Pflegen
, [
739-740] verb. reg. et irreg. welches
im letztern Falle im Imperf. ich pflog, (bey einigen ich pflag,) und im
Mittelw. gepflogen, hat. Es ist in doppelter Gestalt üblich. I. Als ein
Activum, wo es im Oberdeutschen gemeiniglich irregulär abgewandelt wird; ich
pflege, du pflichst, er pflicht; Imperf. ich pflag oder pflog; Mittelw.
gepflogen. Im Hochdeutschen gehet es regulär, eine einzige Bedeutung
ausgenommen. 1. * Befehlen, anordnen; eine im Hochdeutschen veraltete
Bedeutung, in welcher es im Sachsenspiegel vorkommt. Es ist in dieser Bedeutung
mit den Geschlechtsverwandten auflegen, anlegen und dem veralteten Lage, ein
Gesetz, verwandt, so wie denn auch unser Pflicht von dieser Bedeutung
abzustammen scheinet. Siehe dasselbe. 2. * Innehaben, besitzen; eine
gleichfalls längst veraltete Bedeutung, von welcher Frisch einige Beyspiele
anführet. Das Land - des de Christen plagen e, welches die Christen vorher im
Besitze hatten in den Scriptor Brunsuic Th. 3. S. 64. Der des Glaubens pfligt,
wer Glauben hat, Jeroschin bey dem Frisch. Wiltu gesigen? Duldin pflig, willst
du siegen, so habe Geduld, ebend. Bey dem Notker ist Inphliht der Besitz. 3. *
Verwalten, vorgesetzet seyn, die Aufsicht über etwas haben; so wie die vorigen
gleichfalls mit der zweyten Endung. Die pflegint werelt, die die Welt regieren,
in dem alten Gedichte auf den heil. Anno. Die knappen, die der Muile pflegen,
in der Parän. Tirol. Sit ich von ersten huses pflag, seitdem ich zuerst dem
Hauswesen vorstand, Winsbeck. Eleazar aber und Ithamar pflegten des
Priesteramts, 4, Mos. 3, 4. Des Amts sollen sie (die Leviten) nicht pflegen, 4,
Mos. 8, 26. sie sollen das Priesteramt nicht verwalten. Die des Altars pflegen,
genießen des Altars, 1, Cor. 9, 13. Wir haben einen Altar, davon nicht Macht
haben zu essen, die der Hütte pflegen, Ebr. 13, 10. Doch auch diese Bedeutung
ist im Hochdeutschen veraltet, in welcher seines Amtes pflegen im Oberdeutschen
auch dasselbe in einzelnen Fällen ausüben, bedeutet. 4. * Sorge für etwas
tragen, auch mit der zweyten Endung; in welcher es im Hochdeutschen gleichfalls
unter die veralteten gehöret.
Gott der Herr wolle Euer pflegen Und euch halten in seiner
Hut, Theuerd. Kap. 106. Durch dich bin ich ans Licht gezogen Auf dich allein,
du, du hast mich gepflogen, Opitz.
Sie sollen die Wohnung tragen mit allem Geräth, und sollen
sein pflegen, 4 Mos. 1, 50. 5. * In engerer Bedeutung, jemandes Ehre und Bestes
befördern; gleichfalls mit der zweyten Endung.
Suer des biderben schwache pfliget Dabi des bösen wol, Ditmar
von Ast.
Pflege du des Volks vor Gott, 2 Mos. 18, 19; diene du dem
Volk in dem, was es mit Gott zu handeln hat, Michael. 6. * In noch engerer
Bedeutung, nöthige Handreichung leisten, und zugleich alle unangenehme
Empfindungen von jemanden zu entfernen suchen. Im Oberdeutschen bekommt es auch
hier die zweyte Endung, in welcher es auch wohl im Hochdeutschen gebraucht
wird, besonders in der poetischen und höhern Schreibart. Zugleich wird es in
dieser Bedeutung im Hochdeutschen regulär abgewandelt, ich pflegte, habe
gepflegt, dagegen es im Oberdeutschen, wie in den vorigen Bedeutungen,
irregulär gehet. Lasset meinem Herrn Könige eine Jungfrau suchen, die sein
pflege, 1 Kön. 1, 2. Und sie war eine sehr schöne Dirne und pflegte des
Königes, V. 4. Pflege deines Vaters im Alter, Sir. 3, 14. Seiner Gesundheit
pflegen, alles sorgfältig vermeiden, was derselben nachtheilig seyn könnte; in
welcher R. A. es auch im Hochdeutschen nur allein in der zweyten Endung üblich
ist.
Und muß des kranken Weibes pflegen, Gell.
