Das Ohr
, [
599-600] des -es, plur. die -en,
Diminut. das Öhrchen, Oberd. Öhrlein. 1. In der engsten und gewöhnlichsten
Bedeutung, das Werkzeug des Gehöres an den thierischen Körpern, welches aus
einer Höhle am Kopfe bestehet, welche gemeiniglich mit hervor ragenden Knorpeln
umgeben ist. Große, lange, kleine Ohren haben. Man kennet den Esel an den
Ohren. Die Ohren klingen, gällen, sausen oder brausen, wenn man ein solches
Geräusch zu hören glaubt, welches gemeiniglich von einem Flusse herrühret.
Jemanden bey den Ohren zupfen. Daher die figürlichen nur im gemeinen Leben
üblichen R. A. Den Kopf zwischen die Ohren nehmen und davon gehen, sich in
aller Eile davon machen. Jemanden hinter die Ohren, an die Ohren schlagen, ihm
eine Maulschelle geben. Jemanden die Haut, oder das Fell über die Ohren ziehen,
eigentlich, ihm die Haut ganz abziehen; figürlich, ihn um sein Vermögen
bringen. Sich hinter den Ohren kratzen, zum Zeichen der Reue, des Unwillens
über einen begangenen Fehler, über einen erlittenen Verlust. Sich etwas hinter
die Ohren schreiben, eine empfangene Beleidigung im Andenken behalten. Bis über
die Ohren im Elende, in Schulden stecken, von einem hohen unübersehlichen Grade
des Elendes und der Schulden. Er hat es hinter den Ohren, er hat einen Schalk
hinter den Ohren, er ist witziger, klüger, als er zu seyn scheinet. Noch nicht
hinter den Ohren trocken seyn, noch jung und unerfahren seyn. Sich auf ein Ohr,
auf das Ohr legen sich schlafen legen. Jemanden bey den Ohren nehmen, bey den
Ohren kriegen, sich seiner Person bemächtigen, ihn in Verhaft nehmen. Die Ohren
hängen, oder hangen lassen, vor Unmuth, Zagheit, Reue, wie manche Thiere. Ein
Ding am rechten Ohre angreifen, wo Ohr für das vorige Öhr zu stehen scheinet.
Besonders in Absicht auf das Gehör. Die Ohren spitzen, mit Begierde auf etwas
hören, bey dem Ovid. cacuminare aures; eine von manchen Thieren entlehnte
Figur.
Er wird die Ohren spitzen, Wenn er erfährt, was unsre Absicht
ist, Wiel.
Jemanden die Ohren voll schreyen, ihm mit seinem Geschreye
lästig werden. Davon thun mir die Ohren weh. Schreyen, daß dem andern die Ohren
gällen. Jemanden beständig in den Ohren liegen, ihm immer von einer und eben
derselben Sache vorreden. Ihm die Ohren mit etwas reiben, es ihm unaufhörlich
vorwerfen. Ihm die Ohr kitzeln, ihm Neuigkeiten oder andere Sachen vorsagen,
welche er gern höret. Die Ohren jucken ihm, wenn er nach Neuigkeiten lüstern
ist. Einem etwas in das Ohr setzen, jemanden einen Floh in das Ohr setzen, ihm
über eine Sache unruhig machen. Dicke, harte Ohren haben, nicht mit Einfluß auf
den Willen hören. Keine Ohren zu etwas haben, davon nichts hören wollen. Auf
dem Ohre höret er nicht wohl, von der Sache mag er nicht gern etwas hören. Thue
die Ohren auf, höre mit Aufmerksamkeit zu. Etwas zu einem Ohre hinein, und zum
andern wieder hinaus gehen lassen, es ohne Aufmerksamkeit, ohne Einfluß auf den
Willen anhören. Dünne Ohren haben, ein leises Gehör. Einem die Ohren warm
machen, ihm mit seinen Reden, mit seinen Vorstellungen beschwerlich fallen.
Einem etwas in die Ohren blasen, zu Ohren tragen, zum Nachtheil eines Dritten
ins geheim Nachricht von etwas geben. Ich habe es mit meinen Ohren gehöret, ein
im gemeinen Leben üblicher Pleonasmus um des Nachdrucks willen. Man muß sehr
viel hören, ehe ein Ohr abfällt. Auf den Ohren sitzen, nicht hören was gesagt
wird, im Nieders. auf den Ohren gehen. Bohnen in den Ohren haben, in eben
diesem Verstande. Folgende sind auch in der anständigen Sprechart üblich. Seine
Ohren vor jemanden verstopfen. Man predigt tauben Ohren. Jemanden etwas in das
Ohr sagen. Es ist mir zu Ohren gekommen, zu Ohren gebracht worden, ich habe es
gehöret, man hat es mir berichtet. Es sind mir nachtheilige Dinge von dir zu
Ohren gekommen. Ein offenes Ohr bey jemanden haben, bey ihm geneigtes Gehör
finden.
