten, Vögte und Räthe des
Königs kamen zusammen, Dan. 3, 27. Nebucadnezar forderte alle seine Räthe,
Fürsten und Hauptleute, Judith 2, 2. 3) Da nach der Vervielfältigung solcher
Personen und genauerer Vertheilung der öffentlichen Angelegenheiten sich die
Anzahl dieser Räthe gar sehr vermehrete, so bekamen selbige theils andere
Nahmen, theils behielten sie den Nahmen der Räthe, welcher alsdann aber mit
allerley Beysätzen näher bestimmt wurde, und oft auch nur ein bloßer Titel ist,
der zu keinen weitern Obliegenheiten verbindet. Und so entstanden geheime
Räthe, (nicht Geheimeräthe, weil es alsdann Geheimräthe heißen müßte, (
S. Geheim,) ehedem, wie noch in der Deutschen Bibel,
heimliche Räthe, Cabinetts-Räthe, Staatsräthe, Hofräthe, Kriegsräthe,
Justiz-Räthe, Finanz-Räthe, Commerzien-Räthe, Kammerräthe, Jagdräthe, Bergräthe
u. s. f. Ein Rath schlechthin, ohne allen Beysatz, ist alsdann die erste und
niedrigste Würde dieser Art, welche an den meisten Höfen ein bloßer Titel ist.
Ein kurzweiliger oder lustiger Rath, eine scherzhafte Benennung eines
Hofnarren. Anm. In dieser letzten Bedeutung ist schon im Isidor Chirado eine
zum Rathgeben verpflichtete Person. Es gibt theils in den Zusammensetzungen,
theils in den gemeinen Sprecharten noch mehrere gleichlautende, aber in der
Bedeutung verschiedene Wörter, welche theils Figuren von rad, rath, sind, so
fern es ein Ausdruck eines Schalles und dessen Ursache, der Bewegung, ist,
theils aber auch zu andern Stämmen gehören können. Eines derselben ist das
Oberdeutsche Nebenwort rath, geraubt; etwas rath seyn, es entbehren, wovon
unser entrathen abzustammen scheinet, wofür im Oberdeutschen gerathen üblich
ist. Ferner das rath seyn, welches Hornegk theils für geschehen, theils aber
auch für selig werden gebraucht. (
S. auch die folgenden Zeitwörter.) In den folgenden
Zusammensetzungen lautet dieses Wort allemahl Rats-, so oft ein Raths-Collegium
darunter verstanden wird. In den andern Bedeutungen pflegt es das s nur selten
anzunehmen. [
951-952]