Indessen wird es in diesem Verstande im Hochdeutschen auch
sehr häufig mit der vierten Endung gebraucht. Ein Kind pflegen und warten.
Einen Kranken pflegen. Ein Thier pflegen, als wenn es ein Mensch wäre.
Gleichwie eine Amme ihre Kinder pfleget, 1 Thess. 2, 7. Er (Gott) der mich
nicht bedarf, und mich so sorgfältig pflegt, als wäre ich sein Kind allein,
Gell. Ich kann mich nicht pflegen, kann nicht alle unangenehme Empfindungen von
meinem Körper abwenden. Seinen Leib pflegen, alles unangenehme von demselben
entfernen. In dem zusammen gesetzten verpflegen hat es besonders den Begriff
der Reichung des nöthigen Unterhaltes, welcher in dem einfachen Zeitworte in
manchen Fällen nur dunkel hervor sticht. 7. Sich einer angenehmen Neigung mit
Bequemlichkeit überlassen, auch im Hochdeutschen mit der zweyten Endung, aber
mit regulärer Abwandelung, ich pflegte, habe gepflegt. Indessen ist es hier nur
noch in einigen Redensarten üblich. Der Ruhe pflegen, sich derselben
überlassen. Seiner Gelegenheit pflegen, seinem Hange zur Bequemlichkeit folgen.
Oft denkt, wenn wir der Stille pflegen, Das Herz im Stillen
tugendhaft, Gell.
Die biblische R. A. der Liebe, der Wollust pflegen, den
Beyschlaf ausüben, 1 Mos. 18, 12, Sprichw. 7, 18 kommen auch im Hochdeutschen
noch zuweilen vor, ob sie gleich im gemeinen Sprachgebrauche veraltet sind. In
der R. A. seinen Lüsten pflegen, sich ihnen ohne Widerstand überlassen, wird
es, wider den ganzen übrigen Gebrauch, mit der dritten Endung verbunden; statt,
seiner Lüste pflegen. 8. Endlich wird es in einigen aus der Oberdeutschen
Mundart beybehaltenen Redensarten für üben, ausüben, handhaben, gebraucht, wo
man zugleich die Oberdeutsche irreguläre Abwandelung ich pflog, bey einigen
auch wohl pflag, habe gepflogen, mit beybehalten hat, obgleich das Nennwort
bald in der zweyten, bald in der vierten Endung gesetzt wird. Zunächst gehören
dahin die im Hochdeutschen veralteten biblischen R. A. Priesteramts pflegen,
Luc. 1, 8, dasselbe ausüben, in einzelnen Fällen verwalten. Sie pflegen
Gottesdienst, der nicht zu sagen ist, Weish. 14, 23. Vornehmlich aber, die noch
gangbaren: Rathes mit jemanden pflegen, mit ihm rathschlagen. Nach lange
gepflogenem Rathe. Unterhandlung pflegen, unterhandeln. Es wurden
Unterhandlungen gepflogen. Nach lange gepflogenen Unterhandlungen. Der
Freundschaft mit jemanden pflegen, oder noch häufiger ohne Artikel,
Freundschaft mit jemanden pflegen, Freundschaft mit ihm unterhalten. Unsere so
lange gepflogene Freundschaft. Auf ähnliche Art wird das Lat. consuescere und
consuetudo gebraucht. Umgang mit jemanden pflegen, mit ihm umgehen. Er pflog
Umgang mit mir. Der Güte pflegen, in den Rechten, gütlich unterhandeln, den Weg
der Güte versuchen. Die Gläubiger zu Pflegung der Güte einladen, welches auch
beynahe der einzige Fall ist, in welchem das Hauptwort die Pflegung gebraucht
wird, indem in andern Fällen Pflege üblicher ist. In noch weiterm Verstande
bedeutete es ehedem auch gebrauchen.
Der hitzigen ertzney er pflag Und nam dieselben alle Tag,
Theuerd. Kap. 70.
II. Als ein Neutrum, welches das Hülfswort haben erfordert
und den Infinitiv eines andern Zeitwortes mit dem Wörtchen zu nach sich hat;
eine und eben dieselbe Handlung in allen oder den
[
741-742] meisten vorkommenden Fällen und Gelegenheiten
thun und gethan haben. Die Conjugation ist im Hochdeutschen regulär. Er pflegt
nach Tische zu schlafen. Er pflegt zu sagen u. s. f. Das pflegt er sonst nicht
zu thun. Alsdann pflegt es gemeiniglich zu regnen. So pflegt es zu geschehen.