Und sein verhärtet Ohr ist taub bey unserm Flehen, Schlegel.
Es war eine Zeit, da ihr Nahme die Wollust meines Ohres war,
von Brawe. Alles war Ohr, alles hörte aufmerksam zu. So auch, wenn Ohr
figürlich für die Person in Absicht des Gehöres gesetzt wird.
Die größte Plage kluger Ohren, Gell.
Sein Ohr um Rath fragen, etwas nach dem Gehöre beurtheilen.
Aber die biblischen R. A. zu Ohren fassen, zu Ohren nehmen, mit Einfluß auf den
Willen anhören, die Ohren zu etwas neigen, sein Ohr von jemanden wenden, seine
Ohren merken auf die Stimme des Flehens, u. s. f. sind Hebraismen, welche im
Deutschen fremd klingen. 2. In weiterer Bedeutung, wo in einigen Fällen so wohl
vertiefte als hervor stehende Dinge Ohren genannt werden. 1) Von vertieften
Dingen. So ist in der Baukunst das Ohr ein kleines Gewölbe in uns an einem
größern; z. B. wenn die Fenster und Thüren in einem Gewölbe von neuen
überwölbet werden, die durch die Öffnung geschwächte Mauer zu stärken; Franz.
Lunette. In andern Fällen ist dafür Öhr üblich,
S. dasselbe. 2) Von hervor ragenden Dingen. Ein Ohr in
einem Buche, ein mit der Spitze eingeschlagenes Blatt, welches man auch wohl
ein Eselsohr nennet, wo es zunächst eine Figur von Ohr, auris, ist. An einem
Pfluge wird das Streichbret von einigen auch das Ohr genannt. Hingegen sind an
einem Hakenpfluge oder Ruhrhaken die Ohren zwey längliche krumme Hölzer, welche
unten an das Haupt des Pfluges befestiget sind, und die Spillewetter in der
Mitte haben. An der Büchse eines Rades, oder denjenigen Ringen, welche inwendig
in das Rad geschlagen werden, heißen die krummen Widerhaken, welche in das Holz
getrieben werden, gleichfalls die Ohren. Anm. In der ersten engern Bedeutung
schon im Isidor Oro, bey dem Kero Ora, bey dem Ottfried Or, im Tatian Hora, im
Nieders. Oor, im Angels. Eare, im Engl. Ear, im Holländ. Oor, im Dän. Öre, im
Schwed. Oera, im Isländ. Eyra, im Franz. Oreilie, im Ital. Orecchio, im Latein.
Auris. Andere Sprachen haben dafür das nahe verwandte s, wie das alte
[
601-602] Gothische Auso, das Lettische Ausis, das alte
Latein. Ausis für Auris, das Griech. -
hier nichtlateinischer Text, siehe
Image - , und das Hebr. -
hier nichtlateinischer Text, siehe
Image - , Osen, wohin auch das Nieders. Öhse gehöret, wenn es für Ohr
gebraucht wird. In noch andern Sprachen findet sich statt bey der Hauchlaut,
wie in dem Pohln. Uccho und dem Krainerischen Uhu. (
S. Hören.) Es ist noch ungewiß, ob Ohr und Öhr
allgemeine Nennwörter sind, welche eine jede Vertiefung und folglich auch
Erhöhung und Hervorragung bedeuten, in welchem Falle sie mit Arsch, Horn, Ur,
Hose, dem Hebr. -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , spitzen,
(wo -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - das Ohr ist,) und
andern dieser Art Eines Geschlechtes seyn würden; oder ob es unmittelbar von
hören abstammet, welches alsdann eigentlich schreyen, rufen, haren, und
figürlich das Geschrey empfinden, bedeuten würde. In diesem Falle würden Ohr
und Öhr, wenn sie vertiefte und erhabene Dinge bedeuten, bloß Figuren seyn,
welche von der Ähnlichkeit mit einem Ohre entlehnet worden. Übrigens heißt das
Ohr im Wallis. Clust, von lauschen, ehedem losen, in der Rothwälschen
Diebessprache der Leisling, von eben diesem Stamme, bey den Jägern der Luser,
Luchser, oder Lösel, der Wildlappen, bey den Hasen der Löffel, und bey den
Hunden das Gehänge. [
601-602]