Wie es zu gehen pflegt. Thue, wie du pflegest, nähmlich zu thun. Wer leidet,
muß verzeihen, wer unrecht thut, pflegt selten zu vergeben. Da diejenigen
Zeitwörter, welche den Infinitiv eines andern Zeitwortes nach sich haben, in
den zusammen gesetzten Zeiten oft selbst in den Infinitiv treten; ich habe ihn
kommen sehen, für gesehen, ich habe es sagen hören, für gehöret: so wird auch
dieses Zeitwort von vielen auf eben dieselbe Art gebraucht. Er hat zu sagen
pflegen, für gepflegt.
Auf grünen Grase hat man dir zu opfern pflegen, Opitz.
Indessen findet man auch häufige Beyspiele des Gegentheiles.
Habe ich auch je gepflegt dir also zu thun? 4 Mos. 22, 30.
Drum hat man vor der Zeit gepflegt, auf den Altaren Der
Griechen weit berühmt, mit Venus dich zu paaren, Opitz.
Da beyde Formen das Ohr beleidigen, so gehet man am
sichersten, wenn man sie ganz vermeidet, und dafür pflegen, im Imperfect
gebraucht, welches in den meisten Fällen ohne einigen Nachtheil des Verstandes
wird geschehen können. Dieses Zeitwort gehet in allen Bedeutungen, sie mögen
activ oder neutral seyn, im Oberdeutschen irregulär; ich pflege, du pflichst,
er pflicht; Impers. ich pflog, und in einigen Gegenden, ich pflag; Mittelw.
gepflogen. Sogar das zusammen gesetzte verpflegen hat in der Schweiz verpflog,
verpflogen. Es ist daher kein Wunder, daß auch das Neutrum im Oberdeutschen
irregulär gehet.
Den der Himmel pflag zu lieben, Opitz. Den, der sie zu sehn
stets pflag, Flemm. Und was das falsche Maul vorhin zu denken pflag, Rach.
Gottsched gab sogar, um dieses Neutrum von dem vorigen Activo
zu unterscheiden, die Regel, daß es beständig irregulär conjugirt werden müsse,
dagegen jenes regulär gehe; wir pflagen die Zeit mit nützlichen Gesprächen
zuzubringen. Allein, zu geschweigen, daß diese Conjugation wider die ganze
Hochdeutsche Analogie ist, so hat Gottsched dabey nicht an die achte active
Bedeutung gedacht, in welcher die irreguläre Form im Hochdeutschen überall
beobachtet wird, obgleich die Bedeutung augenscheinlich thätig ist. Über dieß
schrieb Gottsched selbst nur selten so, ohne Zweifel, weil er, seines sonst
sehr harten Gehöres ungeachtet, hier den Übelklang fühlen mußte. Vor Alters
pflegten auch - so gebraucht zu werden, heißt es in mehrern Stellen seiner
größern Sprachkunst. Anm. In den meisten der vorigen Bedeutungen bey dem
Ottfried plegan, bey spätern Oberdeutschen Schriftstellern phlegan, pflegen, im
Nieders. plegen, im Angels. pleggan, im Schwed. plaega, im Isländ. plaga, im
Dän. pleye. Da der Blaselaut vor dem l und r in allen Fällen entweder ein
müßiger Vorschlag, oder eine Verstärkung, ein Nachdruck, eine Intension ist,
welchen Blaselaut die Oberdeutsche Mundart in den stärksten Blaser pf
verwandelt, so stammet unser pflegen ohne Zweifel von legen und liegen her,
welches nicht nur die Oberdeutsche irreguläre Conjugation, sondern auch die
verwandten Bedeutungen auflegen, für anbefehlen, einer Sache obliegen, u. s. f.
bestätigen. Die heutigen Bedeutungen dieses Wortes sind nur noch wenige
Überbleibsel von den ehemahligen, daher die Leiter der Bedeutungen und ihrer
Folge aus einander mangelhaft zu seyn scheinet. Zu den im Hochdeutschen
veralteten Bedeutungen gehöret noch die Niedersächsische to pflegen, Haudlanger
seyn, zulangen, von welcher die achte unsers Activi eine bloße Figur ist.
Ehedem bedeu- [
741-742] tete es im Nieders. auch
verpflichtet, schuldig seyn, von welcher, und der ersten thätigen des Befehlens
unser Pflicht ein Überbleibsel ist. (
S. dasselbe.) Im Schwed. ist Lag und Plaeghed
Gewohnheit, Gebrauch, und Lage bedeutete ehedem durch ganz Norden ein. Gesetz.
Ferner gehöret hierher das Nieders. flijen, ordentlich legen, in Ordnung legen,
welches seine Abkunft von legen am wenigsten verläugnen kann.
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741-742]